Mann auf Spitzenschuhen
Klaus Pappe kleidet sich gerne wie eine Frau und träumt davon, Ballerina zu werden. Die ungewöhnliche Geschichte eines ungewöhnlichen Mannes
Friedberg Klaus Pappe unbekannterweise aus der Masse zu fischen, ist einfach. „Man erkennt mich sofort“, verspricht er am Telefon mit Blick auf den vereinbarten Termin – und er soll recht behalten. Denn da sitzt der 45-Jährige an einem Tisch vor einer Kneipe in der schwäbischen Kleinstadt Friedberg, er trägt einen schwarzen, hautengen Pulli. Das Gesicht ist dezent geschminkt, die ansonsten überschulterlangen Haare sind sorgsam zu einem Dutt gebunden. Trotzdem erkennt man an seinen kantigen Gesichtszügen sofort, dass er ein Mann ist.
Klaus kleidet sich wie eine Frau und fühlt sich als Mann. Er betont aber auch, kein Transgender zu sein. Der 45-Jährige sagt über sich: „Ich bin nicht transsexuell, sondern ein Mann. Aber ich ziehe mich eben gerne wie eine Frau an.“Das macht das Leben für ihn nicht unbedingt leichter, denn die Menschen mögen es, wenn sie andere in Schubladen einordnen können. Doch das funktioniert bei Klaus eben nicht. Obwohl, auch ihn kann man inzwischen in einen Begriff packen: Crossdresser.
Klaus Pappe hat schon als Kind gemerkt, dass er anders war. Seit seiner Jugend träumt er davon, Ballerina zu werden. Damals, in den 80ern, lief im Weihnachtsfernsehprogramm des ZDF die Ballettserie „Anna“. Aber ein Junge im Tüllröckchen, so etwas wäre bei Klaus unvorstellbar gewesen. Klaus stammt aus dem 1000-EinwohnerOrt Fremdingen bei Nördlingen, gelegen im Rieskrater. Dort begegnen die meisten Einwohner einem Mann wie ihm, der auch mal gerne in Frauenkleidern ausgeht, immer noch skeptisch. Seine Eltern, die inzwischen im Bayerischen Wald leben, wissen bis heute nicht, dass Klaus eine Art Doppelleben führt. Also legte er die Idee, Ballerina zu werden, erst einmal gedanklich und emotional auf Eis.
Es hat viele Jahre gedauert, bis Klaus Pappe das erste Mal außerhalb des Karnevals in Frauenkleidern aus dem Haus gegangen ist. „2005 war das“, erinnert er sich. Er zeigt auf dem Handy ein altes Foto, auf dem er in einem aufwendigen schwarz-rosa Tüllkostüm zu sehen ist. Damals zog ihn die Grufti-Szene an, in der er so akzeptiert war, wie er war – als Mann, der sich eben gerne schminkte und sich in Frauenkleidern wohlfühlt.
Mit Rock würde der Fertigungssteuerer bei einem global tätigen US-Automobilzulieferer auch heute noch nicht in die Arbeit gehen. Es habe sich in der Gesellschaft in Sachen Akzeptanz von Menschen auder Norm zwar viel getan, sagt Klaus. Aber er will auch nicht unnötig provozieren.
Der Kindheitstraum, eine Ballerina zu sein, schlummerte weiter in ihm. Bis zu jenem Januar dieses Jahres, als er sich traute und an einer Art Preisausschreiben eines Radiosenders teilnahm. Der verspricht seinen Hörern vollmundig, ihre Träume zu erfüllen. Und da nahm Klaus sein Herz in die Hand, dachte an seinen alten Wunsch und meldete sich kurzerhand an. Im Sender fragte man zwar sicherheitshalber nach, ob man sich nicht verhört habe, aber am Ende war klar: Klaus träumte davon, Ballerina zu werden.
Ob Schicksal, Zufall oder glückliche Fügung. Jedenfalls bekam Klaus Pappe bald darauf einen Anruf. Er hatte gewonnen: ein halbes Jahr kostenloses Training in der Augsburger Ballettschule „Dance Center Nr. 1“. Dort sei er mit offenen Armen aufgenommen worden, erzählt er. Die Besitzerin, Nathalie Böck, eine ehemalige Primaballerina, soll sich rührend um den Mann gekümmert haben, der als eine Art Spätberufener den Spitzentanz erlernen will.
Und seit Anfang des Jahres arbeitet Klaus hart daran, seine Lebenssehnsucht, bis zu deren Erfüllung er über die Jahre sozusagen viele Pirouetten gedreht hatte, zu stillen. Fünfmal die Woche geht er mit eiserner Disziplin ins Balletttraining. Er will Tänzerin werden, auch wenn er weiß, dass es in diesem Alter für eine Profi-Karriere längst nicht mehr reichen wird. „Das ist auch nicht mein Ziel“, sagt er. Einmal auf der Bühne zu stehen, das würde er schon gerne.
Männer in Rüschen sind so ungewöhnlich nicht. Klaus Pappe ist mit seiner Leidenschaft keineswegs allein. Der berühmte spanische Tänzer Manuel Liñán beispielsweise tanzt Flamenco und übernimmt dabei den weiblichen Part. Und was fasziniert Pappe so am Thema Ballerina? Er überlegt kurz: „Ballerinas sind schön und perfekt. So wollte ich auch immer sein“, antwortet er. Und er weiß auch, sein Körper wird trotz all des Trainings nie mehr so biegsam werden wie ein junger. Aber den Spagat will er schaffen. Und mit Spitzenschuhen will er einmal tanzen. Dafür nimmt er knallßerhalb hartes Training und tägliches Stretching in Kauf.
Und Klaus Pappe ist verheiratet. Seine Frau, 32, die Klaus in der Grufti-Szene kennengelernt hat, akzeptiert seine Ballettleidenschaft und ihn übrigens genauso, wie er ist. Er hat sie vor zehn Jahren in einem schwarzen Brautkleid geheiratet. „Kleine Feier, eine Handvoll Freunde, nichts Großes“, sagt er. Die Eltern seien nicht eingeladen gewesen, und der Standesbeamte habe sich erkundigt, wer bei diesem Paar denn nun der Mann sei. Nach so einer Anekdote schmunzelt Klaus Pappe.
Seinen Traum vom Balletttanz im Rüschenrock will er auch künftig weiterverfolgen. Und selbst wenn er völlig erschöpft vom Training abends nach Hause komme, sei er glücklich, mit dem Tanzen begonnen zu haben. Und während viele Menschen wegen der Corona-Pandemie, Maskenpflicht und sonstigen Einschränkungen mit dem Leben hadern, behauptet der Pappe: „2020 war für mich ein besonderes Jahr, ein besonders gutes.“Es war sein Jahr.