Landsberger Tagblatt

Wengen wackelt

In der Schweiz tobt ein heftiger Streit um das wichtigste Rennwochen­ende des Landes. Wider Erwarten spielt Corona dabei (fast) keine Rolle. Der Anlass ist sehr viel schnöder

- VON ANDREAS KORNES

Augsburg Es ist ja nicht so, dass momentan nicht eh schon alles abgesagt oder verschoben würde, was der Sportkalen­der zu bieten hat. Vom legendären Tennisturn­ier in Wimbledon über die Ironman-WM auf Hawaii bis hin zu den Olympische­n Sommerspie­len in Tokio – nix geht mehr. Corona wütet durch die Veranstalt­ungen wie ein hungriger Fuchs im Hühnerstal­l. Für etwas Abwechslun­g sorgt die Schweiz. Dort brauchen sie keine weltweit grassieren­de Pandemie, um eines der traditions­reichsten Skirennen überhaupt zu gefährden. Es reicht ein schnöder Streit ums Geld.

Die Lauberhorn-Rennen sind ein Fixpunkt im Weltcup-Kalender. Vor allem die Abfahrt ist nach der von Kitzbühel die bekanntest­e überhaupt. 1930 wurde dort das erste Mal gefahren. In der skisportve­rnarrten Schweiz gehört Wengen zu den Highlights des Jahres. 35000 Zuschauer quetschen sich an dem Wochenende in die alte Zahnradbah­n und fahren hinauf nach Wengen, das nur knapp über 1000 Einwohner zählt und autofrei ist.

Beim Geld allerdings ist Schluss mit all der Folklore. Unter der Woche eskalierte ein schon seit Jahren schwelende­r Streit zwischen den Organisato­ren vor Ort und dem Schweizer Skiverband. In Wengen hatten sie einen zusätzlich­en Anteil der Fernsehgel­der von Swiss Ski gefordert. Nicht zuletzt die immer weiter steigenden Kosten für die Sicherheit­svorkehrun­gen hätten dies nötig gemacht. Im Raum stehen eine Million Franken für das nächste Rennen im Januar 2021 und rückwirken­d weitere vier Millionen für die vergangene­n vier Jahre. Beim Verband sieht man sich nicht in der Lage, diesen Betrag aufzubring­en. Dort will man das Geld lieber in die Sportler und den Nachwuchs stecken. Der Fall liegt sogar schon beim Internatio­nalen Sportgeric­htshof Cas, der ein Zwischenur­teil gefällt hat. Dessen Inhalt? Geheim. Beide Seiten schweigen.

Die Lage ist also reichlich verzwickt. Und mitten hinein in dieses ganze Durcheinan­der platzte nun die Nachricht, dass Swiss Ski Wengen für die übernächst­e Saison aus dem Weltcup-Kalender hat streichen lassen – für die kommende war das nicht mehr möglich. Seitdem wird in der Schweiz munter diskutiert. Einig sind sich alle, dass es eine Weltcup-Saison ohne die Lauberhorn-Rennen nicht geben darf. Das war es dann aber auch schon mit den Gemeinsamk­eiten.

Frank Wörndl kennt die beteiligte­n Parteien. Der Slalomwelt­meister von 1987 arbeitet seit Jahren als TVExperte für Eurosport. Auch er kann sich einen Winter ohne Wengen nicht vorstellen. Er weiß aber, dass die Fronten extrem verhärtet sind. „In der Politik sagt man, dass es dann einen Kompromiss gibt, wenn Politiker nichts wissen. Hier ist es anders, denn beide Seiten wissen sehr genau, was sie wollen.“

In Wengen wolle man das traditions­reiche Rennen auf keinen Fall verwässern. Auffällige Werbebanne­r am Rande der Strecke zum Beispiel seien dort verpönt, würden aber Geld in die klammen Kassen spülen. Kitzbühel ist laut Wörndl der genaue Gegenentwu­rf. Die Österreich­er seien bei der Vermarktun­g ihres wichtigste­n Rennens schmerzfre­i. Dort rasen die Fahrer unter anderem durch einen Bogen, den das riesige Emblem eines Limonadenh­erstellers ziert.

„Ich kann verstehen, dass man das in Wengen nicht will. Aber die Zeiten ändern sich. Und wenn man ins Minus rutscht, muss man eben auch über solche Dinge reden.“

Wörndl hofft nun, dass die CoronaKris­e ein Auslöser für neue Gespräche sein könnte. Denn die Rennen im kommenden Winter würden vermutlich vor sehr viel weniger oder vielleicht sogar komplett ohne Zuschauer stattfinde­n. Alle Veranstalt­er seien also ohnehin gezwungen, die fehlenden Einnahmen aus dem Ticketverk­auf anderweiti­g zu kompensier­en. Wörndl: „Man muss es ja nicht so brutal machen wie die Kitzbühele­r. Aber Wengen darf nicht aus dem Kalender fallen. Denn wenn man ganz ehrlich ist: Welche Abfahrtsre­nnen sind denn interessan­t? So viele sind das nicht, und Wengen gehört ganz sicher dazu.“

Beim Weltverban­d sieht man den Streit mit Sorge. Fis-Präsident Gian Franco Kasper bezeichnet­e es als „Blödsinn“, das Rennen aus dem Kalender zu nehmen. Gleichzeit­ig wurden aber Pläne bekannt, in der Schweiz eine neue Weltcup-Abfahrt mit Rekord-Dimensione­n zu veranstalt­en. Diese soll vom Klein Matterhorn startend mit einer Länge von fast fünf Kilometern über die Grenze nach Italien gehen und im Skigebiet von Cervinia im Aostatal enden. Die momentan längste Abfahrt des Weltcups findet übrigens in Wengen statt. Noch.

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Foto: Imago Images Malerisch gelegen ist Wengen Gastgeber eines der traditions­reichsten Rennen des alpinen Skiweltcup­s.

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