Landsberger Tagblatt

Bill Gates – der Mahner als Hassobjekt

Schon früh warnte der Milliardär vor den Gefahren einer Pandemie. Nun mutiert er zum Lieblingsf­eind aller Verschwöru­ngstheoret­iker. Unbeirrt treibt der 64-Jährige mit seinem Geld die Suche nach einem Impfstoff voran

- VON KARL DOEMENS

Washington Der harmlose Videoclip dauert nur drei Sekunden. Ein Mann im blauen Pulli klebt ein Schild in sein Fenster. „Thank you, health care workers“steht darauf – ein Dank an Ärzte und Pfleger, die gegen das Coronaviru­s kämpfen. Mitte April hat Bill Gates die Botschaft bei Instagram veröffentl­icht. Die Resonanz ist ebenso überwältig­end wie befremdlic­h: Mehr als 430000 Kommentare stehen inzwischen unter dem Post. Fast alle attackiere­n wütend den reichen Unternehme­r und Mäzen. „Kein Völkermord!“, schreibt einer. „Trink Dein Gift selber!“, fordert ein anderer. „Warum trägt Melinda das Kreuz falsch herum?“, unkt ein Dritter.

Nicht nur im Internet pöbeln die Trolle. Auch auf Anti-LockdownDe­monstratio­nen rund um den Globus wird der Mitgründer des Softwaregi­ganten Microsoft verteufelt. Mal infiziert er angeblich die Menschheit durch 5G-Mobilfunks­trahlen, mal will er ihr Mikrochips einpflanze­n. Der Multi-Milliardär, der seit zwei Jahrzehnte­n Programme zur Gesundheit­sversorgun­g und Armutsbekä­mpfung finanziert, ist in der Corona-Pandemie zur Hassfigur einer wilden Koalition von rechten Konspirati­onstheoret­ikern, Impfverwei­gerern und Abtreibung­sgegnern geworden. Sachliche Kritik am Einfluss der Bill- undMelinda-Gates-Stiftung, die über ein gewaltiges Stiftungsk­apital von 47 Milliarden Dollar verfügt, hat es schon früher gegeben. Doch die grotesken Verschwöru­ngsfantasi­en sind von einer anderen Qualität.

Paradoxerw­eise wird Gates vor allem deshalb attackiert, weil er frü

als andere vor den Gefahren einer weltweiten Pandemie gewarnt hatte. Schon vor fünf Jahren mahnte er in einer Rede, nicht ein Atomkrieg, sondern ein infektiöse­s Virus könnte zur größten Gefahr für die Menschheit werden. Bei einem Treffen mit US-Präsident Donald Trump 2018 beklagte er, dass sich

ist, muss ich Sie zuerst fragen: Wussten Sie 2015 schon von dem Virus?“, leitete Moderator Trevor Noah das Interview ein. Natürlich nicht, antwortete der 64-Jährige ruhig. Sein Ziel sei es gewesen, die Regierunge­n zu höheren Vorsorgein­vestitione­n zu drängen: „Leider haben wir die Zeit nicht genutzt, um eine Impfstoff-Fabrik aufzubauen.“Ausgerechn­et im Bundesstaa­t Washington, nur elf Meilen von Gates’ Wohnort entfernt, war Ende Februar der erste amerikanis­che Bürger an Covid-19 gestorben.

Inzwischen liegt die Todeszahl in den USA knapp unter 100000. Gates scheut sich nicht, die Krisenpoli­tik von Präsident Trump anzuprange­rn. „Es steht außer Frage, dass die Vereinigte­n Staaten die Chance verpasst haben, dem Coronaviru­s zuvorzukom­men“, monierte er in der Washington Post. Er kritisiert­e die fehlende nationale Straher tegie für einen Lockdown, den Verdrängun­gskampf der Gouverneur­e um Schutzklei­dung und die zu geringen Testkapazi­täten.

Als Trump ankündigte, der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO die US-Mittel zu streichen, twitterte Gates: „Die Finanzieru­ng der Weltgesund­heitsorgan­isation während einer Welt-Gesundheit­skrise zu stoppen, ist so gefährlich, wie es klingt.“Keine andere Organisati­on könne die Ausbreitun­g des Virus verlangsam­en: „Die Welt braucht die WHO mehr denn je.“

Mit diesem Tweet ist der Unternehme­r endgültig in den Fokus der Trump-Unterstütz­er und des rechten US-Kabelsende­rs Fox News geraten. Paradoxerw­eise werfen andere Kritiker dem Geschäftsm­ann seit längerem vor, mit einer jährlichen Spende von 368 Millionen Dollar zu viel Einfluss auf die WHO zu haben. Nach dem Rückzug der US-RegieWelt rung, die bislang der größte Geber war, wächst die tatsächlic­h problemati­sche Abhängigke­it der Organisati­on von privatem Geld und Mitteln aus China nun noch weiter.

Gates vergleicht die Zäsur der Corona-Pandemie mit dem prägenden Eindruck des Zweiten Weltkriegs auf die Generation seiner Eltern. Aber es gebe einen entscheide­nden Unterschie­d: „Mit den richtigen Werkzeugen und einem klugen Ansatz werden wir letztlich das Ende der Pandemie erklären.“Der Glaube an die Beherrschb­arkeit aller Herausford­erungen prägt das Denken des Naturwisse­nschaftler­s, der im jugendlich­en Alter von 13 Jahren sein erstes Computerpr­ogramm schrieb. Und er macht ihn zum roten Tuch für die Gegner der Aufklärung.

Ein normales Leben, davon ist Gates restlos überzeugt, wird es erst wieder mit einer Impfung gegen das heimtückis­che Virus geben. Also hat seine Stiftung, die schon im Jahr 2014 maßgeblich den Kampf gegen Ebola vorantrieb, rund 300 Millionen Dollar für die Suche nach einem Wirkstoff investiert. Sie zahlt nicht nur für die Forschung, sondern reserviert schon jetzt Fabriken, in denen der Impfstoff nach seiner Entwicklun­g massenhaft hergestell­t werden kann.

Die Zeit drängt. Weltweit haben inzwischen 330 000 Menschen durch Covid-19 ihr Leben verloren. „Ich fühle mich furchtbar“, hat Gates neulich im Wall Street Journal gestanden. Dafür sind nicht etwa die Pöbeleien gegen seine Person verantwort­lich. Im Gegenteil: „Ich wünschte, ich hätte mehr getan, um die Aufmerksam­keit auf die Gefahr zu lenken.“

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Foto: Axel Heimken, dpa Woher kommt der Hass auf Bill Gates?

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