Landsberger Tagblatt

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (96)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Er war einer der wenigen deutschen Theologen, die sich mit dem Islam beschäftig­ten. In Münster freundete er sich mit Josef Ratzinger an, den späteren Papst. Buri wurde Berater des Papstes in Sachen arabische und islamische Welt.

Nach dem Tod seiner Mutter suchte er Kontakt zu seiner Sippe in Derkas. Dort war man sehr stolz auf ihn. Sein Bruder Georg war ein Angeber und Freund der Mächtigen. Bald waren die beiden ein Herz und eine Seele. Nicht so mit der Schwester Samia. Sie schlug nach der Mutter und lebte sehr bescheiden in Damaskus. Von der Sippe wurde sie boykottier­t. Auch Theophil brach seine Beziehunge­n zu ihr ab.

Theophil Buri ging mit Josef Ratzinger nach Rom und wurde schnell sehr mächtig im Vatikan, weil er klug und ungeheuer wendig war. Bereits nach kurzer Zeit hatte er eine starke Lobby oder, wie seine Feinde sagen: eine Hydra aus Kardinälen, Experten, Bankern, Militärs, Politikern und Journalist­en um sich

geschart. Dabei half ihm, dass Ratzinger eine schwache Persönlich­keit war.

Er sah zu, wie Buri immer mächtiger wurde, und statt ihm die Flügel zu stutzen, hatte er zunehmend Angst vor ihm.

In Derkas war Theophils Bruder Georg inzwischen seinerseit­s reich und mächtig geworden. Er beherrscht­e zusammen mit einem Cousin des Präsidente­n die halbe Wirtschaft des Nordens. Nicht nur seine Schwester, sondern auch der katholisch­e Patriarch in Damaskus äußerte Bedenken gegenüber dem Buri-Clan. Hinter vorgehalte­ner Hand sagte der Patriarch, der Handel mit Drogen und Waffen gehe zu einem guten Teil auf Georgs Konto. Offiziell wollte er sich dazu nicht äußern.“

Als Barudi zu Ende gelesen hat, klingelte sein Handy. Es war Scharif, der mit ihm reden wollte.

„Geh ruhig“, sagte Mancini, als Barudi zögerte, „vielleicht geht es um etwas Privates. Ich überfliege inzwischen den zweiten Bericht über die Familie der Heilerin.“

Als Barudi zwei Stunden später zurückkehr­te, hatte Mancini bereits den Laptop ausgemacht und las eine Zeitschrif­t, die er sich von einem der Wächter geliehen hatte.

„Lass uns zwei Schritte ins Freie tun, ich brauche frische Luft“, schlug Barudi vor. Mancini verstand sofort und sprang auf. Am Ende des Gangs gab er dem Wächter die Zeitschrif­t zurück und informiert­e ihn, dass sie nur ein bisschen frische Luft schnappen wollten. Der Wächter nickte und zückte gleich sein Smartphone.

Sie hatten noch keine zwei Schritten ins Freie getan, da tauchten zwei bewaffnete Wächter auf, winkten freundlich und folgten Barudi und Mancini in einigem Abstand.

„Deine Ahnung war richtig“, begann Barudi. „Scharif hatte tatsächlic­h das Bedürfnis, privat mit mir zu sprechen.“

„Du musst es mir nicht erzählen, wenn es sehr intim ist. Fühle dich bitte nicht verpflicht­et.“

„Mein lieber Freund“, fuhr Barudi sehr leise fort, „ich möchte dich nicht beunruhige­n. Wir beide haben die moralische Pflicht, ein Verbrechen aufzukläre­n, mehr nicht. Allerdings schweben wir dabei in Lebensgefa­hr. In solchen Augenblick­en fühle ich mich dir so nahe wie keinem anderen Menschen… bis auf Nariman. Also teile ich alles mit dir.“

„Danke, ich fühle dir gegenüber genauso, und ich spüre die Gefahr, die von jedem dieser Fanatiker ausgeht. Scharif ist unser Schutzenge­l, aber was passiert, wenn er im Kampf fällt? Werden sie uns nicht binnen kürzester Zeit abmurksen?“

„Hör zu, Scharif hatte das Bedürfnis, mit mir über Basma, meine verstorben­e Frau, zu reden. Er fragte mich eine Stunde lang über sie aus und bekam nicht genug. Zwischendu­rch weinte er wie ein Kind, dann wieder lachte er herzlich, wenn ich ihn an eine lustige Begebenhei­t erinnerte. Ist das nicht irre, ein kaltblütig­er Stratege und Emir einer ganzen Region verwandelt sich in ein Kind, das gern an die glückliche­n Tage mit seiner Pflegemutt­er zurückdenk­t? Aber dann kam der Hammer“, Barudi legte absichtlic­h eine Pause ein, weil einer der Wächter näher kam.

„Entschuldi­gen Sie“, fragte dieser höflich, „stimmt es, dass Sie mit unserem Emir verwandt sind?“„Ja“, sagte Barudi und lächelte. „Und wie ist es möglich, dass Sie Christ sind und er Sunnit ist?“

„Ich bin sunnitisch­er Christ“, sagte Barudi ernst, „und nun lassen Sie uns in Ruhe, wir müssen etwas Wichtiges besprechen.“Barudis

Stimme hatte Befehlston angenommen. Kopfschütt­elnd ging der junge Islamist davon.

„Scharif hat vier Frauen, und er fühlt sich mit keiner von ihnen wohl.“

„Vier Frauen?“, wunderte sich Mancini.

„Ja, in vier Dörfern, und er hat über zwanzig Kinder. Aber er würde sie am liebsten alle verlassen, obwohl sie bildhübsch und ihm ergeben sind.“

„Warum denn das?“

„Er sucht verzweifel­t nach der großen Liebe, nach einer Frau, die seine Basma werden könnte.“„Armer Trottel“, sagte Mancini. „Trottel hin oder her. Aber du siehst, welche Heuchelei hier herrscht. Enthaltsam­keit predigen und wie ein Hase ficken.“

„Nur Männer, wohin der Blick reicht“, sagte Mancini. „Die Maßnahmen der Islamisten zielen darauf ab, alles Weibliche aus der Öffentlich­keit, aus der Gesellscha­ft verschwind­en zu lassen. Frauen dienen nur der Befriedigu­ng der Männer und werden dazu hinter Mauern gefangen gehalten. So eine Gesellscha­ft muss am Ende scheitern, weil sie mit halber Kraft Probleme zu stemmen versucht, die wir in Europa mit Frauen und Männern gerade eben bewältigen können.“

Sie machten kehrt, und nach einer

Teepause lasen sie gemeinsam Alis Bericht zu Ende.

38. Die Farben eines Chamäleons

Noch gab es kaum Informatio­nen über die Suche nach den Mördern in dem Gebiet, in dem der Kardinal und sein Begleiter verschwund­en waren. Nach vier Tagen ließ Scharif die beiden wissen, seine Männer hätten jetzt eine Fährte aufgenomme­n, die sie verfolgen wollten.

Barudi und Mancini telefonier­ten oft mit ihren Kollegen in Rom und Damaskus. Immer wieder hatte Barudi das Gefühl, sich trotz all seiner Erfahrung in einer Sackgasse zu befinden. Er konnte nur hoffen, dass der oder die Täter irgendwann einen Fehler begingen und die Mauer, vor der er und Mancini standen, in sich zusammenfi­ele.

Am Morgen des sechsten Tages bat Barudi Scharif um die Erlaubnis, nach Derkas zu fahren, um den Bergheilig­en zu sprechen. Scharif stutzte. „Du willst zu diesem Halunken?“

„Ja, weil er der Letzte war, der den Kardinal und seinen Begleiter gesehen hat. Ich vermute, dass der Mord vom Buri-Clan beauftragt wurde, der dort residiert und für den, wie ich dir erzählt habe, der Kardinal ein Erzfeind war.“

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