Abhaken und nach vorne blicken
Nachdem der Trainer gegen Wolfsburg fehlte, debütiert Heiko Herrlich auf Schalke an der Seitenlinie. So stellt der 48-Jährige den FC Augsburg auf das zweite Geisterspiel ein
Augsburg Ehe sich Heiko Herrlich den Journalistenfragen stellt, bemüht er sich, die Geschehnisse rund um seinen Zahnpasta-Fauxpas als Gesprächsthema kleinzuhalten. Anfang dieser Woche war er nochmals in die Offensive gegangen. Hatte unter anderem eingestanden, dass er eine Dummheit begangen hatte und zurecht Hohn und Spott über sich ergehen lassen musste. Die virtuelle Pressekonferenz am Freitag eröffnet der Trainer des FC Augsburg also, indem er sagt: Viel sei darüber berichtet worden, nun gelte es, den Blick nach vorne zu richten. Er wolle die Angelegenheit endgültig abhaken.
Der 48-Jährige hatte das Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg (1:2) von einer Arena-Loge aus verfolgt, nachdem er gegen Hygienemaßnahmen der Deutschen Fußball Liga (DFL) verstoßen und sich freiwillig Abstand zum Team verordnet hatte. DFL-Chef Christian Seifert lobte in der Süddeutschen Zeitung das Krisenmanagement Herrlichs und des FCA. So war der Brand schnell gelöscht, Zweifler am Corona-Konzept der Liga verstummten. Zumindest vorübergehend.
Mit einer Woche Verzögerung, im Auswärtsspiel auf Schalke wird Herrlich nun an der Seitenlinie debütieren (Sonntag, 13.30 Uhr/ DAZN). „Ich freue mich, dass es jetzt endlich losgeht“, sagt er. Und fügt hinzu: „Auch für mich.“
In Gelsenkirchen werden sich zwei Bundesligisten begegnen, die sich seit Wochen im Abwärtstrend befinden. Der FCA schlittert Richtung Abstiegszone, nachdem er zwischenzeitlich neun Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz besaß. Hoffnung auf einen Europapokalplatz machten sich gar die Schalker, nachdem sie mit einem Sieg gegen Mönchengladbach in die Rückrunde gestartet waren. Doch auch die Mannschaft von Trainer David Wagner kriselt gewaltig, hat seit acht Spielen nicht mehr gewonnen. Herrlich stellt nüchtern fest: „Schalke ist nicht in der Verfassung der Vorrunde.“
Ob es von Vorteil ist, diesmal in einer leeren Schalker Arena zu spielen, das sieht Herrlich zwiegespalten. Einerseits geht in den Geisterspielen der Heimspielcharakter verloren, andererseits kann bei Negativerlebnissen die Stimmung auf den Rängen kippen. Aus Anfeuerung wird Ärger und Beschimpfung. Gerade nach der 0:4-Derbyschmach in Dortmund könnten Schalkes Profis von der Ruhe im Stadion profitieren, mutmaßt Herrlich. „Die Mannschaft wird hoch motiviert sein, diese Niederlage auszugleichen. Die Spieler können ohne Publikum vielleicht sogar befreiter aufspielen.“
Mit seiner Mannschaft hat er über Erfahrungen des ersten Geisterspiels gesprochen, die Szenerie war für alle Beteiligten gewöhnungsbedürftig. Und wird sie auch bleiben. Herrlich sieht es pragmatisch, wenn
„Die Zuschauer kann man nicht herbeizaubern. Man muss lernen, mit dieser Situation umzugehen.“FCA-Trainer Heiko Herrlich
er erklärt: „Wir können die Zuschauer nicht herbeizaubern. Man muss lernen, mit dieser Situation umzugehen.“Herrlich sieht viel Verbesserungspotenzial, hat analysiert und Ansätze gefunden. Nach ruhenden Bällen strahlte der FCA gegen Wolfsburg Gefahr aus, andererseits fehlte über weite Strecken Zugriff in den Zweikämpfen. „Wir wollten gegen Wolfsburg den Turnaround schaffen. Das ist uns nicht gelungen. Jetzt versuchen wir, auf Schalke das Maximale mitzunehmen.“
Dass der Druck mit vier Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz weiter zugenommen hat, überrascht ihn wenig. Als er seinen Dienst antrat, wusste er um die Schwierigkeit seiner Aufgabe, führt Herrlich aus. „Ich habe damals gewarnt, dass die
Situation nicht unterschätzt werden darf.“Einen großen Unterschied zur Lage vor acht Wochen sieht er daher nicht, in der Rückrundentabelle stand seine Mannschaft bereits damals auf dem letzten Rang.
Personell bleibt Herrlich im Vagen. Lediglich einen Einsatz von Alfred Finnbogason schließt er aus. Der Isländer erholt sich von einer Knieverletzung und arbeitet in einer Reha an der Rückkehr ins Mannschaftstraining. Ob Abwehrspieler Jeffrey Gouweleeuw mitwirken wird, lässt er offen. Der Niederländer trainiert inzwischen wieder vollumfänglich, nachdem er in der Corona-Pause aus „diversen Gründen“– so die offizielle Auskunft – Einheiten verpasst hat. Darüber hinaus gewährt Herrlich keine Einblicke, wer einsatzfähig ist und wer nicht.