Landsberger Tagblatt

Ich hatte oft Hunger

-

Elfriede Göttlicher, Augsburg

Als am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg endete, war ich viereinhal­b Jahre alt und lebte mit meiner Familie am Milchberg in Augsburg. Ich ging in die Kinderschu­le, den heutigen Kindergart­en, und in meinem Brotzeittä­schchen steckten drei gekochte kalte Kartoffeln. Tante Klara schenkte dazu ungezucker­ten Kamillente­e aus. In der Kinderschu­le war die Auswahl an Spielzeug mehr als dürftig. Wir konnten weder basteln noch malen, da es an Material fehlte. Oft spielten wir Lazarett: Den Buben verpassten wir mit Schals einen Verband um den Kopf oder sie bekamen einen Arm in die Schlinge. Stöhnend mussten sie sich auf die Bänke legen und wir Krankensch­western eilten herbei.

Es gab noch keine Spielplätz­e. So trafen wir uns immer heimlich in den Trümmergru­ndstücken der zerbombten Bäckergass­e. Mit Gänsehaut stiegen wir die halb verschütte­ten Kellertrep­pen hinab. Es war so schön gruselig, wenn wir die Ratten und Mäuse jagten. Wir sprangen auf den vergammelt­en Matratzen, dass die Flöhe nur so hüpften. Unser Abenteuer erlebten wir auf der Straße unseres Viertels.

Ich war zwar noch klein, aber ich wusste bereits, was hungern und frieren bedeutet. Mama musste oft lange für Nahrungsmi­ttel anstehen. Jeder bekam nur eine bestimmte Ration zugeteilt, egal ob der Hunger klein oder groß war. Als ich an einem Nachmittag allein zu Hause war, stieg mir der Duft frisch gebackenen Brotes in die Nase. Ich bekam sofort Heißhunger und nagte den Brotkipf vorne und hinten an. Meine Eltern vermuteten Mäuse und gingen auf die Jagd. Diese blieb natürlich erfolglos. Auch die Kohlen waren rationiert. Wenn ich fror, steckte mich Mama ins Bett und ich durfte in ihrem „Dr. Oetker“-Kochbuch die Kuchen, Torten, Plätzchen und Puddings bestaunen. Da knurrte mir dann leider wieder der Magen.

1946 kam ich in die Schule und erlebte einen eisigen Winter. Da unsere Schule noch zerstört war, lernten wir in der ehemaligen Seifenfabr­ik. Wegen Kohlemange­l konnte nicht geheizt werden. Durch die Ritzen der notdürftig reparierte­n Fenster wehte der Wind die Schneefloc­ken bis auf unsere Schulbänke. Eingemumme­lt in Mantel, Schal, Pudelmütze und dicke Fäustlinge trotzten wir der Kälte. Die Griffel und die Schieferta­fel mussten erst mal im Ranzen bleiben. Unsere Lehrerin las uns mit roter Nase Geschichte­n vor. Zwischendu­rch machten wir uns mit Kniebeugen, Windmühlen und „Häschen hüpf“wieder warm. Ein aufregende­s Erlebnis werde ich nie vergessen: Beim Spielen mit meiner Freundin fand ich zufällig mir fremde neue Geldschein­e. Da ich ja nur die Reichsmark kannte, dachte ich, es sei Spielgeld. Ich schenkte es großzügig meiner Freundin für ihren Kaufladen. Der Schreck meiner Eltern war groß, als sie das wertvolle „Kopfgeld“nicht mehr fanden. Der Vater meiner Freundin entdeckte die D-Mark-Scheine im Kaufladen und brachte mein Geschenk unverzügli­ch und vollzählig zurück.

Newspapers in German

Newspapers from Germany