Faseln und schnellsen Ben Lerner Ein großer Gesellschaftsroman
Das erste TV-Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden gilt als das vermutlich chaotischste in der Geschichte der US-amerikanischen Wahlkämpfe. Zwei Männer jenseits der siebzig, die sich ins Wort fallen, brüllen, sich beleidigen... Ein trauriges Spektakel. Was man aber als hoffnungsvolles Zeichen werten kann: Dass zwei Drittel der Zuschauer anschließend erklärten, sie seien über den Stil der Debatte verärgert. Noch also erwartet der amerikanische Wähler doch so etwas wie eine sachliche Diskussion von seinem Führungspersonal.
Wie aber konnte die politische Debatte in den USA derart verrohen? Und wann hat diese Entwicklung ihren Anfang genommen? Man muss nur nach Kansas gehen, zurück in die 90er Jahre, genauer gesagt nach Topeka, wo sich Adam Gordon, kurz vor dem HighschoolAbschluss, gerade anschickt, Landesmeister im Debattieren zu werden … – kurzum, man muss nur den neuen Roman des US-Amerikaners Ben Lerner, der als einer der talentiertesten Autoren seiner Generation gilt, lesen, der genau davon handelt: vom sprachlichen Kollaps nämlich. Wie sich Sprache auflöst, wie sie sich vom Inhalt abkoppelt …
Die zentrale Figur kennt man aus Lerners autofiktionalem Roman „Abschied von Atocha“, da verbringt der junge Lyriker Adam Gordon ein Jahr als Stipendiat in Madrid. Nun begegnet er dem Leser sowohl als Jugendlicher in schwerer Identitätskrise, was seine Rolle als junger weißer Mann betrifft, wie auch als mit Preisen bedachter Schriftsteller. Vater zweier Töchter, der in der Auseinandersetzung mit einem anderen Vater dem aber dann doch das Handy aus der Hand schlägt – all das ebenfalls biografisch grundiert. Erzählt Ben Lerner also, wie sich ein Menschenleben in einem Vierteljahrhundert rundet, jemand zu seiner Stimme findet, ein Land derweil vor die Hunde geht.
Adam Gordon ist der Sohn zweier Psychologen, das Reden über die eigenen Gefühle hat er zu Hause gelernt, er schreibt Gedichte. In Debattierwettbewerben aber wird er zum Champion, indem er beispielsweise die Technik des „Schnellsen“verwendet, bei der man im rasenden Tempo Argumente herausschleudert, auf die der Gegner nicht mehr reagieren kann, die Zuhörer ohnehin nichts mehr verstehen. Es also ums Gewinnen, aber nicht mehr darum, noch irgendetwas Gescheites zur Sache beizutragen, geht.
Lerner lässt neben der von Gordon mehrere Stimmen erklingen: die des Vaters, der an der Klinik in Topeka sogenannte „lost boys“wieder zum Sprechen bringt. Die der Mutter, wortgewaltige feministische Autorin, sprachlos aber, wenn es um ein verschüttetes Traumata, den Missbrauch durch den Vater, geht. Und die von Darren, unterprivilegierter Mitschüler von Adam, unfähig, seine Wut anders als durch den
Wurf einer Billardkugel Ausdruck zu geben. Als ihn Adam später wiedertrifft, hat Darren die rote Trump-Mütze auf …
Lügen, faseln, stammeln, schwadronieren, niederreden, verstummen – wenn man diesem irrsinnig virtuos geschriebenen Roman etwas vorhalten kann, dann, dass er gelegentlich sein Thema zu explizit verhandelt, selbst vielleicht aus der Sorge heraus, nicht verstanden zu werden. Tatsächlich aber ist „Die TopekaSchule“auch vielmehr als nur ein Ideenroman, sondern ein großes Sittenund Gesellschaftsporträt. Anhand einer Familiengeschichte verhandelt Lerner alle Diskursfelder der letzten zwanzig Jahre, bleibt dennoch hoffnungsvoll: Tiefpunkt nämlich erreicht. Inmitten von Schnellsen entdeckt er eine Öffentlichkeit, die langsam wieder reden lernt. Barack Obama fand wohl auch daher: „Die Topeka- Schule hat unsere Welt ein bisschen heller gemacht.“Stefanie Wirsching