Landsberger Tagblatt

„Guttenberg … wer?“

In Berlin sorgt der einstige Superstar der deutschen Politik für Schlagzeil­en – wegen seiner angeblich guten Kontakte zur Bundeskanz­lerin. In München regt das niemanden mehr auf

- VON ULI BACHMEIER

München Er ist wieder da. Irgendwie. Nicht persönlich zwar und auch nicht als „Gott-sei-bei-uns“des CSU-Vorsitzend­en und bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder. Wohl aber als Lobbyist und nebenbei auch noch als frisch gebackener Doktorand: Karl-Theodor zu Guttenberg, 48, der hochgeflog­ene und tief gestürzte ehemalige Superstar der CSU, sorgt im fernen Berlin wieder für Schlagzeil­en. Wäre es ein anderer Lobbyist gewesen, der bei Bundeskanz­lerin Angela Merkel im Zusammenha­ng mit der Skandalfir­ma Wirecard vorgesproc­hen hat, dann würde die Angelegenh­eit vermutlich bestenfall­s von den Spezialist­en im Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags zur Kenntnis genommen. Doch der Gesprächsp­artner heißt – ohne Gewähr für die Richtigkei­t und korrekte Reihenfolg­e der Vornamen – Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester BuhlFreihe­rr von und zu Guttenberg, jetzt sogar wieder mit dem Kürzel Dr. vorne dran. Das reicht, um den Blutdruck im politische­n Berlin in Wallung zu bringen.

Es ist noch gar nicht so lange her, da hat schon die bloße Erscheinun­g von Guttenberg im politische­n München für weitaus größere Turbulenze­n gesorgt. Seine bald zehn Jahre zurücklieg­enden Auftritte in Bayern sind, auch wenn vieles aus heutiger Sicht als geradezu grotesk erscheint, legendär. Da gab es in seiner Zeit als Verteidigu­ngsministe­r den wehrpoliti­schen Arbeitskre­is der CSU-Landtagsfr­aktion, der dem jungen Überfliege­r widerspruc­hslos huldigte, obwohl er gerade das Allerheili­gste der Konservati­ven, die allgemeine Wehrpflich­t, ausgesetzt hatte. Da gab es Besuchergr­uppen in der Landtagsga­ststätte, die sich zu spontanem Applaus für den plötzlich des Wegs kommenden „KT“erhoben und vor lauter Begeisteru­ng sogar den Schweinsbr­aten kalt werden ließen. Da gab es die Peinlichke­it bei einer Klausur der Landtags-CSU in Kloster Banz, als Ministerpr­äsident Horst Seehofer und Fraktionsc­hef Georg Schmid drinnen im Kloster ihre Pressekonf­erenz verschiebe­n mussten, weil die Journalist­en nicht verpassen wollten, ob „KT“auf dem Weg von der Klosterpfo­rte zum Auto nicht vielleicht doch noch einen bedeutungs­schwangere­n Halbsatz zu sagen hat.

Seehofer war während seiner Zeit als CSU-Chef offenkundi­g hin und her gerissen. Er hatte Guttenberg erst zum CSU-Generalsek­retär und dann zum Bundesmini­ster gemacht, ihn nach seinem unrühmlich­en Abgang als „Glühwürmch­en“verspottet und einige Jahre später, im Bundestags­wahlkampf 2017 wieder als Zugpferd für die Basis reaktivier­t. Die Mehrheit der politische­n Berichters­tatter erkannte hinter dem Manöver des Parteichef­s damals nur einen einzigen Zweck: Seehofer wolle seinem Rivalen Markus Söder den einzigen Widersache­r entgegenst­ellen, der ihm auf seinem Weg nach oben noch gefährlich hätte werden können. Der Rest ist bekannt: Guttenberg begeistert­e erneut die Massen in den Bierzelten und auf Marktplätz­en. Söder konnte darüber nur staunen. „Wenn er zurückwoll­te, er könnte“, urteilten Beobachter damals über Guttenberg. Doch es kam anders. Er wollte nicht und er konnte wohl auch nicht. Söder blieb Sieger, wurde erst Ministerpr­äsident, dann Parteichef und zuletzt, glaubt man den Umfragen, sogar ein Liebling der Wähler.

Im Jahr 2020, so scheint es, ist die Faszinatio­n für Guttenberg ein Phänomen aus grauer Vorzeit – zumindest bei den CSU-Landespoli­tikern.

Wer bei der CSU im Landtag nach ihm fragt, erntet nicht selten eine spöttische Gegenfrage: „Guttenberg ... wer?“Junge Abgeordnet­e, die sich zu ihrer Mitgliedsc­haft im „Neufahrner Kreis“bekennen, wo der „schwarze Baron“einst beim „Stanglwirt“Hof hielt und seine gleichaltr­igen Fans um sich scharte, lassen sich kaum mehr finden. Nur aus seiner Heimat Kulmbach heißt es, dass die Liebe der Bürger wie der oberfränki­schen Parteibasi­s zu „KT“ungebroche­n sei – was allerdings auch mit dem Ansehen des 800 Jahre alten Adelsgesch­lechts zu tun haben könnte, dem er entstammt. Nie war Kulmbach so wichtig, wie in der Zeit seines politische­n Sonnenköni­gtums. Jetzt ist es wieder nur Kulmbach.

Dass Söder seinen CSU-Funktionär­en eine Art Kontaktver­bot verordnet hat, ist nur ein Gerücht. Jeder Ortsvorsit­zende wisse ohnehin, so sagen Insider, dass es ihm „beim Chef“keine Pluspunkte einbringt, wenn er Guttenberg einladen würde. Einer seiner wenigen dokumentie­rten Auftritte in Bayern in diesem Jahr war in Mühldorf am Inn. Auf

Nachfrage bei der dortigen CSU heißt es sofort: „Wir haben ihn nicht eingeladen. Das war der örtliche Industriev­erband.“Als „AmerikaKen­ner“, so berichtet ein Teilnehmer, soll Guttenberg „gut gesprochen“haben. Seine Wirkung auf seine Zuhörer scheine ungebroche­n, „auch wenn man hinterher nicht genau weiß, was er gesagt hat“.

Die Sorge, Guttenberg­s LobbyArbei­t für Wirecard oder irgendeine seiner anderen berufliche­n Aktivitäte­n könnte auf die CSU zurückfall­en, gibt es in München jedenfalls nicht. Hier reden alle so über ihn, als gehöre er nicht mehr dazu. Kollegen der Süddeutsch­en Zeitung haben für das Phänomen Guttenberg eine Formulieru­ng ungeheuere­n Ausmaßes gefunden. Sie nennen ihn „Supernova der deutschen Politik: maximale Leuchtkraf­t, dramatisch­e Explosion“. Dieses schöne Bild aus der Astrophysi­k mag zutreffend sein. Vollständi­g ist es aber offensicht­lich nicht. Wenn man Guttenberg­s Parteifreu­nde in München so reden hört, könnte man eher meinen, er sei von einem „schwarzen Loch“verschlung­en worden.

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Foto: Angelika Warmuth, dpa Der frühere Bundesmini­ster Karl‰Theodor zu Guttenberg (CSU) aus dem fränkische­n Kulmbach – der sich jetzt wieder Doktor nennt – sorgt in der Hauptstadt nun wieder für Aufregung.

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