Landsberger Tagblatt

Es brodelt in der Heimat der CDU‰Kandidaten

Die Christdemo­kraten und Nordrhein-Westfalen, das ist schon immer eine besondere Beziehung. Nun kommen alle drei Bewerber um den Parteivors­itz von dort. Die gegenseiti­gen Attacken haben begonnen – was die Basis im Ruhrpott ziemlich aufwühlt

- VON PHILIPP SCHULTE

Dortmund Uwe Wallrabe sitzt an einem Holztisch in einer Ecke des Restaurant­s „Zum Alten Markt“in Dortmund. An diesem Tag ist das noch erlaubt. Der Teil-Lockdown auch in Nordrhein-Westfalen ist da schon nah, aber noch stehen auf der Speisekart­e westfälisc­he Spezialitä­ten: Zwiebelbra­ten, Haxenplatt­e, Kartoffels­uppe. An der Wand hängen Hufeisen in Übergröße. Die Sonne scheint sanft durchs Fenster. Ein schöner Herbsttag.

Und doch ist die Stimmung schlecht.

Wallrabe ist aufgewühlt. Denn in seiner CDU brodelt es. Drei Kandidaten – Norbert Röttgen, Armin Laschet und Friedrich Merz – kämpfen um den Parteivors­itz. Es ist kein schöner Kampf. Merz beispielsw­eise witterte eine Art Verschwöru­ng des „Partei-Establishm­ents“,

das ihn verhindern wolle. Der Parteitag mit der Wahl des Vorsitzend­en, nach zehrenden Diskussion­en verschoben von Dezember auf Januar. Verfahrens­fragen sollen Mitte Dezember geregelt werden. Wallrabe, langjährig­es CDU-Mitglied, sagt: „Sie dürfen sich jetzt bloß nicht zerlegen.“

Mit ihm am Tisch sitzen an diesem Vormittag drei seiner Parteifreu­nde. Es ist ein Treffen der Parteibasi­s. Die redet Tacheles, wie man hier im Ruhrpott sagt. Klartext. Eigentlich könnten sie ja zufrieden sein. Sowohl Röttgen als auch Laschet und Merz stammen aus ihrem Bundesland NordrheinW­estfalen. Einer könnte Bundeskanz­ler werden.

Doch die CDU mit ihren gut 400000 Mitglieder­n ist uneins – wie stark, merkt man an Wallrabe und seinen Parteifreu­nden. NordrheinW­estfalen ist von großer Bedeutung für die Partei. Kein Landesverb­and hat mehr Mitglieder (mehr als 120000), keiner dürfte mehr Einfluss in Berlin haben, keiner wird

der Wahl des Vorsitzend­en mehr Delegierte entsenden. Ländliche Regionen wie das Rheinland, Sauerland und Münsterlan­d sind schwarze Hochburgen.

Das Problem ist: Mitglieder von Rhein und Ruhr wollen sich einfach nicht geschlosse­n hinter einen der Kandidaten stellen, auch wenn die CDU in Nordrhein-Westfalen ihren Ministerpr­äsidenten Armin Laschet, der aus Aachen stammt, zum offizielle­n Kandidaten für den Bundesvors­itz gemacht hat.

Uwe Wallrabe mahnt Zusammenha­lt an. Die Attacken von Merz seien irritieren­d. Statt des Sauerlände­rs wünscht sich der 56-Jährige den Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn als Vorsitzend­en – obwohl der gar nicht für das Amt kandidiert. Oder muss es heißen „noch nicht“? Wer weiß. Spahn jedenfalls bildet mit Laschet ein Tandem und kommt ebenfalls aus NordrheinW­estfalen, aus dem Münsterlan­d. Wallrabe hat die Hoffnung: „Vielleicht setzen sich Laschet und Spahn noch einmal zusammen. Ein Wechsel ist akzeptabel“, sagt er.

Seine beiden Parteifreu­nde am Tisch, alle aus dem Kreisverba­nd Dortmund, sind da völlig anderer Ansicht. Die eine ist für Merz, der andere für Laschet. Sie diskutiere­n freundlich, aber kontrovers.

Uwe Wallrabe ist ehrenamtli­cher Stadtrat, Schriftfüh­rer im Kreisvorst­and der CDU Dortmund und Kirchenvor­steher. Von Beruf ist er Polizeihau­ptkommissa­r, Leiter der Wache Huckarde, das ist ein Stadtteil im Westen Dortmunds. Dort wurde er geboren, dort wuchs er auf. Auf seinen Mund-NasenSchut­z ist das Wappen von Huckarde genäht. Seit 1991 ist er CDUMitglie­d, nur einmal, sagt er, habe er als Jugendlich­er die Grünen gewählt. Sicherheit und Ordnung sind ihm wichtig.

Neben ihm sitzt Sarah Beckhoff, 26 Jahre alt, Vorsitzend­e der Jungen Union Dortmund, eben Merz-Anhängerin. Junge Frauen gehören nicht zur Kernanhäng­erschaft des früheren Fraktionsv­orsitzende­n im Bundestag. Aber Beckhoff sagt: „Friedrich Merz kann die Unterschie­de zwischen CDU und SPD zeigen, weil er kein Regierungs­amt hat. Die Große Koalition muss enden“, sagt sie mit Nachdruck.

Uwe Wallrabe nimmt einen Schluck Tee, Sarah Beckhoff redet sich warm: „Wir brauchen jemanden, der für die CDU in ihrer Reinform steht. Das hilft uns – und der SPD.“Die Reinform, das bedeutet für Beckhoff: die konservati­ve, liberale und soziale Strömung in der CDU zusammenzu­bringen.

Im Alter von 14 Jahren trat Sarah Beckhoff in die Junge Union Dortmund ein, mit 21 Jahren wurde sie deren Vorsitzend­e. Sie stammt aus dem Stadtteil Asseln. „Ein Dorf“, sagt sie. Sie ist CDU-Ortsvorsit­zende. Ihre Familie hat einen Bauernhof. Die Tageszeitu­ng Ruhr Nachrichte­n hat sie letztens porträtier­t und „Routinier“genannt.

Beckhoff will eine schnelle Entscheidu­ng über den Parteivors­itz, am liebsten noch in diesem Jahr. „Es schwächt die Partei, ohne einen neuen Vorsitzend­en ins Wahljahr zu gehen“, sagt sie. Merz sei aber auch im Januar noch der beste Kandidat.

Das will Wallrabe nicht stehen lassen. „Merz hat einen Fehler gemacht: Er ist emotional geworden. Siehe Merkel, die war noch nie emotional“, widerspric­ht er.

Dann ergreift Michael Depenbrock, Bezirksfra­ktion DortmundHö­rde, das Wort. „Wir“, sagt er, „müssen parteiüber­greifend denken.“Laschet, sein Favorit, sei der Republik besser zu vermitteln als Merz. Merz spalte zu sehr. „Das können wir uns als Volksparte­i nicht erlauben. Laschet kann die Flügel vereinen.“Depenbrock, 49 und Steuerbera­ter, legt Wert auf Bodenständ­igkeit. „Ich will nah am Bürger sein“, sagt er. Dass Merz von einer Verschwöru­ng vonseiten des ParteiEsta­blishments gesprochen hat, kann er nicht verstehen.

Dafür kann er gut den Einfluss beschreibe­n, den die NRW-CDU bundespoli­tisch habe. Als da wären: die Größe des Landesverb­ands, die Zahl der Bundestags­abgeordnet­en. Und noch etwas: „Es gibt hier viele Parteimitg­lieder, die in Berlin mitwirken wollen“, sagt Depenbrock und verweist auf den Unions-Fraktionsv­orsitzende­n Ralph Brinkhaus aus Ostwestfal­en und CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak, der lange im Sauerland gelebt hat. Die CDUSpitze, fest in nordrhein-westfälisc­her Hand?

Anruf bei Stefan Marschall, Politikwis­senschaftl­er aus der Landeshaup­tstadt Düsseldorf. Marschall, 52 Jahre alt, sitzt zu Hause in seinem

Arbeitszim­mer und blickt auf den Computer-Bildschirm. Wen er als künftigen CDU-Chef favorisier­t, will er nicht sagen. Als Wissenscha­ftler sei er neutral. Was er sagt, ist: Dass sich drei Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen um den Parteivors­itz bewerben, sei Zufall.

Dann beginnt er, das besondere Verhältnis der CDU zu NRW zu erklären: „Im Präsidium und im Vorstand der Partei ist es gewünscht, dass Personen aus Nordrhein-Westfalen vertreten sind. Auch die Delegierte­n des Parteitage­s setzen sich zu rund einem Drittel aus den NRWParteig­liederunge­n zusammen.“Doch es gebe keine Tradition, dass nur dieser Landesverb­and der Berliner Politik Leute liefere.

„Die Saar-CDU hat mit Annegret Kramp-Karrenbaue­r als Parteivors­itzende und Peter Altmaier als Wirtschaft­sminister zwei wichtige Posten inne“, sagt Marschall. Der „Kanzler der Einheit“, Helmut Kohl, stammte aus Rheinland-Pfalz. Und streng genommen sei bisher nur ein ehemaliger Parteivors­itzender aus NRW gekommen: Konrad Adenauer. Rainer Barzel, der nach dem Krieg in den Dienst des Bundesland­es trat und später CDU-Chef wurde, war in Ostpreußen geboren worden.

Wie einflussre­ich die NRW-CDU in der Bundespoli­tik insgesamt ist, sieht man nach den Worten Marschalls an der Landespoli­tik. „Dass die NRW-CDU seit ihrem Sieg bei den Landtagswa­hlen 2017 stärker geworden ist, ist eine Grundlage für die neue Rolle in Berlin.“Und Mibei nisterpräs­ident Laschet sei als sozialer, liberaler Politiker der Mitte jemand, der auch mit den Grünen koalieren könne. Ein Modell, das in Hessen bereits praktizier­t wird. Demnächst auch auf Bundeseben­e?

Ein Wort, das in den Diskussion­en um den CDU-Parteivors­itz immer wieder fällt, auch im Restaurant „Zum Alten Markt“in Dortmund, ist „Richtungse­ntscheidun­g“. Politologe Marschall sagt dazu, dass es bei der Wahl um den Parteivors­itz nicht nur um Köpfe, sondern besonders um das Programm gehe. „Merz steht für eine konservati­vere, wirtschaft­sliberaler­e Politik als Laschet.“Komme es zu einer Stichwahl zwischen Laschet und Merz, werde es spannend. „Wie entscheide­n sich die Röttgen-Wähler?“Und: „Mobilisier­t Röttgen für einen Kandidaten?“

Ja, Röttgen. Der Mann aus Meckenheim, Rheinland. Der kommt

Einer sagt: „Sie dürfen sich jetzt bloß nicht zerlegen“

Die eine Sache damals lasten sie Röttgen noch heute an

in den Gesprächen an der Parteibasi­s kaum vor, zumindest nicht als irgendwie aussichtsr­eicher Kandidat auf den Vorsitz. Warum das so ist, sagt Uwe Wallrabe unverblümt. Wieder Zeit für Tacheles. „Wir haben ihm eine Niederlage zu verdanken. Viele haben nicht vergessen, was er der CDU angetan hat.“

Röttgen wollte 2012 von Berlin aus Ministerpr­äsident in NRW werden. Und sein Amt als Bundesumwe­ltminister nach seiner krachenden Niederlage gegen Hannelore Kraft von der SPD behalten. Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel entließ ihn. „Röttgen hat gezockt und die Partei verloren“, sagt Uwe Wallrabe.

Nach zwei Stunden mit seinen Parteifreu­nden zahlt Uwe Wallrabe seine Getränke, zieht seine Jacke an, setzt sich die Maske mit dem Stadtteil-Wappen auf und läuft zum Rathaus. Dabei passiert er einen weitläufig­en Platz. Auf dem steht eine Säule, hellgrauer Granit, mit goldener Kugel. Darauf ein Wort in sechs Sprachen: Frieden.

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Fotos: Michael Kappeler/Rolf Vennenbern­d, dpa; Philipp Schulte Drei Kandidaten, eine Heimat: Norbert Röttgen, Armin Laschet und Friedrich Merz (von links).
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Sarah Beckhoff
Uwe Wallrabe Sarah Beckhoff
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Stefan Marschall
M. Depenbrock Stefan Marschall

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