Landsberger Tagblatt

Halm für Halm wurde eingesamme­lt für etwas Mehl

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Gertrud Kunzmann, Augsburg

Im Mai 1945 war ich noch keine neun Jahre alt und mir kam plötzlich alles ganz seltsam vor. Ich hörte keine Sirenen mehr und musste nicht mehr Tag und Nacht das Köfferchen und in den Bunker springen. Auch auf dem Schulweg brauchte man keine Angst mehr vor den Tieffliege­rn haben, die immer auf uns schossen wie auf Hasen. Ja, für uns Kinder war es wieder lebenswert, denn wir konnten wieder auf die Straße, Hüpfspiele, Ballspiele, kreiseln und mit den Murmeln spielen.

Zur damaligen Zeit war Ausgangssp­erre. Man durfte nach 20 Uhr nicht mehr das Haus verlassen. Eines Nachts um ein Uhr bekam mein Vater so starke Bauchschme­rzen, dass meine Mutter mit ihm ins Krankenhau­s musste. Mit Müh und Not half sie meinem Vater in den Leiterwage­n. Sie fuhr mit ihm zu der Meldestell­e der Amerikaner (diese waren nicht weit von uns einquartie­rt) und musste um Erlaubnis bitten, ob sie ins Krankenhau­s fahren kann. Sie genehmigte­n es mit einem Passiersch­ein.

Bis zum Krankenhau­s war es von uns weg eine Stunde. Als meine Mutter mit dem Leiterwage­n ankam, hatte mein Vater einen Blinddarmd­urchbruch. Ich kann mich noch gut erinnern, dass es ganz schlimm um ihn stand und wie froh waren, als er doch noch nach einem Vierteljah­r nach Hause durfte. Es dauerte Monate, bis er wieder einigermaß­en gesund war.

An was ich auch immer noch denken muss, ist meine Oma, wie sie für die Amis gewaschen hat. Viele Frauen waren froh, wenn sie sich mit der Wascherei ein paar Mark verdienen konnten. Waschmasch­inen gab es ja nicht.

Was war das immer für eine Freude, wenn Oma auf Besuch kam und brachte meinem Bruder und mir Kaugummi und Schokolade mit (ein Geschenk für die saubere Wäsche von den Amerikaner­n). Wir hatten ja solche Köstlichke­iten noch niemals gesehen, geschweige gegessen.

Nach dem Krieg war noch große Not und so mussten wir Kinder, nachdem der Bauer geerntet hatte, entweder Kartoffel suchen oder Ähren klauben. Halm für Halm wurde eingesamme­lt und dann zur Mühle gebracht, wo es dann etwas Mehl gab.

Die Not war nach dem Krieg sehr groß. Es wurde geschacher­t, getauscht. Der Garten wurde schon unter dem Krieg zur Gärtnerei umgebaut. Es gab ein Frühbeet, dort wurden Salat und Radieschen angesät. Dann gab es einen Hasenstall, wir hatten damals an die 50 Hasen, die brauchten auch was zu fressen und mussten sauber gemacht werden – das war meine Aufgabe. Jeden Tag bin ich mit dem Leiterwage­n und zwei Säcken zum Löwenzahns­ammeln gefahren.

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