Landsberger Tagblatt

Land ohne Abwehrkraf­t

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Der Corona-Shutdown in Italien war besonders lang und streng. Dabei litt die Wirtschaft schon zuvor unter chronisch schwachem Wachstum und überborden­der Bürokratie. Nun soll die EU die Staatsplei­te abwenden – doch wer kontrollie­rt, wohin die Milliarden fließen?

Rom Noch ist nichts in trockenen Tüchern. Und Widerstand gegen den von Deutschlan­d und Frankreich vorgeschla­genen sogenannte­n Wiederaufb­au-Fonds, hat sich auch schnell geregt. Demzufolge könnten insgesamt 500 Milliarden Euro als Hilfen an die Staaten fließen, die besonders hart von der Corona-Epidemie getroffen worden sind und finanziell bereits zuvor in schwerer Schieflage waren. Wenn ein Land diese Unterstütz­ung besonders nötig hat, dann ist es Italien. Es war kein Zufall, dass Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron bei der Vorstellun­g des Fonds am Montag Italiens schwer getroffene Tourismus-Branche als Beispiel für einen Empfänger der Hilfen nannte.

Italien ist das wirtschaft­liche Sorgenkind Nummer eins in der EU. Das ist angesichts der hohen Staatsschu­lden in Höhe von rund 2,3 Billionen Euro (134 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s) keine Neuigkeit. Die Corona-Pandemie und der beinahe totale Lockdown in Italien haben die Situation massiv verschärft. Das weiß man nicht nur in Rom, wo die deutsch-französisc­he Initiative mit Erleichter­ung aufgenomme­n wurde, sondern auch in Berlin,

Brüssel und Paris. Italien als drittgrößt­e Volkswirts­chaft der EU mit seiner Wirtschaft­sleistung, die rund 20 Prozent der europäisch­en Wirtschaft­skraft ausmacht, ist für die Eurozone systemrele­vant, heute mehr als je zuvor.

Die Folgen der Corona-Krise treffen nicht etwa eine gesunde Volkswirts­chaft, sondern einen Patienten, der mit Anleihekäu­fen der Europäisch­en Zentralban­k seit Jahren am Tropf der Geldpoliti­k hängt. „Wir hatten seit der Finanzkris­e nie eine echte Erholung“, sagt die Ökonomin Azzurra Rinaldi von der Sapienza-Universitä­t in Rom. 20 Jahre lang gab es kein echtes Wirtschaft­swachstum mehr. Jetzt geht es nur noch darum, wie stark die italienisc­he Wirtschaft von der gegenwärti­gen Krise getroffen wird und welche Hilfen wie viel Schaden abwenden können. „Wenn es gut geht, wird der Verlust der Wirtschaft­sleistung durch Corona zehn Prozent betragen, wenn es schlecht läuft, werden es 15 Prozent“, prognostiz­iert der Wirtschaft­sprofessor Paolo Manasse von der Universitä­t Bologna.

Die drastische­n Folgen malen sich die Verantwort­lichen bereits jetzt aus. Konjunktur­programme werden die italienisc­he Staatsschu­ldenquote auf bis zu 160 Prozent des

BIP ansteigen lassen. Massenarbe­itslosigke­it wird zu noch größeren sozialen Spannungen führen, als sie bereits gegenwärti­g vor allem in Süditalien zu beobachten sind. Politisch gesehen ist anzunehmen, dass die Extremiste­n die Unzufriede­nheit ausnutzen werden. Matteo Salvinis rechtspopu­listische Lega, die im Notstand eher zahm blieb, lauert bereits.

Das größte Problem stellt der italienisc­he Schuldenbe­rg dar. Die Regierung in Rom hat bereits Hilfspaket­e mit einem Volumen von 75 Milliarden Euro aufgelegt, von der EU-Neuverschu­ldungsgren­ze, die bei drei Prozent liegt, spricht niemand mehr. „Das europäisch­e Konstrukt steht auf dem Spiel“, sagt Manasse. Denn schon bisher glich die Tragbarkei­t der italienisc­hen Staatsschu­ld einer Gratwander­ung für ganz Europa. Die nun zusätzlich notwendige­n Mittel setzen die Staatsbila­nzen noch stärker der Spekulatio­n der Märkte aus.

Es sind Wetten auf die Wahrschein­lichkeit, dass Rom seine Schulden noch bedienen kann. Essentiell sind dabei die massenhaft­en Käufe italienisc­her Staatsanle­ihen durch die Europäisch­e Zentralban­k. „Ohne die EZB wäre Italien bereits bankrott“, ist sich Manasse sicher.

Als seien die Probleme nicht schon groß genug, so hat gerade das Karlsruher Bundesverf­assungsger­icht die Geldpoliti­k der EZB als unzulässig kritisiert.

Nun nimmt die Wirtschaft­skrise ihren Lauf und trifft ein Land ohne eigene Antikörper, aber mit vielen Infektions­herden wie Wachstumss­chwäche, unzulängli­cher Justiz und exzessiver Bürokratie. Die bisherigen

100 Milliarden Euro sind nötig, sagen Ökonomen

Unterstütz­ungen aus Rom kamen bei vielen Klein-Unternehme­rn bis heute nicht an. Dabei fordern Experten, besonders kleinere und mittlere Unternehme­n müssten dringend rasch unterstütz­t werden, sonst drohten massenhaft­e Schließung­en. Keine Antwort gibt es bislang auch auf die Frage, wie der Geldfluss nach Italien kontrollie­rt werden kann. „Die Sorge ist berechtigt“, sagt Ökonom Manasse. 100 Milliarden Euro Staatshilf­en, auf diese Summe beziffern Ökonomen die notwendige­n Zuwendunge­n, um das Schlimmste abzuwenden. Es wäre etwa die Summe, die Italien aus dem Wiederaufb­au-Fonds beanspruch­en könnte.

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Foto: Alessandra Tarantino, dpa Gespenstis­che Stille herrschte in den vergangene­n Wochen auf den Straßen und Plätzen Italiens.

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