Kann sich Trump ins Weiße Haus klagen?
Der Präsident kämpft mit allen Mitteln um die Macht. Am Ende könnten Richter entscheiden, wer diese Wahl gewonnen hat. Was Trump tatsächlich tun könnte und warum gerade alle über Florida und das Jahr 2000 reden
Was so unvorstellbar klingt, ist in Wahrheit nicht völlig ausgeschlossen: Donald Trump will um jeden Preis verhindern, dass alle Stimmen der US-Wahl ausgezählt werden. Tatsächlich hat der Präsident einige Möglichkeiten, um mit juristischen Mitteln gegen eine mögliche Niederlage vorzugehen. Und es wäre nicht das erste Mal, dass am Ende Richter entscheiden, wer Präsident wird. Einen direkten Weg zum Obersten Gericht, wie Trump ihn angekündigt hat, gibt es allerdings nicht. Den Vereinigten Staaten stehen jedenfalls aufwühlende Wochen bevor. Ein Blick auf mögliche Szenarien:
Warum will Trump die Auszählung der noch fehlenden Stimmen überhaupt stoppen?
In diesem Jahr haben so viele Amerikaner wie nie von der Briefwahl oder anderen Möglichkeiten, ihre Stimme vorzeitig abzugeben, Gebrauch gemacht. Traditionell sind es eher Wähler der Demokraten, die per Post ihre Stimme abgeben. Das scheint sich auch dieses Mal zu bestätigen. In Michigan ist Joe Biden am Amtsinhaber vorbeigezogen. In Pennsylvania, wo Trump in der Nacht noch klar vorne lag, scheint sich das Blatt mit der Auszählung der Briefwahlstimmen ebenfalls zu wenden. Der Präsident will das unbedingt verhindern – denn dann wäre seine Niederlage besiegelt. „Wir wollen, dass alles Wählen aufhört, wir wollen nicht, dass sie morgens um vier Uhr noch irgendwelche Wahlurnen finden“, forderte Trump noch in der Wahlnacht. Dieses Geraune ist nicht nur der Emotion geschuldet, es hat Kalkül. Schon Monate vor der Wahl hatte der Präsident systematisch Zweifel gesät, dass es bei der Briefwahl mit rechten Dingen zugehen würde. Er sprach sogar vom „größten Betrug“der Geschichte. Als die Auszählungen seinen Vorsprung in einigen Bundesstaaten schmelzen ließen, twitterte Trump, er habe in der Nacht in vielen entscheidenden Staaten klar vorne gelegen. Dann sei diese Führung nach und nach auf „magische Weise“verschwunden. Das sei „VERY STRANGE“, sehr seltsam. Der Gouverneur von Pennsylvania, Tom Wolf, ließ sich von solchen Verschwörungstheorien nicht beeindrucken. Er nannte die Attacken der Republikaner einen „Partisanenangriff auf die Wahl in Pennsylvania, unsere Stimmen und die Demokratie“.
Was kann der Präsident konkret unternehmen?
Er selbst kündigte an, vor das Oberste Gericht, den Supreme Court, zu ziehen. Doch das kann er gar nicht. Für die Rechtmäßigkeit der Wahlen beziehungsweise der Auszählung sind die jeweiligen Gerichte der Bundesstaaten zuständig. Der Präsident sucht sich also jene Staaten heraus, in denen er etwas zu verlieren hat oder glaubt, noch etwas gewinnen zu können. Offen ist bislang, mit welcher Begründung er gegen den Wahlausgang vorgehen will. Möglicherweise werden seine Anwälte dagegen klagen, dass mehrere Bundesstaaten die Briefwahl-Regeln geändert hatten, um das Wählen in Zeiten der Corona-Pandemie zu erleichtern. Nach einem Urteil des Supreme Court von 2013 haben die Bundesstaaten allerdings auch das Recht, die Wahlabläufe weitgehend eigenmächtig zu gestalten. Trump wird das kaum kümmern. Vor der Wahl hatte er auch immer wieder Chaos bei der Zustellung der Stimmzettel prognostiziert und selbst dazu beigetragen, indem er der US-Post den Geldhahn zudrehte. Wichtig zu wissen: Die Justiz entscheidet nicht über das Wahlergebnis als solches, sondern darüber, ob etwa Fristen eingehalten oder Auszählungsregeln beachtet wurden. Erst wenn diese Gerichte Trumps Klagen abweisen sollten, kann er tatsächlich den Supreme Court in Washington anrufen.
In einigen Bundesstaaten will Trump die Auszählung stoppen, in anderen fordert er selbst eine Neuauszählung. Wie passt das zusammen?
Grundsätzlich können die Parteien eine Neuauszählung – einen sogenannten Recount – beantragen, wenn der Abstand weniger als ein Prozent beträgt. Trump will beispielsweise, dass in Wisconsin noch einmal nachgezählt wird, wo Biden nur hauchdünn gewonnen hat. Ein Recount ist sehr teuer, auch deshalb sammeln die Republikaner bereits Geld für die juristische Schlacht nach der Wahl ein. Auch die Demokraten rüsten sich dafür und werben um Spenden. Ganze Heerscharen von Anwälten auf beiden Seiten stehen seit Wochen in den Startlöchern. Eine Neuauszählung bei knappem Ergebnis ist im Übrigen nicht ungewöhnlich in den USA, das wohl berühmteste Beispiel dafür lieferten die Demokraten im Jahr 2000 in Florida.
Warum sprechen jetzt alle über Florida und das Jahr 2000?
Geklagt wird rund um Wahlen in den Vereinigten Staaten viel und schnell, obwohl Wahlbetrug dort nach Einschätzung von Experten selten tatsächlich vorkommt. Oft verlaufen diese juristischen Scharmützel dann auch im Sande. Nicht im Jahr 2000. Die Wahl zwischen Al Gore und George W. Bush entschied sich damals im Sonnenstaat Florida. Dort lag der Republikaner Bush zunächst mit 1800 Stimmen vorne. Während der von den Demokraten erzwungenen zweiten Auszählung schmolz die Mini-Führung noch weiter zusammen. Mit jedem weiteren Wahlkreis wuchsen die Chancen von Gore. Die Republikaner riefen das Oberste Gericht von Florida und schließlich den Supreme Court an, um die Auszählung zu stoppen. Mit Erfolg. Die Richter, mehrheitlich republikanisch geprägt, begründeten den Abbruch in ihrem bis heute umstrittenen Urteil damit, dass es in den einzelnen Wahlkreisen keinen einheitlichen Standard für die Modalitäten der Neuauszählung gegeben habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte Bush in einem der bevölkerungsreichsten Bundesstaaten der USA gerade einmal 537 Stimmen mehr als
Gore. Sie sicherten dem Republikaner schließlich den Wahlsieg.
Könnte sich die Geschichte von Bush und Gore wiederholen?
Dass Trump jedes Mittel nutzen wird, um sich im Weißen Haus zu halten, gilt als sicher. Sollte am Ende erneut der Supreme Court entscheiden, rechnet er sich gute Chancen aus. Denn dort hat der Präsident quasi einen Heimvorteil. Sechs der neun Richter gelten als konservativ. Drei von ihnen hat der Präsident selbst ernannt, eine erst wenige Tage vor der Wahl. Werden die obersten Richter also aus Dankbarkeit oder politischem Kalkül die Wahl entscheiden? Ganz so sicher ist das auch wieder nicht. Denn erstens sind sie auf Lebenszeit ernannt, Trump kann ihnen also nicht mit Abberufung drohen. Und zweitens tragen sie auch eine Verantwortung für die Stabilität der Demokratie in den USA. Sollte Trump in einigen Staaten eine Neuauszählung erzwingen und in anderen zugleich verhindern wollen, dass schon die reguläre Auszählung zu Ende gebracht wird, wäre das zudem nicht gerade ein stringente juristische Argumentation.
Würde Trump eine Niederlage vor dem Obersten Gericht akzeptieren?
Al Gore hat das im Jahr 2000 getan, obwohl er bis heute das Gefühl hat, um seine Präsidentschaft betrogen worden zu sein. Er nahm seine Niederlage hin, um die Demokratie nicht zu beschädigen. Dass ganz tief in Donald Trump ein fairer Verlierer steckt, kann sich momentan kaum jemand vorstellen. Sollte er das Votum des Gerichts allerdings ignorieren und sich weigern, das Weiße Haus zu verlassen, drohen in den USA schwere Unruhen.
Wie lange wird es dauern, bis das Endergebnis dieser verrückten Präsidentschaftswahl feststeht?
Im Jahr 2000 zog sich die juristische Auseinandersetzung einen Monat lang hin. Klar ist: Bis zum 8. Dezember müssen alle Bundesstaaten ihre beglaubigten Endergebnisse nach Washington melden. Diese Frist nennt man in den USA auch „safe harbor“. Sollte dieser „sichere Hafen“nicht erreicht werden, wird es brenzlig. Am 14. Dezember sollten planmäßig die Wahlleute den nächsten Präsidenten wählen. Diese Abstimmung findet traditionell am Montag nach dem zweiten Mittwoch im Dezember statt. Das Gesetz schreibt zudem vor, dass der Präsident der Vereinigten Staaten am 20. Januar vereidigt werden muss.