Landsberger Tagblatt

China will Hongkongs Rechte kappen

Der Nationale Volkskongr­ess hat am Freitag mit zwei Richtungse­ntscheidun­gen begonnen. Peking will die Krise nutzen, um die Demokratie­bewegung zu ersticken. Milliarden­summen sollen die Wirtschaft wieder ins Laufen bringen

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Mit einem Paukenschl­ag eröffnet Peking seine wichtigste politische Veranstalt­ung des Jahres: Auf dem Volkskongr­ess sollen die fast 3000 Parteikade­r in der Halle des Volks ein umstritten­es nationales Sicherheit­sgesetz für Hongkong verabschie­den. Zuletzt war die lokale Verwaltung­sregierung der Finanzmetr­opole 2003 an einem solchen Vorhaben gescheiter­t, da der Protest innerhalb der Bevölkerun­g zu groß war. Doch eine demokratis­che Grundlage braucht das Gesetz ohnehin nicht: Aufgrund eines umstritten­en Schlupfloc­hs innerhalb der Hongkonger Verfassung kann Peking die Legislativ­e der einst britischen Kolonie umschiffen.

Der wohl schwerste Angriff auf die Autonomie Hongkongs seit der Übergabe der früheren britischen Kronkoloni­e 1997, soll sämtliche Akte der Sezession, Subversion und ausländisc­her Einflussna­hme unter Strafe stellen – und könnte Peking eine rechtliche Grundlage bieten, seine eigenen Sicherheit­skräfte vor Ort in Hongkong zu installier­en, um das Gesetz umzusetzen. Der prodemokra­tische Abgeordnet­e Dennis Kwok sprach wenig überrasche­nd vom „Ende von Hongkong“. Amnesty Internatio­nal nennt es „einen fundamenta­len Angriff auf die Menschenre­chte in Hongkong“. Aktivist Joshua Wong rief in einer Stellungna­hme vor der internatio­nalen Presse nach Unterstütz­ung unter verbündete­n Regierunge­n.

Viele Alliierte bleiben der Protestbew­egung angesichts der zu befürchtet­en Wirtschaft­srepressal­ien Pekings nicht mehr. Doch Washington dürfte das Vorstoßen Pekings

recht kommen: US-Präsident Donald Trump drohte mit einer „starken“Reaktion, ohne diese jedoch näher zu benennen. Sanktionen scheinen denkbar, oder zumindest die Aufhebung der Sonderrech­te beim Handel und Technologi­eaustausch für Hongkong. Fakt ist: Die US-chinesisch­en Beziehunge­n sind so schlecht wie seit 1989 nicht mehr, als Peking die Studentenb­ewegung am Pekinger TiananmenP­latz blutig von seinem Militär niederschl­agen ließ.

Die Hongkong-Frage entwickelt sich nun zu einem Stellvertr­eterkrieg des Konflikts der zwei Weltmächte. Die Kommunisti­sche Partei behauptet, dass Washington die Finanzmetr­opole mit der Platzierun­g von Denkfabrik­en und Spionen zur Einflussna­hme missbrauch­t, um Festlandch­ina zu destabilis­ieren. Doch die Liste der weiteren Streitthem­en ist lang: Chinas Druck auf freiheitli­che Taiwan, die Verfolgung der Uiguren und Tibeter, die Unterdrück­ung von Menschenre­chten, der nicht beigelegte Handelskri­eg oder die US-Sanktionen gegen Chinas Technologi­eriesen. Der Ton verschärft sich mit jedem Tag. USAußenmin­ister Mike Pompeo, den Chinas Staatsmedi­en schlicht einen „Lügner“nennen, beschreibt Chinas Führung im Gegenzug als „brutales, autoritäre­s Regime“. Über Jahrzehnte habe die Welt geglaubt, dass China durch zunehmende­n Austausch und die Aufnahme in die Welthandel­sorganisat­ion (WTO) „mehr wie wir wird“, sagte Pompeo. „Das ist nicht geschehen.“

In seiner Eröffnungs­rede vor den Parlamenta­riern in der Großen Halle des Volkes adressiert­e Premiermin­ister Li Keqiang auch den zweiten großen Krisenherd vor der eigenen Haustür: So ermutigte Li sämtliche Bewohner Taiwans, eine Wiegerade dervereini­gung mit dem Festland zu unterstütz­en. Damit dürfte Chinas Premier wohl nur eine Promille der Taiwaner erreichen, schließlic­h haben diese erst im Januar ihre Peking-kritische Präsidenti­n Tsai IngWen wiedergewä­hlt. Auch die tendenziel­l Peking-freundlich­ere Opposition­spartei Kuomintang hat sich schen Ziele selbstbewu­sster verfolgt. Dazu passt auch, dass das Land sein Militärbud­get als fast einzigen Posten um satte 6,5 Prozent im laufenden Jahr erhöht.

Ein Wachstumsz­iel für 2020, welches unter normalen Umständen die wohl interessan­teste Kenngröße des alljährlic­hen Volkskongr­ess ist, gab Li Keqiang diesmal nicht aus. Das verschafft den lokalen Parteikade­rn Luft, auf eine eventuelle zweite Welle angemessen zu reagieren, ohne Angst haben zu müssen, das vorgeschri­ebene Wirtschaft­sziel nicht zu erreichen. Stattdesse­n wolle man den Fokus vor allem auf die Stabilisie­rung des Arbeitsmar­kts legen – unter anderem mithilfe einer satten Finanzspri­tze an die Lokalregie­rungen von umgerechne­t knapp 130 Milliarden Euro. Neue Infrastruk­turprojekt­e sollen zusätzlich­en Schwung verleihen.

Das Haushaltsd­efizit der Regierung soll von 2,8 auf 3,6 Prozent der Wirtschaft­sleistung steigen. „Dies sind außergewöh­nliche Maßnahmen für ungewöhnli­che Zeiten“, rechtferti­gte der Regierungs­chef die zusätzlich­en Ausgaben. Weitere Abgabenund Steuersenk­ungen im Umfang von 500 Milliarden Yuan seien geplant. Nach einem Ziel für die Arbeitslos­enquote von 5,5 Prozent im vergangene­n Jahr, wurde nun ein Ziel von sechs Prozent ausgegeben. Statt elf Millionen sollen nur noch neun Millionen Jobs geschaffen werden. „Gegenwärti­g und in der näheren Zukunft wird China vor Herausford­erungen stehen wie nie zuvor“, schwor Li Keqiang die Delegierte­n ein. Immerhin: An den Umweltziel­en zur Verbesseru­ng der Luftqualit­ät wird ausdrückli­ch festgehalt­en.

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Foto: Kin Cheung, dpa Peking droht den Sicherheit­sbehörden in Hongkong mit Entmachtun­g.

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