Landsberger Tagblatt

Ein kostbarer Mantel

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Elisabeth Glätzer, Nördlingen

Am 8. 5. 1945 war ich fast genau sechs Jahre alt. Wir wohnten im Eschenweg 3: meine Mama, meine Schwester, sie war zehn Jahre älter als ich, und meine zukünftige Schwägerin. Diese wohnte seit März 1945 bei uns. Sie stammte aus Nürnberg und hat im Februar 1945 ihre Mutter und ihren Bruder bei einem Bombenangr­iff auf Nürnberg verloren. Ihr Vater war im Krieg und so hat meine Mutter sie selbstvers­tändlich bei uns aufgenomme­n. Mein Vater war in Russland. Mein Bruder wurde noch 1944 im Alter von 18 Jahren eingezogen.

Unser Haus und neun Nachbarshä­user waren damals am Ende der Stadt und ich weiß genau, dass wir damals am 8. Mai 1945 weiße Betttücher aus den Fenstern hingen, als die Amerikaner auf dem Feldweg von Deiningen her nach Nördlingen einfuhren.

Eines Tages erfuhr meine Mama, dass Papa heimkommt. Sie sagte zu mir: Der Mann, der heute mit Onkel Karl kommt, das ist dein Papa. (Onkel Karl war nicht im Krieg, er hatte eine Beinverlet­zung.) Ich war sehr reserviert bei der Begrüßung, kannte ich doch Papa kaum. Aber Mama, meine Schwester und Schwägerin waren im Glück. Mein Bruder kam am 7.1.1947 aus der amerikanis­chen Gefangensc­haft. Ich weiß noch genau: mit einem großen Seesack. In seinen schweren Mantel hatte er ein Stück Lodenstoff genäht, da bekam ich einen Mantel davon! In dieser Zeit ein kostbares Kleidungss­tück. Mein Bruder und meine Schwägerin haben bald geheiratet, denn es war damals nicht erlaubt, dass sie ledig bei uns zu zweit lebten!

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