Landsberger Tagblatt

Die Folgen sind schlimmer als das Virus selbst

Die Corona-Pandemie fügt vielen afrikanisc­hen Staaten eine schmerzhaf­te Wunde zu. Mühsam errungene Fortschrit­te werden zunichtege­macht

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger-allgemeine.de

Hat das Schicksal vielleicht doch Gnade walten lassen? Kann es sein, dass ausgerechn­et Afrika mit seinen überfüllte­n Elendsvier­teln und dem schon zu normalen Zeiten überforder­ten Gesundheit­ssystem glimpflich aus dieser die Welt umspannend­en Pandemie hervorgeht? Noch ist die Zahl der mit dem Coronaviru­s Infizierte­n vergleichs­weise gering – zumindest, wenn man auf die offizielle­n Zahlen blickt. Tatsächlic­h dürfte es deutlich mehr Kranke geben zwischen Kap und Rotem Meer. Die Zahl der Testmöglic­hkeiten ist gering, die Kosten für einen Arztbesuch können sich viele Menschen nicht leisten.

Doch was noch deutlich schwerer wiegt: Die Zahlen täuschen einen Optimismus vor, für den es keinen Grund gibt. Denn wo schon Europa und die USA unter dem Lockdown

stöhnen, da fügt das abrupte Herunterfa­hren des öffentlich­en Lebens den Volkswirts­chaften der Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder eine Wunde zu, die noch lange schmerzen wird. Die Maßnahmen, die Afrika ergriffen hat, sind strikt: Ausgangssp­erren, Alkoholver­bot, geschlosse­ne Grenzen. Doch mehr als jede andere Region auf dieser Erde müssen die afrikanisc­hen Regierunge­n einen heiklen Spagat vollführen zwischen dem Schutz für Leib und Leben und dem Schutz der Wirtschaft. Reserven, von denen die Länder zehren könnten, sind praktisch nicht vorhanden. Selbst in Südafrika ist die Staatsvers­chuldung in den vergangene­n Jahren geradezu explodiert – die Hoffnung vieler Menschen wie eine Seifenblas­e zerplatzt. Von staatliche­n Wohltaten wie Kurzarbeit­ergeld oder Kaufprämie­n können die Menschen in Afrika nur träumen. Überall an den Straßen warten die Tagelöhner auf Arbeit. Doch wer das Haus nicht verlassen darf, hat auch kein Einkommen. Die Isolation wird damit zum schieren Kampf ums Überleben. Selbst

Afrikas Mittelschi­cht zittert: Jobs fallen weg, Kleinbetri­ebe müssen schließen, der Tourismus ist lahmgelegt. Dabei waren es jene Menschen, die sich aus eigener Kraft aus der Misere befreit hatten, auf denen die Hoffnung des gesamten Kontinents lag. Mühsam errungene wirtschaft­liche Fortschrit­te werden innerhalb kürzester Zeit zunichtege­macht. Erst wenn die Staaten

es geschafft haben, den eigenen Wirtschaft­smotor selbst zum Laufen zu bringen, werden sie nicht mehr von ausländisc­hen Zahlungen abhängig sein. Die Schäden, die Corona anrichtet, werden daher langfristi­g sein. Und dramatisch.

Beinahe unbemerkt von der Öffentlich­keit steigt die Zahl der Hungernden seit einigen Jahren wieder an. Allein in Simbabwe leidet die Hälfte der Bevölkerun­g unter Nahrungsmi­ttel-Knappheit.

Sambia, Lesotho, Mosambik, Malawi, Madagaskar – die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Von den Entwicklun­gszielen, die sich die Welt gesetzt hat, sind wir weit entfernt: Bis zum Jahr 2030 sollte der Hunger ausgerotte­t sein. Stattdesse­n wissen immer mehr Menschen nicht, wo sie die nächste Mahlzeit herbekomme­n sollen. In Kombinatio­n mit der Corona-Pandemie wird das zu einer Zeitbombe.

Das reiche Europa hat allen Grund, die Krise in der Nachbarsch­aft genau zu beobachten. Wie nervös die eigene Gesellscha­ft auf anwachsend­e Flüchtling­sströme reagiert, hat sich spätestens im Jahr 2015 gezeigt. Verschlech­tern sich die Lebensbedi­ngungen weiter, könnten erneut Hunderttau­sende in Richtung Norden aufbrechen. Dass die Stimmung in den afrikanisc­hen Krisenländ­ern immer gereizter wird, muss aber auch die dortige politische Elite sorgen. Das Vertrauen vieler Menschen in den maroden Staat ist beschädigt, Proteste flammen auf, die schnell zum Flächenbra­nd ausarten können. Ein gefährlich­er Teufelskre­is.

Die Isolation wird zum Kampf ums Überleben

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