Muss Bayern jetzt mehr China wagen?
Die deutsche Wirtschaftsleistung könnte in der Corona-Krise um bis zu zehn Prozent einbrechen. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft legt darum jetzt einen Katalog vor, wie es schneller wieder aufwärtsgehen kann. Vorbild ist ausgerechnet das Land, in
München Es ist nicht allzu lange her, da war Shenzhen noch ein Fischerdorf vor den Toren Hongkongs – bis die Volksrepublik die Gegend vor 30 Jahren zur Sonderwirtschaftszone erklärte. Günstiges Land traf auf niedrige Steuern, marktwirtschaftliche Ideen wurden erlaubt. Heute ist Shenzhen eine Millionen-Metropole mit Hochhäusern, unter denen die Metro braust. Im Großraum werden Smartphones gefertigt, Konzerne wie der Telekom-Ausstatter Huawei oder der Autobauer BYD haben dort ihren Sitz. Die Sonderwirtschaftszone trug zum wirtschaftlichen Aufstieg Chinas bei. Ein bisschen hat man Shenzhen vor Augen, wenn jetzt die bayerische Wirtschaft die Gründung von „Innovationszonen“vorschlägt.
Die Corona-Krise hat gezeigt, wie abhängig Deutschland von Importen und Lieferketten ist. Schutzmasken, die in Asien produziert werden, waren plötzlich knapp. „Wir müssen die Versorgungssicherheit unseres Standorts mit kritischen Gütern sicherstellen“, sagt deshalb Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, die am Dienstag per Video-Konferenz ein
Paket an elf Ideen vorgelegt hat, wie es in der Wirtschaft schneller aufwärtsgehen könnte. Kritische Güter, die besser im Inland hergestellt werden sollten, seien zum Beispiel Arzneimittel, Schutzkleidung, Hygieneartikel, Grundnahrungsmittel, Telekommunikationsgeräte, Akkus und Batterien. „Wir fordern zur Umsetzung dieser Strategie die Gründung von Innovationsregionen“, sagte Brossardt. Ob dabei Unterfranken, Schwaben oder ein anderer Bezirk infrage kommt, sagte Brossardt zwar nicht. Wohl aber, was die Regionen auszeichnen müsste.
Eins zu eins lassen sich Sonderwirtschaftszonen wie in China hierzulande nicht einrichten, das weiß die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Was man sich allerdings vorstellt, sind eine bessere Infrastruktur, geringere Steuern, Fördergelder und ein intensives internationales Standortmarketing. Im Umfeld müssten Fachkräfte und Kunden vorhanden sein, ergänzte Brossardt. Auch Fläche muss natürlich da sein. Prinzipiell gehe es darum, es Unternehmern einfach zu machen.
Am Vorstoß der Innovationszonen ist zu erkennen, dass die Corona-Krise für die Wirtschaft eine au
Situation ist, in der außergewöhnliche Ideen gefragt sind. Die deutsche Wirtschaftsleistung könnte dieses Jahr um mindestens zehn Prozent sinken, diese Prognose des Deutschen Industrieund Handelskammertages stellte dessen Präsident Eric Schweitzer am Dienstag vor. Das wäre mehr, als die
Bundesregierung erwartet. Ein Indiz: In der Europäischen Union sind im April über 76 Prozent weniger Autos zugelassen worden als im Vorjahresmonat. In Italien brach der Markt um satte 98 Prozent ein, in Deutschland um 61 Prozent. Deutsche Autozulieferer rechnen damit, dass bei 187000 Beschäftigßergewöhnliche ten bis zu 12 500 Stellen auf der Kippe stehen. Das ergab eine Umfrage des Verbands der Automobilindustrie unter 132 Firmen. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft sieht ihr Strukturprogramm als Vorstoß, damit sich die Krise nicht verfestigt. „Wir brauchen eine fundamentale Neuausrichtung der Politik hin zu einer echten Standortpolitik“, sagte Brossardt.
Neben den „Innovationszonen“enthält der Katalog zehn weitere Punkte. Einige davon klingen bekannt, unter anderem die Senkung der Steuerlast für Unternehmen auf 25 Prozent, billigere Energie, keine neuen Vorschriften, weniger Bürokratie. Das Arbeitsrecht soll flexibler sein. Regeln zu befristeten Arbeitsverhältnissen würde der Verband lieber lockerer als schärfer sehen: „So müssen sachgrundlose Befristungen bei mehrmaliger Verlängerung bis zur Dauer von mindestens drei Jahren möglich sein“, heißt es. Dazu kommen neue Ideen: Branchen, die besonders unter der Corona-Krise leiden, bräuchten zusätzliche Rettungsschirme zur Überbrückung, sagte Brossardt. Man denke hier an das Messewesen, die Veranstaltungsbranche, Freizeitparks und Schausteller.
Die Wirtschaft im Freistaat stellt sich auch hinter eine Kaufprämie für Autos, wie sie CSU-Ministerpräsident Markus Söder fordert – und zwar für alle Antriebsformen, auch die klassischen Verbrenner. Diese müsse rückwirkend zum 1. Mai 2020 gelten und „schnellstmöglich kommuniziert werden“, damit Interessierte nicht noch länger mit einem Kauf zögern, argumentiert Brossardt. Hintergrund sei, dass die Autoindustrie für den Freistaat zentral sei: Sie stehe für 30 Prozent der industriellen Wertschöpfung und mehr als 200 000 Beschäftigte.
Dass eine Kaufprämie auch für Verbrennungsmotoren die Innovationskraft der heimischen Autoindustrie hemmt, glaubt Brossardt nicht: „Uns geht es um eine schnelle Reduzierung des Klimagases CO2. Den größten Sprung machen wir hier mit dem klassischen Antrieb, wenn das Fahrzeug modern ist“, sagt er.
Aber ist diese Wunschliste am Ende finanzierbar? Die Wirtschaft ist zuversichtlich: Ihm sei bewusst, dass es „finanziell eine große Nummer ist“, meinte der Hauptgeschäftsführer. Ziel sei es aber, die Wirtschaft zu stabilisieren, damit wieder Steuern eingenommen und Schulden zurückgezahlt werden können.