Im Landtag bleibt bald die Küche kalt
Nach rund 30 Jahren hört die Wirtin auf. Warum den Abgeordneten nun harte Zeiten bevorstehen könnten
München Ohne Mampf kein Kampf – was für die Bundeswehr gilt, das gilt in abgewandelter Form auch für den Bayerischen Landtag. Wer vernünftige Politik machen soll, der muss anständig essen. Rund drei Jahrzehnte lang sorgte Wirtin Eva Mühlegg, 54, dafür, dass den Abgeordneten, ihren Mitarbeitern und den Beschäftigten des Landtagsamtes nicht die Mägen knurren. Nun musste sie wegen Corona kapitulieren – und guter Rat ist teuer. Die Bewirtschaftung des Landtags nämlich ist mit einem normalen Gastronomiebetrieb kaum zu vergleichen.
Das liegt nicht nur an den Eigenheiten der Volksvertreter. Von denen gab und gibt es nicht wenige, wie Mühlegg weiß. Sie gilt im Landtag als Institution und passte das Angebot in der Gaststätte stets den Wünschen der Politiker an, so gut es eben ging. Das bedeutete vor allem: Hausmannskost statt internationaler Küche. Gegenüber Neuerungen auf der Speisekarte waren die Volksvertreter in den drei Jahrzehnten nicht unbedingt aufgeschlossen. Einen regelrechten Aufstand gab es wegen Straußenfleisch während der BSE-Krise. Sie beharrten auf heimischen Spezialitäten aus Franken, Schwaben und Altbayern. Einige fungierten gar als Namensgeber für kulinarische Besonderheiten. Es gab den „Barbara-Becher“(Vanilleeis mit Eierlikör, benannt nach Ex-Landtagspräsidentin Barbara Stamm, CSU), den „Goppel-Kuss“(Schoko-Eis mit Joghurt, benannt nach Ex-Wissenschaftsminister Thomas Goppel) und einen „Arnold-Spezial“(vierfacher Espresso mit Milch, benannt nach SPD-Fraktionschef Horst Arnold).
Auch die Örtlichkeit im Landtag hat für die Gastronomen ihre Tücken: Da ist die zweigeteilte Gaststätte (vorne Besucher, hinten Abgeordnete) mit großer Terrasse, zwei Nebenräumen (Bürklein- und Bayernzimmer) und vier Nischen (für vertrauliche Gespräche). Dann gibt es einen Stock tiefer eine Kantine und dazu noch – nur über verwinkelte Wege zu erreichen – die Pfalzstube. Obendrein sind die Wirtin und ihre Mitarbeiter dafür zuständig, für Sitzungen, Besprechungen oder Pressekonferenzen irgendwo im Haus Getränke, Kaffee, belegte Brötchen oder Kuchen bereitzustellen und, weil es oft Schlag auf Schlag geht, pünktlich auf die Minute wieder abzuservieren. An Tagen
mit Plenarsitzungen muss ein Buffet für schnellen Imbiss aufgebaut und bewirtschaftet werden. Und noch einmal verschärft wird die logistische und personelle Herausforderung dann bei Empfängen oder Abendveranstaltungen mit manchmal mehreren hundert Gästen.
Eine weitere Besonderheit ergibt sich aus dem Sitzungsplan. Knapp die Hälfte des Jahres tagt der Landtag nicht. In den 15 Wochen Parlamentsferien, den acht Informationswochen und den vier Wochen für die Klausurtagungen der Fraktionen herrscht Minimalbetrieb im Hohen Haus. Mit Laufkundschaft kann die Wirtin nicht rechnen. An Sitzungstagen braucht sie an einem Tag manchmal über 40 Mitarbeiter und Aushilfskräfte, an Tagen ohne Parlamentsbetrieb kann sie alles mit ihrem Stammpersonal (21 Mitarbeiter) bewältigen.
Und dann sind da noch spezielle Anforderungen, die in einen speziellen Vertrag mündeten. Mühlegg zahlte keine Pacht, musste sich aber an eine ganze Reihe von Auflagen halten – insbesondere bei den Preisen in der Kantine und beim Rundumservice vom Frühstück bis oft spät in die Nacht. Im Gegenzug gestattete ihr der Landtag, die Gaststätte in den Ferien und an den Wochenenden für private Feiern oder exklusive Angebote wie „Königlich tafeln“, „Sonntagsbrunch“oder „Landfrauenküche“zu nutzen.
Dieses Geschäftsmodell ist mit Corona in sich zusammengefallen. Der Umsatz brach schlagartig um 90 Prozent ein. Alle Versuche, die Kosten in den Griff zu bekommen und den Betrieb in der Krise ohne massive Verluste am Laufen zu halten, scheiterten. Für Mühlegg geht damit einer langer Lebensabschnitt zu Ende. „Ich hab das hier wahnsinnig gern gemacht. Ich bin echt traurig“, sagt sie.
Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) bedauert die Situation, zeigt aber Verständnis, dass die Wirtin ohne zweites geschäftliches Standbein kapitulieren musste. „Für einen Einzelbetrieb wird das unter Corona-Bedingungen nicht zu stemmen sein“, sagt Aigner. Sie hofft auf einen großen Wirt oder einen Caterer, der Gaststätte und Kantine zusätzlich übernimmt und über die Krisenzeit hinüberrettet. Sie gibt sich zuversichtlich, dass bis Anfang Januar eine Lösung gefunden wird. Schon gut ein Dutzend Interessenten hätten sich in der ersten Runde der Ausschreibung gemeldet. „Ich gehe davon aus, dass wir das hinkriegen“, sagt Aigner, „ich bin mir sicher, dass niemand hungern muss.“Und augenzwinkernd fügt sie hinzu: „Notfalls muss ich mich selber in die Küche stellen.“