Testen, testen, testen
Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund beklagt, dass Deutschland bei Kapazitäten im Ländervergleich hinterherhinkt. Warum trotz offener Fragen Antigen-Tests forciert werden sollen
Berlin Vertrauen ist gut, mehr Kontrolle ist besser – auch im Kampf gegen die Pandemie. Die Testkapazitäten reichen hierzulande nach Einschätzung des Marburger Bundes noch längst nicht aus, um das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen. „Wir haben in Deutschland immer wieder den Eindruck, wir würden so enorm viel testen“, sagte die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft, Susanne Johna, in Berlin. Das sei aber nicht der Fall. Vor dem Hintergrund eines neuen Rekords mit knapp 20000 Neuinfektionen am Tag forderte sie ein Nachdenken darüber, „wie wir mehr Testkapazitäten generieren können“. Eine Lösung seien Antigen-Schnelltests.
Bezogen auf eine Million Einwohner werden in Deutschland etwa 260000 Menschen auf Corona getestet, wie Johna erklärte. In Großbritannien sind es aber beispielsweise 481000 Tests pro eine Million Einwohner. Auch in den USA oder Belgien werde mehr getestet. Gerade in der kalten Jahreszeit, sagte Johna, seien aber mehr Tests erforderlich. Es müsse viel öfter abgeglichen werden, ob jemand
Fieber wegen Corona oder wegen einer Erkältung habe: „Insofern brauchen wir Testkapazitäten.“Im Gegensatz dazu empfiehlt das Robert-Koch-Institut, die Zahl der Tests zu reduzieren, weil die Laborkapazitäten ausgeschöpft sind. Mehr Tests könne das Gesundheitssystem nicht stemmen.
Die Ärzteschaft setze die Hoffnung auf Antigen-Schnelltests, die aber noch nicht gänzlich erforscht seien, sagte Johna: „Wir wissen eben auch, dass wir hier noch ein bisschen auf die unabhängigen Studien warten müssen.“Die Tests funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip wie Schwangerschaftstests und weisen die Eiweißstrukturen des Virus nach. Das Ergebnis liegt binnen weniger Minuten vor.
Mehr Tests sind dem Marburger Bund zufolge eine Strategie, um die Pandemielage in den Griff zu bekommen. Darüber hinaus bleibt die Kontaktverfolgung ein wichtiges Instrument. Appelle an die Eigenverantwortung, so wichtig die seien, genügen dabei nicht, unterstrich Johna. Es sei richtig gewesen, die Zahl der Kontakte einzuschränken. Um die Kontaktverfolgung sicherzustellen, brauche der öffentliche Gesundheitsdienst dringend wieder
Boden unter den Füßen. Es müsse möglich sein, „mindestens da nachzuverfolgen, wo viele Infektionen in kurzer Zeit entstanden sind. Also bei den sogenannten InfektionsClustern.“Die Menschen sollten sich zudem selber Gedanken über ihre Kontakte machen und eine Art Tagebuch führen, um im Falle einer Ansteckung die eigenen Kontakte schnell nachvollziehen zu können. Die Bundeswehr gab derweil bekannt, sie werde weitere 1000 Soldaten
für Hilfseinsätze in der Corona-Krise bereithalten. Das Gesamtkontingent wächst damit auf 16000 Männer und Frauen.
„Wir brauchen eine deutliche Absenkung der Infektionszahlen“, mahnte Johna. Die Corona-Pandemie sei so lange nicht unter Kontrolle, wie weltweit täglich zehntausende Menschen noch daran sterben. Auch Deutschland befinde sich weiter in einem Corona-Marathon „und wir stellen uns auf weitere Patienten auf den Intensivstationen ein“. Man müsse leider davon ausgehen, dass auch in Deutschland die Zahl der
Toten weiter steige, betonte die Marburger-Bund-Chefin. Johna wies den Eindruck zurück, die Jüngeren könnten dem Virus furchtlos entgegentreten: „Es kommt eben auch bei jüngeren und nicht nur bei älteren Patienten zu schweren Verläufen der Covid-19-Erkrankung.“
Der Marburger Bund warnte eindringlich vor einer Überfüllung der Kliniken. Wenn es nicht gelinge, die Zahl der Infizierten zurückzudrängen, „werden auch bei uns die Krankenhäuser irgendwann an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen“, sagte Johna. Ein Stufenplan könne bei hoher Belastung dabei helfen, planbare Operationen zurückzustellen, um das Personal auf den Infektions- und Intensivstationen einzusetzen.
Johna forderte die Regierung auf, finanzielle Hilfen für die Krankenhäuser bereitzustellen. Wenn die Kliniken leere Betten für CoronaPatienten vorhalten müssten, bedeute das Erlösausfälle. Hier sei das Signal „enorm wichtig“, dass diese Ausfälle vom Staat übernommen würden. Johna forderte, Teile des Krankenhaus-Rettungsschirms aus dem Frühjahr wieder einzuführen. Die Häuser bräuchten finanzielle Planungssicherheit „mindestens mal bis Mitte nächsten Jahres“.
„Auch bei jüngeren Patienten gibt es schwere Verläufe“