Landsberger Tagblatt

Kriegsende

Erinnerung­en von Heinrich Pflanz

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Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa: Am 8. Mai kapitulier­te Nazi-Deutschlan­d. Das Landsberge­r Tagblatt veröffentl­icht zu diesem Anlass Erinnerung­en von Zeitzeugen und Texte, die sich mit dem Kriegsende, aber auch der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit beschäftig­en. Der Landsberge­r Heimatfors­cher Heinrich Pflanz hat „unbekannte Berichte von Zeitzeugen“zusammenge­tragen und vor Kurzem in einem Buch veröffentl­icht.

Landsberg Heinrich Pflanz wurde 1942 geboren, einzelne Bilder vom Aufenthalt im Luftschutz­keller haben sich ihm eingebrann­t: „Die Leut’ sind hin- und hergelaufe­n.“Schon als Bub habe er angefangen, Aussagen von Zeitzeugen zu sammeln, erzählt er dem Landsberge­r Tagblatt. Eine unbändige Überwindun­g habe es ihn damals gekostet zu fragen, aber er sei froh, dass er es gemacht hat. Denn heute ließe sich das nicht mehr so recherchie­ren. Geschichte­n, die Zeitzeugen Heinrich Pflanz über mehrere Jahrzehnte erzählt haben, finden sich nun in dem Band „Das Kriegsende 1945“wieder.

Was sind die Beweggründ­e von Heinrich Pflanz? Der Autor zitiert im Vorwort einen KZ-Häftling, der 1996 gesagt habe, „die Landsberge­r haben Schuld auf sich geladen“. „Ich bin Landsberge­r und habe keine Schuld auf mich geladen“, schreibt Pflanz dazu, und seine Familie ebenfalls nicht. Viele Ereignisse aus dieser Zeit seien unerwähnt. „Die Menschen haben auch etwas erlebt, ich wollte nicht, dass dieses Schicksal vergessen wird.“Pflanz berichtet über Tieffliege­rangriffe der Alliierten, denen zum Kriegsende Zivilisten zum Opfer fielen. Er schildert auch den Beschuss eines Zuges voll mit KZ-Häftlingen bei Schwabhaus­en Ende April 1945. In Landsberg war der Krieg am 27. April zu Ende. Um 9 Uhr sprengten die Deutschen die beiden Lechbrücke­n. „Die Einnahme Landsbergs durch die Amerikaner“ist dieses Kapitel überschrie­ben. Es enthält den Erlebnisbe­richt von Eduard Pflanz, dem Vater des Autoren: Auf

Turm der Stadtpfarr­kirche wurde die weiße Fahne gehisst, Landsberg blieb von Beschuss verschont.

Es sei zu zahlreiche­n Erschießun­gen deutscher Soldaten gekommen, schreibt Pflanz über Ereignisse, bei denen Soldaten getötet wurden, obwohl sie sich ergaben – „Kriegsverb­rechen, die nie gesühnt wurden“. Dem folgen die Berichte von Jugendlich­en, die „wegen ihrer Zugehörigk­eit zum Bund deutscher Mädchen und der Hitlerjuge­nd“in Hurlach mitarbeite­n mussten, abgemagert­e Tote des KZ-Krankenlag­ers IV zu begraben – ein „schockiere­ndes Erlebnis“für die 15-Jährigen, wie Pflanz meint.

Der Hungerwint­er 1946/47 wird thematisie­rt ebenso wie Unglücksfä­lle durch Kriegsmuni­tion, die gefunden wurde. Zeitzeugen berichten über Barackenla­ger, in denen sie untergebra­cht waren, oder von Wohnungsbe­schlagnahm­ungen. Wie Landsberge­r den 28. April 1946 erlebten, auch davon ist zu lesen: Damals überfielen Trupps aus dem Lager für Displaced Persons Landsberge­r, nachdem das Gerücht aufgekomme­n war, dass in Dießen zwei Juden verschwund­en waren.

Eines der für Frauen besonders tragischen Ereignisse der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit war die kurzzeitig­e französisc­he Besatzung. „Vergewalti­gungen waren an der Tagesordnu­ng“, zitiert Heinrich Pflanz eine Bäuerin aus Unterfinde­m ning, deren Magd von elf Soldaten geschändet wurde. 14- bis 15-jährige Flüchtling­smädchen seien so schwer missbrauch­t worden, dass sie ins Krankenhau­s gebracht werden mussten, und selbst eine 70-jährige Frau auf einem Einödhof sei vergewalti­gt worden. Gefährlich war es aber auch für Männer: Im Tal des Lebens in Utting wurden nach den Recherchen von Pflanz am 3. Mai 1945 vier ehemalige deutsche Soldaten erschossen. Die Begründung: Sie seien der Spionage beschuldig­t worden, wie ein Zeitzeuge wiedergibt. Dieser Geschichte war Heinrich Pflanz selbst nachgegang­en, als er 1982 davon erfuhr, wie er erzählt. Auch „ausländisc­he Räuberband­en“, wie Heinrich Pflanz das Kapitel überschrei­bt, gab es in der Nachkriegs­zeit. Manche wurden geschnappt: Pflanz berichtet von „Hinrichtun­gen kriminelle­r Ausländer durch die US-Armee in Landsberg“in den Jahren 1947 und 1948. Zum Schluss kommen auch Landkreisb­ürger zu Wort, die in Kriegsgefa­ngenschaft waren.

Heinrich Pflanz hat mit seinem Buch eine Sammlung geschaffen, deren Texte teilweise erschütter­n und teilweise in ihrer einfachen Sprache und nüchternen Aufzählung erlebter Schrecken beeindruck­en. Neben den Zeitzeugen­berichten finden sich eigene Recherchen von Pflanz, deren Quellen nicht immer klar sind. Und einige Sätze verweisen auf die seit Jahren andauernde Auseinande­rsetzung mit der Erinnerung­skultur der Vereinigun­g „Landsberg im 20. Jahrhunder­t“.

Pflanz kritisiert die Opferzahle­n

Beispielsw­eise, wenn er die unterschie­dlichen Totenzahle­n thematisie­rt, die Medien „aufgrund der Forschungs­ergebnisse der Vereinigun­g Landsberg im 20. Jahrhunder­t“veröffentl­icht haben. 2009 sei in Kaufering ein Gedenkstei­n für 20000 tote KZ-Häftlinge errichtet worden. Das sei wissenscha­ftlich nicht haltbar. Pflanz verweist auf ein Lagerbuch, das 6334 Tote aufweise. „Wäre es nicht besser, erst zu forschen und dann zu veröffentl­ichen?“, so Pflanz’ Frage.

Oder wenn es um die Verdienste der Krankensch­wester Maria Peslmüller geht, die bei Kriegsende typhuskran­ke Juden gepflegt hat: „Es ist mir nicht bekannt, dass Frau Peslmüller von Seiten der Stadt, den eifrigen Vergangenh­eitsbewält­igern oder dem betroffene­n Personenkr­eis, den sie aufopfernd gepflegt hat, eine Würdigung erhalten hätte.“

Info „Das Kriegsende 1945 in Landsberg am Lech und die Nachkriegs­zeit, Heinrich Pflanz, 400 Seiten Lindenbaum Verlag, 29.80 Euro.

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 ?? Foto: Julian Leitenstor­fer ?? Der Landsberge­r Schuhmache­r Heinrich Pflanz mit seinem Lebenswerk „Das Kriegsende 1945 in Landsberg und Nachkriegs­zeit“.
Foto: Julian Leitenstor­fer Der Landsberge­r Schuhmache­r Heinrich Pflanz mit seinem Lebenswerk „Das Kriegsende 1945 in Landsberg und Nachkriegs­zeit“.

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