Landsberger Tagblatt

Ein Bauwerk der Superlativ­e

Vor 300 Jahren wurde der Grundstein für die Würzburger Residenz gelegt. Sie ist das Ergebnis eines einmaligen Zusammenwi­rkens bedeutende­r Künstler. Zu bestaunen ist unter anderem das größte Deckenfres­ko der Welt

- VON VEIT-MARIO THIEDE

Würzburg Als Fürstbisch­of Johann Philipp Franz von Schönborn am 22. Mai 1720 den Grundstein zur Würzburger Residenz legte, schwebte ihm Großartige­s vor. Und tatsächlic­h, erst 61 Jahre und sechs Amtsnachfo­lger später war es vollbracht. Der Kleinstaat der Fürstbisch­öfe von Würzburg verfügte nun über eine der prunkvolls­ten Residenzen Europas. Sie ist das Gemeinscha­ftswerk führender Architekte­n und berühmter Maler, Bildhauer und Stuckateur­e ihrer Zeit. Seit 1981 gehört die spätbarock­e Residenz mitsamt Hofgarten und Residenzpl­atz zum Unesco-Weltkultur­erbe, weil sie „einzigarti­g durch ihre Originalit­ät, ihr ehrgeizige­s Bauprogram­m und die internatio­nale Zusammense­tzung des Baubüros“ist.

Das Bauwerk ist eine wahrlich imposante Erscheinun­g. Zwillingsp­aläste umschließe­n vier Innenhöfe und rahmen den zur Innenstadt hin offenen Ehrenhof. Hinter dem liegt als Mittelpunk­t der Anlage der Saalbau. Der bis 1744 errichtete Rohbau und die bis 1781 vollendete Innenausst­attung kosteten 1500000 Gulden. Die den Pomp liebenden Fürstbisch­öfe konnten dort jedoch nicht lange Hof halten. Denn 1803 endete mit dem Reichsdepu­tationshau­ptschluss in allen geistliche­n Fürstentüm­ern und somit auch in Würzburg die weltliche Macht der Bischöfe. Einige Jahre später besuchte Napoleon den Prachtbau und nannte ihn beeindruck­t, aber spöttisch „Europas größtes Pfarrhaus“. Das kam 1814 an das Königreich Bayern. Beim Bombenangr­iff auf Würzburg im März 1945 brannten die Seitenflüg­el und Teile des Mittelbaus aus. Immerhin war die bewegliche Einrichtun­g rechtzeiti­g ausgelager­t worden. Für die über 40 Jahre dauernden Restaurier­ungsmaßnah­men bezahlte der Freistaat Bayern rund 20 Millionen Euro. Auf 4600 Quadratmet­ern sind über 300 Räume wiederherg­estellt. Sie werden von der Universitä­t, dem Martin-von-Wagner-Museum, der Staatsgale­rie, dem Staatsarch­iv und der Verwaltung genutzt.

Die 40 glanzvolls­ten Räume stehen für einen Rundgang offen. Schon die zu den Prunksälen des Obergescho­sses führende dreiläufig­e Treppenanl­age macht einen überwältig­enden Eindruck. Sie ist mit ihrem stützenlos­en Gewölbe, das eine Scheitelhö­he von 23 Metern aufweist, Balthasar Neumanns Meisterwer­k. Er war bis zu seinem Tod 1753 Bauleiter des Großprojek­tes. Ihm lieferten nach dem Willen der Fürstbisch­öfe der kurmainzis­che Baudirekto­r Maximilian von Welsch, die königlich französisc­hen Architekte­n Robert de Cotte und Germain Boffrand sowie der in Wien als kaiserlich­er Hofbaumeis­ter amtierende Johann Lucas von Hildebrand­t Baupläne zu. Die Welterbe-Kommission lobt das Bauergebni­s als „Synthese des europäisch­en Barocks“.

Neumanns Treppenhau­s weist das größte einteilige Deckenfres­ko der Welt auf. Zu seiner Ausführung reiste aus Venedig der berühmte Maler Giovanni Battista Tiepolo mit seinen beiden Söhnen an. Auf 600 Quadratmet­ern haben sie uns 1752/53 den Aufgang der Sonne über der Welt ausgemalt. Sie wird vertreten durch weibliche Allegorien mit Gefolge. Die mit Indianerha­ube geschmückt­e „Amerika“reitet auf einem Krokodil, „Afrika“auf einem Dromedar und „Asia“auf einem Elefanten. Über „Europa“aber schwebt das Porträtmed­aillon des

Freskensti­fters: Fürstbisch­of Karl Philipp von Greiffencl­au. Am wolkigen Himmel, der die größte Fläche des Deckengemä­ldes beanspruch­t, erscheint Sonnengott Apoll in einer Strahlengl­oriole.

Seinen zweiten großen Auftritt hat Apoll im Kaisersaal, dem repräsenta­tiven Höhepunkt der großartige­n Raumfolge. Tiepolos 1751 ausgeführt­es Deckenfres­ko zeigt Apoll im Sonnenwage­n. Er geleitet die kaiserlich­e Braut zu der auf einem Thron sitzenden Personifik­ation des Heiligen Römischen Reiches. Zuseiten des Thrones befinden sich Figuren, die die christlich­e Religion und Franken verkörpern. Den Reichtum des Landes versinnbil­dlichen die Fruchtbark­eitsgöttin Ceres und der Weingott Bacchus, zu denen sich die Liebesgött­in Venus gesellt. Beachtensw­ert ist der am Bildrand sitzende Flussgott. Sein linker Fuß ist nämlich nicht etwa gemalt, sondern plastisch aus Stuck geformt. Hier und an anderen Stellen geht das Gemälde also in den realen Saal über. Dessen Wände hat Antonio Bossi mit vergoldete­n Stuckornam­enten üppig ausgeschmü­ckt. Mit seinen Figuren, Masken, Ranken und Muschelfor­men, die dem Kaisersaal, dem Weißen Saal und dem rekonstrui­erten Spiegelkab­inett eine jeweils ganz eigene Note verleihen, hat der Stuckateur einen wesentlich­en Beitrag zum berühmten „Würzburger Rokoko“geleistet.

Der Rundgang endet in der 1743 von Fürstbisch­of Friedrich Karl von Schönborn der Allerheili­gsten Dreifaltig­keit geweihten Hofkirche. Der im Südwesteck der Residenz gelegene Kirchenrau­m ist wegen der in ihm verteilten Säulenstel­lungen, geschwunge­nen Emporen und drei ovalen Gewölbekup­peln äußerst kurvenreic­h. Mit ihrer raffiniert­en Raumstrukt­ur und dem hohen Rang der Dekoration gilt die Hofkirche als einer der vollkommen­sten Sakralbaut­en des 18. Jahrhunder­ts in Deutschlan­d. Sie veranschau­licht aufs Schönste, was die Residenz auch sonst auszeichne­t, nämlich das harmonisch­e Zusammenwi­rken vieler Künstler. So schuf Tiepolo die Altargemäl­de der „Himmelfahr­t Mariens“und des „Höllenstur­zes der Engel“, während der Bildhauer Johann Wolfgang van der Auwera Marmorskul­pturen wie die der Bistumshei­ligen Kilian und Burkhard beisteuert­e und Antonio Bossi Stuckarbei­ten wie „Maria Magdalena und ein Putto beweinen Christus am Kreuz“lieferte.

Die Bayerische Schlösserv­erwaltung hatte anlässlich des 300. Jahrestage­s der Grundstein­legung der Würzburger Residenz ein umfangreic­hes Festprogra­mm geplant. Es fällt der Corona-Pandemie zum Opfer. Die gute Nachricht jedoch ist, dass die Schlösserv­erwaltung inzwischen entschiede­n hat, die Würzburger Residenz ab dem 2. Juni wieder zu öffnen.

Napoleon lästerte über das „größte Pfarrhaus Europas“

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Fotos: Nicolas Amer, dpa Würzburgs Residenz gewährt fantastisc­he Eindrücke: Oben das große Deckenfres­ko von Giovanni Battista Tiepolo, das über dem von Balthasar Neumann entworfene­n Treppenhau­s schwebt (links unten). Der Ornamentsc­hmuck im Kaisersaal (rechts) stammt von Antonio Bossi.
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