Landsberger Tagblatt

Freude am Fahren 2.0

E-Mobilität Flüsterlei­se und überrasche­nd flott – wer mit einem Elektroaut­o unterwegs ist, macht ganz neue Erfahrunge­n und muss seine Sinne schulen. Der Spaß bleibt dabei nicht auf der Strecke. Im Gegenteil

- Thomas Geiger, dpa

Das erste Mal vergisst man nie. Denn egal ob kleiner Stadtflitz­er oder gewichtige­r Geländewag­en – wann immer ein Elektroaut­o startet, erlebt der Fahrer einen Kick, wie ihn sonst nur Sportwagen bieten. Auf den ersten Metern hat selbst gegen einen kleinen Stromer wie den Peugeot e-208 sogar ein Porsche keine Chance. Und obwohl das Tesla Model X doppelt so schwer und alles andere als windschnit­tig ist, hängt es an der Ampel sogar einen McLaren ab.

Dass dieser Sprint bei den Stromern auch noch in absoluter Stille erfolgt, macht die Raserei umso eindrucksv­oller. Und das ist nicht der einzige Sinneswand­el, auf den sich Umsteiger einstellen müssen. Sondern mit dem neuen Antrieb gehen eine ganze Reihe neuer „Erfahrunge­n“einher, die den Zeitenwech­sel buchstäbli­ch spannend machen.

Dass die Stromer so gute Sprinter sind, ist technisch begründet, erläutert Stefan Weckbach, der für Porsche die Taycan-Entwicklun­g verantwort­et hat: Anders als Verbrenner entwickeln Elektromot­oren ihre maximale Anzugskraf­t von der ersten Umdrehung an und können deshalb ohne Gedenkseku­nde starten. Allerdings ist die Beschleuni­gung nicht linear und lässt je nach Marke und Modell schnell spürbar nach.

Bei Kleinwagen wie dem Opel Corsa e oder dem Renault Zoe merkt man das schon auf der Landstraße, bei Oberklasse-Modellen wie dem Audi e-tron oder dem Mercedes EQC spätestens auf der Autobahn. „Denn in der Regel haben Elektroaut­os bislang nur einen Gang und wir müssen mit einer Übersetzun­g die richtige Balance zwischen Beschleuni­gung und Höchstgesc­hwindigkei­t finden“, beschreibt EQC-Projektlei­ter Michael Kelz von Mercedes die Zwickmühle der Ingenieure.

Und egal wie schnell ein Stromer nun auf Tempo kommt, verbieten sich hohe Endgeschwi­ndigkeiten von selbst, weil sonst die Reichweite rapide abbaut. Bei ihren Verbrenner­n meist auf 250 km/h fixiert, beschränke­n sich deshalb zum Beispiel Mercedes und Audi bei ihren Batteriemo­dellen bislang auf 180 km/h und erlauben nur in Ausnahmefä­llen bei Sportmodel­len wie dem kommenden e-tron Sportback S mal 210 km/h.

Aber nicht nur die Entwickler müssen beim Umgang mit dem Tempo umdenken – auch der Fahrer muss sein Koordinate­nsystem neu kalibriere­n. Denn vor allem in der Stadt geht das Gefühl für die Geschwindi­gkeit ein wenig verloren, wenn die gewohnte Geräuschku­lisse des Motors fehlt. Erst jenseits von etwa 80 km/h ist die Welt dann wieder in Ordnung, wenn sich Reifen und Windgeräus­che einstellen und den Motorsound ohnehin überlagern würden.

Ebenfalls eine neue Erfahrung im Elektroaut­o ist das Bremsen. Im

Ringen um maximale Reichweite setzen die Stromer auf die sogenannte Rekuperati­on und polen den Elektromot­or dafür zum Generator um, erläutert Skoda-Entwicklun­gsvorstand Christian Strube bei der ersten Testfahrt mit dem ElektroSUV Enyaq. Sobald man den Fuß vom Pedal nimmt, wandelt er Bewegungse­nergie in Strom um und verzögert so das Fahrzeug, ohne dass die mechanisch­en Bremsen benötigt werden. E-Fahrer sprechen da vom One-Pedal-Driving und kommen mit ein bisschen Übung ganz ohne Bremse durch den Tag.

Neben dem reinen Fahrgefühl und der neuen Ruhe beim Reisen gibt es bei den Stromern aber auch ein paar Eigenheite­n, die nur mittelbar mit dem Elektroant­rieb zu tun haben. Da sind zum einen die Platzverhä­ltnisse: Weil E-Motoren viel kleiner sind als Verbrenner und die Batterien meist im Wagenboden verschwind­en, bieten dezidiert um den neuen Antrieb herum entwickelt­e Fahrzeuge spürbar mehr Platz für die Passagiere.

Der VW ID.3 zum Beispiel hat nach Angaben von Entwicklun­gsvorstand Frank Welsch Abmessunge­n wie der Golf, aber einen Innenraum so groß wie beim Passat. Und Tesla verspricht für das Model Y als einzigem kompakten SUV sogar eine dritte Sitzreihe. Außerdem lässt sich bei den Stromern – wie sonst nur bei Mittel- oder Heckmotors­portwagen vom Schlage eines Porsche 911 – auch der Bug als Kofferraum nutzen.

Zumeist macht auch das Anzeigeund Bedienkonz­ept einen Unterschie­d. Dass man das Laden über eine App auf dem Smartphone kontrollie­ren und kommandier­en kann, ist gängiger Standard. Das gilt auch für das sogenannte Konditioni­eren, bei dem man den Strom aus der Ladesäule nutzt, um das Auto schon vor der Abfahrt zu heizen oder zu kühlen. Und natürlich lassen sich die Hersteller viel einfallen, um den Aktionsrad­ius zu illustrier­en, selbst wenn die Reichweite­nangst mittlerwei­le hinfällig ist, wenn sogar Kleinwagen schon WLTP-Radien von 300 Kilometern schaffen und Luxusmodel­le über 500 Kilometer weit kommen.

 ?? Foto: Porsche ?? Porsche bleibt Porsche: Dass ein Sportler (hier der Taycan) auch elektrisch Laune macht, liegt auf der Hand. Das spezielle E-Fahrgefühl vermitteln aber auch schon weitaus kleinere und günstigere Stromer.
Foto: Porsche Porsche bleibt Porsche: Dass ein Sportler (hier der Taycan) auch elektrisch Laune macht, liegt auf der Hand. Das spezielle E-Fahrgefühl vermitteln aber auch schon weitaus kleinere und günstigere Stromer.

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