Biden baut seinen Vorsprung aus
Der Demokrat liegt klar vor Donald Trump. Gelaufen aber ist die Wahl noch nicht. In mehreren Bundesstaaten steht es Spitz auf Knopf. Schon ein paar tausend Stimmen können dort den Ausschlag geben
Washington Amerika hat gewählt, doch der Nervenkrimi um das Ergebnis der Wahl geht weiter. Herausforderer Joe Biden stand am Donnerstagabend deutscher Zeit nach einer beispiellosen Zitterpartie zwar kurz vor dem Einzug ins Weiße Haus – rein rechnerisch allerdings hatte auch Präsident Donald Trump da noch alle Chancen. Mehr als 30 Stunden nach Schließung der letzten Wahllokale war die Wahl also nicht entschieden.
Entscheidend ist nun, wem es gelingt, die letzten noch offenen Bundesstaaten zu holen. Biden hat bei der Auszählung in mehreren hart umkämpften Staaten kräftig aufgeholt. Vor allem im Schlüsselstaat Pennsylvania konnte er seinen Rückstand auf Trump von zunächst mehr als zehn auf rund zwei Prozentpunkte verkleinern, ein Ergebnis wird hier frühestens an diesem Freitag erwartet. Bei noch hunderttausenden ausstehenden Stimmen hat der einstige Vizepräsident Obamas die Chance, Trump auch in Pennsylvania noch zu überholen. Damit hätte er die nötigen 270 Stimmen der Wahlleute für die Präsidentschaft sicher. Ein ähnliches Bild ergab sich in Georgia, wo Trump am Donnerstagabend nur noch mit gut 13 000 Stimmen in Führung lag, das ist umgerechnet die demoskopische Winzigkeit von 0,3 Prozentpunkten – allerdings mussten bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch mehr als 50000 Briefwahlstimmen ausgezählt werden.
Auch in Georgia hatte Biden mithilfe der Briefwähler aufgeholt, die mehrheitlich den Demokraten nutzen. Gleichzeitig wurden dort aber auch 40000 Stimmzettel wegen Formfehlern zurückgewiesen, das könnte bis zu diesem Freitag noch korrigiert werden. Eng ist das Rennen auch in Nevada, wo Bidens Vorsprung geschmolzen ist. Außerdem holte Trump im benachbarten Arizona auf, das Fernsehsender schon für Biden verbucht hatten.
Nach Berechnungen der Nachrichtenagentur ap und des Fernsehsenders Fox News hatte Biden bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe die Stimmen von 264 Wahlleuten sicher. Andere Medien sehen Biden dagegen erst bei 253 Stimmen, weil sie die Wahl in Arizona noch nicht für entschieden halten.
Kampflos räumen will Trump das Feld auf keinen Fall. Zwei Tage nach der Wahl forderte der amtierende Präsident am Donnerstag erneut, die Auswertung der Wahlzettel einzustellen. „Stoppt die Auszählung!“, schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter in Großbuchstaben. In mehreren Staaten versucht Trump bereits mithilfe seiner Anwälte, die Wahl beziehungsweise deren knappen Ergebnisse dort anzufechten. In Wisconsin, wo Biden mit 0,7 Prozentpunkten Vorsprung knapp vor ihm lag, verlangt Trump eine Neuauszählung der Stimmen, einen sogenannten Recount.
Sein am Dienstagabend noch bestehender Vorsprung sei am Mittwoch „auf magische Weise verschwunden“, kritisierte Trump. So werde in Pennsylvania „hart daran gearbeitet“, schnell noch eine halbe Million Stimmen verschwinden zu lassen. Seine Erklärung: Diese Staaten würden „auf fast allen Ebenen von Demokraten“kontrolliert. In Detroit, Philadelphia und Phoenix zogen Anhänger von Trump vor öffentliche Gebäude, in denen Wahlhelfer rund um die Uhr Briefwahlstimmen auszählten. Sie brüllten: „Stoppt die Zählung!“
In Pennsylvania hat Trump mit seinen juristischen Kniffen derweil einen kleinen Erfolg gelandet. Ein Gericht entschied, Wahlbeobachtern aus seinem Team in der Stadt Philadelphia einen besseren Zugang zur Stimmauszählung zu gewähren.
Biden rief seine Anhänger trotz allem zur Gelassenheit auf: „Seid geduldig, Leute“, schrieb er auf Twitter. „Stimmen werden gezählt, und wir haben ein gutes Gefühl.“Anders als Trump verzichtete der 77-Jährige bisher darauf, sich zum Sieger zu erklären. Nach einer langen Nacht des Zählens sei klar, dass die Demokraten genug Staaten gewinnen würden, um 270 Wahlstimmen zu erreichen, sagte er jedoch.
Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa haben bei der US-Wahl bisher keine Unregelmäßigkeiten festgestellt. Man habe „keinerlei Hinweise auf systemische Probleme finden können“und eine „außerordentlich professionelle Handhabung der Flut von Briefwahlstimmen erlebt“, sagte der Leiter der Mission, der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Georg Link, der Stuttgarter Zeitung. „Trumps Manipulationsvorwürfe sind haltlos.“Selbst Verbündete des Präsidenten, wie der ehemalige Gouverneur von New Jersey, Chris Christie, der Trump auf die erste Fernsehdebatte vorbereitet hatte, nannte dessen Vorgehen bedenklich. Es gebe keine Basis für eine Klage. „Alle Stimmen müssen ausgezählt werden.“Der ehemalige Wahlkampfmanager von Barack Obama, David Plouffe, fürchtet nach den Drohungen Trumps nun „düstere und Furcht einflößende Tage“. Selbst wenn er mit seinem Angriff auf die Wahlen keinen Erfolg habe, so Plouffe, „werden wir 40 bis 45 Prozent der Menschen im Land haben, die ihm glauben“.
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