Der Friseur ist auch ein Seelsorger
Seit 40 Jahren ist Angelika Leuthner aus Kaufering selbstständig. Jetzt übergibt sie den Salon an Tochter Sandra Jais. Die Frauen berichten über den Wandel des Berufs und wie die Corona-Pandemie die Arbeit beeinflusst
Kaufering Den Generationswechsel hatte sich Angelika Leuthner anders vorgestellt. Seit 40 Jahren ist die Friseurmeisterin selbstständig, im Jubiläumsjahr 2020 war die Übergabe ihres Salons am Fuggerplatz an Tochter Sandra Jais geplant. Doch wie so vielen machte auch dieser Unternehmerfamilie die CoronaPandemie einen Strich durch die Rechnung. Jetzt passiert der Rückzug schleichend, Tochter Sandra Jais steht im Laden und damit im Vordergrund, Mutter Angelika Leuthner zieht sich langsam zurück. „Es ist kein gutes Jahr zum Starten“, findet Leuthner. Eine Feier lasse sich darüber hinaus auch nicht vernünftig planen.
„Ich arbeite mehr im Hintergrund und mache die Buchführung“, erklärt die 68-jährige Angelika Leuthner, die 1969 eine Lehre zur Friseurin im Salon ihrer Eltern in München begann. Im Augenblick verbringe sie so viel Zeit am Computer wie noch nie, sagt sie. Zu ihren neuen Aufgaben gehört das Studium der vielen Auflagen und Hygienevorschriften, die seit der Wiedereröffnung nach dem Lockdown im Mai umgesetzt werden müssen. Über das Internet steht sie in Verbindung mit Kollegen deutschlandweit und stellt fest: „Probleme haben viele. Wir überlegen zusammen, wie wir uns neu aufstellen können.“
Bis Oktober war die Belegschaft in Kurzarbeit. Gearbeitet wurde in zwei Teams, aufgeteilt in Früh- und Spätschicht. Jetzt soll weitgehend Normalität einkehren. Die Angestellten arbeiten wieder an ihren festen Tagen und zu den gewohnten Arbeitszeiten. „Wir genießen es, dass wir uns gegenseitig haben“, sagt die 40-jährige Sandra Jais. „Normalität ist auch für die Psyche
Kunden wichtig“, sagt die Friseurmeisterin und Visagistin, die ihre Aufgabe als „Service mit Herz“versteht. Als Stewardess habe sie gelernt, dass der Arbeitsbeginn bedeute „Vorhang auf und Bühne frei“. Persönliche Belange müssten zurückstehen, bei der Arbeit zähle allein der Kunde oder die Kundin, die einen möglichst erholsamen Aufenthalt erleben sollen. „Das S in Friseur steht für Seelsorger“, sagt Sandra Jais.
Das Berufsbild habe sich in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich geändert, sagt Leuthner: „Wir Friseure sind nicht mehr nur Dienstleister, sondern für das allgemeine Wohlbefinden zuständig.“Seit jeher beschränkt sich ihr Salon nicht auf Haare und Frisur, sondern bietet ganzheitliche Erlebnisse in Kombination mit Kosmetik in einer separaten Kabine sowie Maniküre oder Pediküre. „Man muss Pakete anbieten“, wissen Angelika Leuthner und Sandra Jais.
Einen Wandel im Verhalten haben Mutter und Tochter seit diesem Sommer festgestellt. „Es kommt häufiger vor, dass Kunden Termine nicht wahrnehmen und nicht einmal absagen“, sagen die beiden. Die Planung werde dadurch schwieriger. Zu beobachten sei außerdem, dass die Kunden Kopfmassagen, die im Salon traditionell zu einem Haarschnitt gehören, mehr genießen und die Gelegenheit zum Abschalten nutzen. Für sie selbst seien viele Abder läufe neu. Ungewohnt sei beispielsweise, dass sie Kundinnen seit Mai nicht mehr in den Mantel helfen dürfen, sagen beide.
Im Friseursalon Leuthner spielt die Nachwuchsarbeit eine große Rolle. Einige der ehemaligen Lehrlinge arbeiten noch immer in ihrem Ausbildungsbetrieb, wie eine Mitarbeiterin,
die 1998 als Lehrling startete. Wie ihre Mutter hat auch Sandra Jais ihre Ausbildung im elterlichen Salon absolviert.
Die Messlatte für Qualität legen Mutter – sie hat ihre Ausbildung als
Jahrgangsbeste abgeschlossen – und Tochter, die ihre Meisterprüfung mit dem Staatspreis bestanden hat, bei der Ausbildung ebenso wie bei den Anforderungen an die Mitarbeiter hoch.
1980 eröffnete Angelika Leuthner den Salon im Keller ihres Hauses in der Sachsenstraße, um arbeiten und dennoch bei ihren beiden Kindern sein zu können. 2008 folgte der Umzug an den Fuggerplatz. „Ich wollte Abstand schaffen zwischen Arbeit und Privatem.“Neben der Selbstständigkeit unterrichtete sie 17 Jahre an der Meisterschule in München. Lang habe sie geschwankt zwischen einem eigenen Salon und dem Lehramt. „So war beides möglich“, sagt Angelika Leuthner.
1980 im Keller des eigenen Hauses den Salon eröffnet