Vom Betrugsverdacht zur Beleidigung
Seit rund 20 Jahren wittert ein Mann ein betrügerisches Abwassergeschäft. Jetzt steht er selbst vor Gericht
Landsberg/Ammersee „Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe auch die Welt daran zugrunde!“An dieses von Heinrich von Kleist überlieferte Motto des Pferdehändlers Michael Kohlhaas aus dem 16. Jahrhundert mag man sich dieser Tage vor dem Landsberger Amtsgericht erinnert gefühlt haben. Dort musste sich ein Pensionär aus dem Ammerseeraum wegen Beleidigung eines Polizeibeamten verantworten. Die in einem Brief erhobene Beleidigung hat eine fast 20-jährige Vorgeschichte. Diese nahm ihren Anfang, als der Abwasserzweckverband Ammersee-West, die heutigen Ammerseewerke, die Kanalnetze ihrer Mitgliedsgemeinden übernahmen – für den Angeklagten bis heute mindestens eine große Ungerechtigkeit, wenn nicht gar ein Betrug, wie er auch vor Gericht mehrfach äußerte.
Und weil er in dieser Transaktion eben einen solchen Betrug witterte, zeigte er diesen bei der Polizei an. Doch die Ermittlungen des damit beauftragten Beamten in der Landsberger
Inspektion brachten nicht das Ergebnis, das sich der Mann erwartete. Daraufhin ließ er dem ermittelnden Beamten im Oktober 2019 schriftlich wissen, dass dieser „entweder dumm, faul oder kriminell“sei, wie der Vertreter der Staatsanwaltschaft vortrug. Das ließ sich der Polizist nicht gefallen und daher stand der Verfasser dieses Schreibens jetzt vor Richter Michael Eberle.
Über den eigentlichen Tatvorwurf gab es im Gerichtssaal nicht viel zu reden. Dass er es so geschrieben habe, räumte der Mann ein. Man müsse aber auch wissen, wie es dazu gekommen sei, fügte er an. Und so ging es in der gut einstündigen Verhandlung die meiste Zeit um die Geschichte mit der damaligen Übertragung des Kanalnetzes von der Gemeinde an den Zweckverband. Deswegen hatte sich in dem Mann in den vergangenen zwei Jahrzehnten einiger Ärger aufgestaut. Entsprechend emotional verlief die Verhandlung teilweise. Es gab heftige Wortwechsel, zwischendurch redete sich der Angeklagte mit Blick auf weitere Verantwortliche in Politik und Verwaltung dermaßen in Rage, dass ihn der Richter ermahnte, nicht weitere Beleidigungen zu äußern, „denn ich will nicht, dass wir uns regelmäßig hier treffen“. Von Betrügern wollte der Angeklagte daraufhin nicht mehr sprechen, aber sehr wohl sei es so gewesen, dass bei der Kanal-Transaktion „der Clevere den Dümmeren über den Tisch gezogen“habe. Das war noch zu Zeiten der D-Mark. Der in den 1990er-Jahren für rund 20 Millionen Mark in seiner Wohngemeinde erbaute Abwasserkanal sei wenige Jahre später für lediglich
Symbolfoto: Kaya 2,78 Millionen Mark an den Abwasserzweckverband übertragen worden. Das, so der Angeklagte, sei ein Betrug gewesen, und ein Geschäft, das auf einem solchen Betrug basiere, sei nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch nichtig, wiederholte der Mann seine seit vielen Jahren geäußerte Sicht auf diesen Vorgang.
Die Sache bewegte damals nicht nur den jetzigen Angeklagten, auch eine Bürgerinitiative hatte sich jahrelang mit dem Thema befasst und die damaligen Vorgänge vor den Verwaltungsgerichten überprüfen lassen. Zwar erklärte das Verwaltungsgericht die damalige Gebührensatzung des Zweckverbands für ungültig, weil sie gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Die Modalitäten der Übergabe der bisher gemeindlichen Kanäle an den Zweckverband blieben jedoch unbeanstandet.
Wie 2004 in einer Gemeinderatssitzung berichtet wurde, waren die gemeindlichen Anlagen, die Investitionsumlage für die gemeinsame Kläranlage der Zweckverbandsgemeinden
und weitere Verbandsanlagen bei der Inbetriebnahme im Jahr 1996 20,7 Millionen Mark wert. Beim Übergang dieser Anlagen an den Zweckverband fünf Jahre später, habe der Restbuchwert 18,8 Millionen Mark betragen. Von dieser Summe wurden schließlich der staatliche Zuschuss und die Beiträge, die die Haus- und Grundbesitzer bezahlt hatten, abgezogen. Daraus ergab sich ein auf die Gemeinde entfallender Betrag von 4,8 Millionen Mark, der an die Kommune als Ablöse bezahlt wurde.
Der Angeklagte („ich bin ja ein Einzelkämpfer gegen alle“) blieb freilich über all die Jahre bei seiner Sichtweise. Richter Eberle veranlasste das in seiner Urteilsbegründung zu drastischen Worten: „Es tut mir leid, was aus Ihnen geworden ist, Sie verrennen sich in eine Bösartigkeit, die Sie noch schlimm betreffen wird. Sie machen Ihr Leben kaputt.“Die Beleidigung des Polizisten bestrafte Eberle mit 30 Tagessätzen zu 70 Euro, also mit insgesamt 2100 Euro.