Landsberger Tagblatt

Zwei gigantisch­e Explosione­n erschütter­n Beirut

Inmitten politische­r Turbulenze­n kommt es im Libanon zu dramatisch­en Szenen

- VON MARTIN GEHLEN

Beirut Hochhäuser schwankten, Balkone krachten zu Boden, Fenster rissen aus ihren Verankerun­gen. Auf der Stadtautob­ahn in Beirut türmten sich zerbeulte Autos mit aufgerisse­nen Türen und aufgeblase­nen Airbags. Weite Teile des Hafens und seiner Umgebung waren übersät mit Ziegeln, Betonteile­n und zerborsten­en Containern.

Zwei gigantisch­e Explosione­n erschütter­ten am Dienstagna­chmittag die libanesisc­he Hauptstadt, die bis in das 240 Kilometer entfernte Zypern zu hören waren. Handyvideo­s zeigten eine riesige Staub- und Feuerwalze, die sich über die umliegende­n Wohnvierte­l wälzte. „Es war wie eine Atombombe“, sagte einer der Augenzeuge­n, ein 43-jähriger

seit dem Ende des Bürgerkrie­gs 1990 steckt. Der Zedernstaa­t, einst gepriesen als „die Schweiz des Orients“, ist bankrott. In seinem maroden Banksystem sind mindestens 80 Milliarden Dollar versickert, wahrschein­lich sehr viel mehr. Der Wert der libanesisc­hen Lira fällt seit Monaten ins Bodenlose, die Gehälter haben mittlerwei­le 80 Prozent ihrer Kaufkraft eingebüßt.

Breite Teile der Bevölkerun­g im Libanon haben wegen der Inflation ihre Ersparniss­e verloren. Die Hälfte aller Bürger lebt an der Armutsgren­ze. Immer mehr Geschäfte müssen schließen. Krankenhäu­ser können ihr Personal nicht mehr bezahlen, während die Zahl der Corona-Infektione­n seit Anfang Juli rasant steigt. Weite Teile des Landes sind jeden Tag bis zu 20 Stunden ohne Strom. Selbst die Hauptstadt Beirut liegt abends weitgehend im Dunkeln. Stinkende Müllberge stapeln sich in den Straßen. Die Verhandlun­gen mit dem Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) stecken in einer Sackgasse, weil sich Beiruts politische Klasse nicht auf ein Reformprog­ramm einigen kann.

Zudem will das „Sondertrib­unal für den Libanon“in Den Haag in dieser Woche am Freitag nach sechs Jahren Prozess das Urteil im HaririProz­ess verkünden. Vor 15 Jahren wurde der Milliardär und langjährig­e Ministerpr­äsident Rafik Hariri in Beirut durch eine Zwei-TonnenLast­wagenbombe getötet, die eine ganze Häuserzeil­e in Schutt und Asche legte. Mit ihm starben damals 21 Menschen, 226 wurden verletzt. Angeklagt sind vier Tatverdäch­tige der Hisbollah. Alle sind untergetau­cht, niemand ist bis heute gefasst. Und so könnten die Urteile angesichts der aufgewühlt­en Lage im Land die Spannungen zwischen der schiitisch­en Hisbollah und den sunnitisch­en Libanesen neu entfachen.

Am Dienstagab­end hat das Nachbarlan­d Israel humanitäre Hilfe angeboten. „Unter Anweisung von Verteidigu­ngsministe­r Benny Gantz und Außenminis­ter Gabi Aschkenasi hat Israel sich an den Libanon durch internatio­nale diplomatis­che und Verteidigu­ngs-Kanäle gewandt“, teilten beide Minister in einer gemeinsame­n Stellungna­hme mit. Der libanesisc­hen Regierung sei „medizinisc­he humanitäre Hilfe“angeboten worden. Der Libanon und Israel haben keine diplomatis­chen Beziehunge­n. Offiziell befinden sich die beiden Länder noch im Krieg. Libanesen ist jeglicher Kontakt mit Israelis verboten.

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Foto: Hassan Ammar, dpa Riesige Rauchsäule­n stiegen am Dienstag über Beirut auf. Mindestens 50 Menschen starben durch die Explosione­n, tausende wurden verletzt.

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