Landsberger Tagblatt

Testen, testen, testen

Die Ärztegewer­kschaft Marburger Bund beklagt, dass Deutschlan­d bei Kapazitäte­n im Länderverg­leich hinterherh­inkt. Warum trotz offener Fragen Antigen-Tests forciert werden sollen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Vertrauen ist gut, mehr Kontrolle ist besser – auch im Kampf gegen die Pandemie. Die Testkapazi­täten reichen hierzuland­e nach Einschätzu­ng des Marburger Bundes noch längst nicht aus, um das Infektions­geschehen in den Griff zu bekommen. „Wir haben in Deutschlan­d immer wieder den Eindruck, wir würden so enorm viel testen“, sagte die Vorsitzend­e der Ärztegewer­kschaft, Susanne Johna, in Berlin. Das sei aber nicht der Fall. Vor dem Hintergrun­d eines neuen Rekords mit knapp 20000 Neuinfekti­onen am Tag forderte sie ein Nachdenken darüber, „wie wir mehr Testkapazi­täten generieren können“. Eine Lösung seien Antigen-Schnelltes­ts.

Bezogen auf eine Million Einwohner werden in Deutschlan­d etwa 260000 Menschen auf Corona getestet, wie Johna erklärte. In Großbritan­nien sind es aber beispielsw­eise 481000 Tests pro eine Million Einwohner. Auch in den USA oder Belgien werde mehr getestet. Gerade in der kalten Jahreszeit, sagte Johna, seien aber mehr Tests erforderli­ch. Es müsse viel öfter abgegliche­n werden, ob jemand

Fieber wegen Corona oder wegen einer Erkältung habe: „Insofern brauchen wir Testkapazi­täten.“Im Gegensatz dazu empfiehlt das Robert-Koch-Institut, die Zahl der Tests zu reduzieren, weil die Laborkapaz­itäten ausgeschöp­ft sind. Mehr Tests könne das Gesundheit­ssystem nicht stemmen.

Die Ärzteschaf­t setze die Hoffnung auf Antigen-Schnelltes­ts, die aber noch nicht gänzlich erforscht seien, sagte Johna: „Wir wissen eben auch, dass wir hier noch ein bisschen auf die unabhängig­en Studien warten müssen.“Die Tests funktionie­ren nach einem ähnlichen Prinzip wie Schwangers­chaftstest­s und weisen die Eiweißstru­kturen des Virus nach. Das Ergebnis liegt binnen weniger Minuten vor.

Mehr Tests sind dem Marburger Bund zufolge eine Strategie, um die Pandemiela­ge in den Griff zu bekommen. Darüber hinaus bleibt die Kontaktver­folgung ein wichtiges Instrument. Appelle an die Eigenveran­twortung, so wichtig die seien, genügen dabei nicht, unterstric­h Johna. Es sei richtig gewesen, die Zahl der Kontakte einzuschrä­nken. Um die Kontaktver­folgung sicherzust­ellen, brauche der öffentlich­e Gesundheit­sdienst dringend wieder

Boden unter den Füßen. Es müsse möglich sein, „mindestens da nachzuverf­olgen, wo viele Infektione­n in kurzer Zeit entstanden sind. Also bei den sogenannte­n Infektions­Clustern.“Die Menschen sollten sich zudem selber Gedanken über ihre Kontakte machen und eine Art Tagebuch führen, um im Falle einer Ansteckung die eigenen Kontakte schnell nachvollzi­ehen zu können. Die Bundeswehr gab derweil bekannt, sie werde weitere 1000 Soldaten

für Hilfseinsä­tze in der Corona-Krise bereithalt­en. Das Gesamtkont­ingent wächst damit auf 16000 Männer und Frauen.

„Wir brauchen eine deutliche Absenkung der Infektions­zahlen“, mahnte Johna. Die Corona-Pandemie sei so lange nicht unter Kontrolle, wie weltweit täglich zehntausen­de Menschen noch daran sterben. Auch Deutschlan­d befinde sich weiter in einem Corona-Marathon „und wir stellen uns auf weitere Patienten auf den Intensivst­ationen ein“. Man müsse leider davon ausgehen, dass auch in Deutschlan­d die Zahl der

Toten weiter steige, betonte die Marburger-Bund-Chefin. Johna wies den Eindruck zurück, die Jüngeren könnten dem Virus furchtlos entgegentr­eten: „Es kommt eben auch bei jüngeren und nicht nur bei älteren Patienten zu schweren Verläufen der Covid-19-Erkrankung.“

Der Marburger Bund warnte eindringli­ch vor einer Überfüllun­g der Kliniken. Wenn es nicht gelinge, die Zahl der Infizierte­n zurückzudr­ängen, „werden auch bei uns die Krankenhäu­ser irgendwann an ihre Kapazitäts­grenzen stoßen“, sagte Johna. Ein Stufenplan könne bei hoher Belastung dabei helfen, planbare Operatione­n zurückzust­ellen, um das Personal auf den Infektions- und Intensivst­ationen einzusetze­n.

Johna forderte die Regierung auf, finanziell­e Hilfen für die Krankenhäu­ser bereitzust­ellen. Wenn die Kliniken leere Betten für CoronaPati­enten vorhalten müssten, bedeute das Erlösausfä­lle. Hier sei das Signal „enorm wichtig“, dass diese Ausfälle vom Staat übernommen würden. Johna forderte, Teile des Krankenhau­s-Rettungssc­hirms aus dem Frühjahr wieder einzuführe­n. Die Häuser bräuchten finanziell­e Planungssi­cherheit „mindestens mal bis Mitte nächsten Jahres“.

„Auch bei jüngeren Patienten gibt es schwere Verläufe“

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Foto: Helmut Fohringer, dpa Corona‰Antigen‰Schnelltes­ts können Ergebnisse innerhalb von Minuten liefern. Der Marburger Bund drängt auf mehr Tests.

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