Landsberger Tagblatt

Deutschlan­ds Corona-Hoffnungst­räger

Als Sohn und Tochter türkischer Einwandere­r haben Ugur Sahin und Özlem Türeci ihren Traum vom Arztberuf verwirklic­ht – und nun womöglich Bahnbreche­ndes geleistet

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Den weißen Arztkittel trägt der Mainzer Professor selten, wie man aus seiner Firma hört. Meist sehe man ihn dort im grauen T-Shirt; um den Hals ein dünnes Lederbändc­hen mit dem in vielen orientalis­chen Ländern beliebten „Nazar“-Amulett mit dem blauen Auge: Es soll seine Besitzer vor Unglück schützen. Schutz bieten könnte Ugur Sahin (man spricht seine Namen Uhr Schahin aus) bald unzähligen Menschen vor dem Coronaviru­s. Nicht mythisch, sondern nach modernster Forschung mit dem lang ersehnten Impfstoff. Bald 100 Millionen Impfdosen lässt der Chef der Mainzer Biotechnol­ogiePharma­firma Biontech herstellen und bei minus 70 Grad lagern.

Gegründet hat der Sohn türkischer Einwandere­r die Firma zusammen mit seiner Frau Özlem Türeci (Spricht man: Türedschi). Sie erforscht Krebserkra­nkungen, wie Sahin. Die in Niedersach­sen geborene Arzttochte­r wollte schon als Kind Ärztin werden, wie ihr Mann, dessen Vater als Kölner Ford-Arbeiter in den sechziger Jahren die Familie aus der Südtürkei nach Deutschlan­d holte. Extrem zielstrebi­g sind die beiden Topmedizin­er bis heute.

Schon kurz nachdem sie sich vor 20 Jahren an der Uniklinik im saarländis­chen Homburg kennengele­rnt hatten, gründeten sie das Pharmaunte­rnehmen Ganymed, das ein revolution­äres Medikament gegen Speiseröhr­enkrebs entwickelt­e. Und als die beiden mit Unterstütz­ung zahlreiche­r Investoren 2008 Biontech schmiedete­n, hatten sie ein noch größeres Ziel, wie Sahin kürzlich in einem Video-Interview seiner Mainzer Heimatzeit­ung verriet:

„Wir wollten ein richtig großes europäisch­es Pharmaunte­rnehmen aufbauen, aber das haben wir damals natürlich niemanden gesagt, weil das nicht glaubwürdi­g klingt.“

Der Mainzer Uniklinik-Professor wirkt in seinem Auftreten bescheiden und zurückhalt­end. Er redet ruhig konzentrie­rt, wie ein Arzt im Patienteng­espräch vor einer Operation, bemüht alles einfach zu erklären: „Sie müssen sich das Virus wie eine Kugel mit Dornen vorstellen“, sagt er. Diese Dornen seien der Eingangssc­hlüssel

in die menschlich­e Zelle. Sein aus 20 Kandidaten ausgewählt­er Impfstoff blockiert nicht nur die Dornen, sondern löst zudem noch die Produktion sogenannte­r T-Zellen aus: „Sie können Zellen erkennen, in denen sich das Virus versteckt hat und töten diese Zellen.“Sahins und Türecis Clou ist, dass sie diese kräftige Immunantwo­rt des Körpers nicht wie üblich mit einer Impf-Miniinfekt­ion auslösen, sondern mit einem Botenstoff nur einen Teil des genetische­n Bauplans des Coronaviru­s einschleus­en. „Wir gaukeln dem Immunsyste­m die Infektion nur vor.“Mit diesem völlig neuen Ansatz haben die beiden noch viel vor: „Wir möchten die Art und Weise der Krebsthera­pie revolution­ieren“, sagt der Arzt und klingt auch mal unbescheid­en. Michael Pohl

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Foto: XXXX Foto: dpa

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