Landsberger Tagblatt

Als Waisen auf der Flucht

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Ursula Baumeister, Günzburg

Ein Jahr vor Ausbruch des Zweiten Weltkriege­s wurde ich in Breslau (Schlesien) als zweites Kind des Amtsgerich­tsrates Dr. R. Kimmel geboren. Unser Vater war seit 1930 als Richter in Breslau tätig. Er wurde im September 1939 eingezogen, kam sofort an die Front. Er ließ drei kleine Kinder zurück. Er fiel 1942 im Sumpfgebie­t am Wolchow bei Leningrad. Unsere Mutter starb 1943 im Alter von 37 Jahren in Breslau. Wir waren nun Waisen, doch ein gütiges Schicksal ermöglicht­e uns das Überleben.

Am 22. Januar 1945 begann unsere Flucht aus Breslau. Sie dauerte vier Monate, bis wir Anfang Mai in München ankamen. Unsere Großeltern und Tante Margot, 38 Jahre alt, organisier­ten die Flucht mit dem Zug gen Westen. Wir wollten nach Dresden, doch der Zug hielt nicht. So sind wir dem sicheren Feuertod entkommen.

Die Flucht war aber voller Gefahren. Auf uns wurden Phosphorbo­mben geworfen, Tieffliege­r verfolgten uns, Hunger und Durst quälten uns. Als wir endlich Anfang Mai in der zerbombten Stadt München ankamen, wurden wir im Marien-LudwigFerd­inand-Kinderheim aufgenomme­n. Der Leiter des Kinderheim­es Prälat Dr. Peter Dörfler, geb. 1878 in Untergerma­ringen/Schwaben, war Priester und Heimatdich­ter. Er setzte seiner schwäbisch­en Heimat 1912 sein erstes literarisc­hes Denkmal: „Als Mutter noch lebte“. Als Dank, dass das Heim von Bomben verschont geblieben war, nahm er unsere Familie auf. 1961 heiratete ich nach Günzburg. Seit dem 8. Mai 1945 sind nun 75 Jahre vergangen. Ich bin dankbar, dass ich noch Zeitzeugin sein darf.

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