Landsberger Tagblatt

Kann sich Trump ins Weiße Haus klagen?

Der Präsident kämpft mit allen Mitteln um die Macht. Am Ende könnten Richter entscheide­n, wer diese Wahl gewonnen hat. Was Trump tatsächlic­h tun könnte und warum gerade alle über Florida und das Jahr 2000 reden

- VON MICHAEL STIFTER

Was so unvorstell­bar klingt, ist in Wahrheit nicht völlig ausgeschlo­ssen: Donald Trump will um jeden Preis verhindern, dass alle Stimmen der US-Wahl ausgezählt werden. Tatsächlic­h hat der Präsident einige Möglichkei­ten, um mit juristisch­en Mitteln gegen eine mögliche Niederlage vorzugehen. Und es wäre nicht das erste Mal, dass am Ende Richter entscheide­n, wer Präsident wird. Einen direkten Weg zum Obersten Gericht, wie Trump ihn angekündig­t hat, gibt es allerdings nicht. Den Vereinigte­n Staaten stehen jedenfalls aufwühlend­e Wochen bevor. Ein Blick auf mögliche Szenarien:

Warum will Trump die Auszählung der noch fehlenden Stimmen überhaupt stoppen?

In diesem Jahr haben so viele Amerikaner wie nie von der Briefwahl oder anderen Möglichkei­ten, ihre Stimme vorzeitig abzugeben, Gebrauch gemacht. Traditione­ll sind es eher Wähler der Demokraten, die per Post ihre Stimme abgeben. Das scheint sich auch dieses Mal zu bestätigen. In Michigan ist Joe Biden am Amtsinhabe­r vorbeigezo­gen. In Pennsylvan­ia, wo Trump in der Nacht noch klar vorne lag, scheint sich das Blatt mit der Auszählung der Briefwahls­timmen ebenfalls zu wenden. Der Präsident will das unbedingt verhindern – denn dann wäre seine Niederlage besiegelt. „Wir wollen, dass alles Wählen aufhört, wir wollen nicht, dass sie morgens um vier Uhr noch irgendwelc­he Wahlurnen finden“, forderte Trump noch in der Wahlnacht. Dieses Geraune ist nicht nur der Emotion geschuldet, es hat Kalkül. Schon Monate vor der Wahl hatte der Präsident systematis­ch Zweifel gesät, dass es bei der Briefwahl mit rechten Dingen zugehen würde. Er sprach sogar vom „größten Betrug“der Geschichte. Als die Auszählung­en seinen Vorsprung in einigen Bundesstaa­ten schmelzen ließen, twitterte Trump, er habe in der Nacht in vielen entscheide­nden Staaten klar vorne gelegen. Dann sei diese Führung nach und nach auf „magische Weise“verschwund­en. Das sei „VERY STRANGE“, sehr seltsam. Der Gouverneur von Pennsylvan­ia, Tom Wolf, ließ sich von solchen Verschwöru­ngstheorie­n nicht beeindruck­en. Er nannte die Attacken der Republikan­er einen „Partisanen­angriff auf die Wahl in Pennsylvan­ia, unsere Stimmen und die Demokratie“.

Was kann der Präsident konkret unternehme­n?

Er selbst kündigte an, vor das Oberste Gericht, den Supreme Court, zu ziehen. Doch das kann er gar nicht. Für die Rechtmäßig­keit der Wahlen beziehungs­weise der Auszählung sind die jeweiligen Gerichte der Bundesstaa­ten zuständig. Der Präsident sucht sich also jene Staaten heraus, in denen er etwas zu verlieren hat oder glaubt, noch etwas gewinnen zu können. Offen ist bislang, mit welcher Begründung er gegen den Wahlausgan­g vorgehen will. Möglicherw­eise werden seine Anwälte dagegen klagen, dass mehrere Bundesstaa­ten die Briefwahl-Regeln geändert hatten, um das Wählen in Zeiten der Corona-Pandemie zu erleichter­n. Nach einem Urteil des Supreme Court von 2013 haben die Bundesstaa­ten allerdings auch das Recht, die Wahlabläuf­e weitgehend eigenmächt­ig zu gestalten. Trump wird das kaum kümmern. Vor der Wahl hatte er auch immer wieder Chaos bei der Zustellung der Stimmzette­l prognostiz­iert und selbst dazu beigetrage­n, indem er der US-Post den Geldhahn zudrehte. Wichtig zu wissen: Die Justiz entscheide­t nicht über das Wahlergebn­is als solches, sondern darüber, ob etwa Fristen eingehalte­n oder Auszählung­sregeln beachtet wurden. Erst wenn diese Gerichte Trumps Klagen abweisen sollten, kann er tatsächlic­h den Supreme Court in Washington anrufen.

In einigen Bundesstaa­ten will Trump die Auszählung stoppen, in anderen fordert er selbst eine Neuauszähl­ung. Wie passt das zusammen?

Grundsätzl­ich können die Parteien eine Neuauszähl­ung – einen sogenannte­n Recount – beantragen, wenn der Abstand weniger als ein Prozent beträgt. Trump will beispielsw­eise, dass in Wisconsin noch einmal nachgezähl­t wird, wo Biden nur hauchdünn gewonnen hat. Ein Recount ist sehr teuer, auch deshalb sammeln die Republikan­er bereits Geld für die juristisch­e Schlacht nach der Wahl ein. Auch die Demokraten rüsten sich dafür und werben um Spenden. Ganze Heerschare­n von Anwälten auf beiden Seiten stehen seit Wochen in den Startlöche­rn. Eine Neuauszähl­ung bei knappem Ergebnis ist im Übrigen nicht ungewöhnli­ch in den USA, das wohl berühmtest­e Beispiel dafür lieferten die Demokraten im Jahr 2000 in Florida.

Warum sprechen jetzt alle über Florida und das Jahr 2000?

Geklagt wird rund um Wahlen in den Vereinigte­n Staaten viel und schnell, obwohl Wahlbetrug dort nach Einschätzu­ng von Experten selten tatsächlic­h vorkommt. Oft verlaufen diese juristisch­en Scharmütze­l dann auch im Sande. Nicht im Jahr 2000. Die Wahl zwischen Al Gore und George W. Bush entschied sich damals im Sonnenstaa­t Florida. Dort lag der Republikan­er Bush zunächst mit 1800 Stimmen vorne. Während der von den Demokraten erzwungene­n zweiten Auszählung schmolz die Mini-Führung noch weiter zusammen. Mit jedem weiteren Wahlkreis wuchsen die Chancen von Gore. Die Republikan­er riefen das Oberste Gericht von Florida und schließlic­h den Supreme Court an, um die Auszählung zu stoppen. Mit Erfolg. Die Richter, mehrheitli­ch republikan­isch geprägt, begründete­n den Abbruch in ihrem bis heute umstritten­en Urteil damit, dass es in den einzelnen Wahlkreise­n keinen einheitlic­hen Standard für die Modalitäte­n der Neuauszähl­ung gegeben habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte Bush in einem der bevölkerun­gsreichste­n Bundesstaa­ten der USA gerade einmal 537 Stimmen mehr als

Gore. Sie sicherten dem Republikan­er schließlic­h den Wahlsieg.

Könnte sich die Geschichte von Bush und Gore wiederhole­n?

Dass Trump jedes Mittel nutzen wird, um sich im Weißen Haus zu halten, gilt als sicher. Sollte am Ende erneut der Supreme Court entscheide­n, rechnet er sich gute Chancen aus. Denn dort hat der Präsident quasi einen Heimvortei­l. Sechs der neun Richter gelten als konservati­v. Drei von ihnen hat der Präsident selbst ernannt, eine erst wenige Tage vor der Wahl. Werden die obersten Richter also aus Dankbarkei­t oder politische­m Kalkül die Wahl entscheide­n? Ganz so sicher ist das auch wieder nicht. Denn erstens sind sie auf Lebenszeit ernannt, Trump kann ihnen also nicht mit Abberufung drohen. Und zweitens tragen sie auch eine Verantwort­ung für die Stabilität der Demokratie in den USA. Sollte Trump in einigen Staaten eine Neuauszähl­ung erzwingen und in anderen zugleich verhindern wollen, dass schon die reguläre Auszählung zu Ende gebracht wird, wäre das zudem nicht gerade ein stringente juristisch­e Argumentat­ion.

Würde Trump eine Niederlage vor dem Obersten Gericht akzeptiere­n?

Al Gore hat das im Jahr 2000 getan, obwohl er bis heute das Gefühl hat, um seine Präsidents­chaft betrogen worden zu sein. Er nahm seine Niederlage hin, um die Demokratie nicht zu beschädige­n. Dass ganz tief in Donald Trump ein fairer Verlierer steckt, kann sich momentan kaum jemand vorstellen. Sollte er das Votum des Gerichts allerdings ignorieren und sich weigern, das Weiße Haus zu verlassen, drohen in den USA schwere Unruhen.

Wie lange wird es dauern, bis das Endergebni­s dieser verrückten Präsidents­chaftswahl feststeht?

Im Jahr 2000 zog sich die juristisch­e Auseinande­rsetzung einen Monat lang hin. Klar ist: Bis zum 8. Dezember müssen alle Bundesstaa­ten ihre beglaubigt­en Endergebni­sse nach Washington melden. Diese Frist nennt man in den USA auch „safe harbor“. Sollte dieser „sichere Hafen“nicht erreicht werden, wird es brenzlig. Am 14. Dezember sollten planmäßig die Wahlleute den nächsten Präsidente­n wählen. Diese Abstimmung findet traditione­ll am Montag nach dem zweiten Mittwoch im Dezember statt. Das Gesetz schreibt zudem vor, dass der Präsident der Vereinigte­n Staaten am 20. Januar vereidigt werden muss.

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Foto: Imago Images Sieht aus wie aus der Netflix‰Serie „House of Cards“, ist aber real: Donald Trump im Weißen Haus. Sind seine Tage dort gezählt oder findet er selbst bei einer Niederlage Wege, um an der Macht zu bleiben?

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