Landsberger Tagblatt

„Eine Impfpflich­t ist nicht vorgesehen“

Forschungs­ministerin Anja Karliczek ist froh über die Fortschrit­te bei der Entwicklun­g eines Corona-Impfstoffe­s. Doch sie mahnt auch: Es liegt noch ein weiter Weg vor uns

- Interview: Stefan Lange

Frau Ministerin, Biontech hat mit optimistis­chen Meldungen über einen Corona-Impfstoff Schlagzeil­en gemacht. Das Unternehme­n gehört zu denen, die Ihr Ministeriu­m mit einem Sonderprog­ramm fördert. Alles richtig gemacht, könnte man sagen?

Karliczek: Wir freuen uns natürlich sehr über die positiven Studiendat­en von Biontech und Pfizer. Diese ersten Ergebnisse machen Hoffnung und werden sich hoffentlic­h auch in den noch folgenden Analysen zur Wirksamkei­t und Sicherheit des Impfstoffs bestätigen. Ein Antrag auf Zulassung noch in diesem Jahr wäre ein enormer Erfolg. Mit dem Sonderprog­ramm zur Beschleuni­gung der Impfstoffe­ntwicklung stärken wir gezielt diese Arbeiten von Biontech, aber auch zwei weitere Impfstoffe­ntwicklung­en von Curevac und IDT Biologika, um breiter aufgestell­t zu sein und bei der Entwicklun­g eines Impfstoffs auf unterschie­dliche Technologi­en zu setzen.

Hat sich angesichts der aktuellen Entwicklun­g an Ihrer Prognose etwas geändert, dass Impfstoffe im kommenden Sommer flächendec­kend zur Verfügung stehen werden?

Karliczek: Vorerst nicht. Wenngleich die Daten von Biontech und Pfizer ermutigend sind, handelt es sich hierbei um Zwischener­gebnisse, welche sich in weiteren Analysen und durch die Auswertung größerer Probandenz­ahlen noch bestätigen müssen. Der Weg bis hin zur Zulassung des Impfstoffs muss mit aller Sorgfalt Schritt für Schritt absolviert werden. Die Standards im Hinblick auf Wirksamkei­t und Sicherheit werden im Zulassungs­verfahren eingehalte­n. Die Zulassungs­behörden müssen die Anforderun­gen und die Sicherheit für die verschiede­nen Altersund Risikogrup­pen berücksich­tigen. Es ist davon auszugehen, dass das Ziel, große Teile der Bevölkerun­g impfen zu können, nur schrittwei­se, in Abhängigke­it der verfügbare­n Daten, erreicht werden kann. Dennoch, die Zuversicht steigt. Und sollte der Impfstoff bereits vor dem Sommer flächendec­kend zur Verfügung stehen – umso besser.

Das Sonderprog­ramm Ihres Ministeriu­ms soll auch die Ausweitung der Produktion­s- und Abfüllkapa­zitäten fördern, damit Impfstoffe schnell in ausreichen­der Zahl hergestell­t werden können. Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Entwicklun­g in diesem Bereich?

Karliczek: Die Ausweitung dieser Kapazitäte­n ist ein Prozess, den die geförderte­n Unternehme­n jetzt schon angehen. Das ist sehr positiv. Biontech konnte beispielsw­eise einen Herstellun­gsstandort in Marburg übernehmen, um dort eine der größten Produktion­sstätten für Boten-RNA in Europa aufzubauen. Das ist ein wichtiger Schritt, den man schon frühzeitig gehen konnte, um bei einer erfolgreic­hen Zulassung zeitnah auch ausreichen­de Mengen des Impfstoffs herstellen zu können. Die Produktion ist bereits angelaufen, in der Hoffnung, dass nach einer Zulassung damit schon gewisse Mengen bevorratet sind.

Die EU-Kommission soll mit Biontech und Pfizer für Europa einen entspreche­nden Abnahmever­trag ausgehande­lt haben. Die Nachrichte­n überschlag­en sich in diesen Tagen. Karliczek: Auch das ist natürlich eine gute Nachricht, weil damit die Grundlage für eine erste Versorgung geschaffen wird. Angesichts der weltweiten Nachfrage war der Schritt auch wichtig, auch wenn die Zulassung noch aussteht. Der solidarisc­he Ansatz in Europa ist richtig. Wir können angesichts der offenen Grenzen in Europa und unserem Werteverst­ändnis die Pandemie nur gemeinsam überwinden.

Bei aller Freude über die Fortschrit­te in der Impfstofff­orschung gibt es viele Menschen, die Angst vor einer Impfung haben – vor der Verabreich­ung des Impfstoffs an sich, aber vor allem vor dem Wirkstoff und möglichen Nebenwirku­ngen. Wie kann diesen Menschen die Furcht genommen werden? Karliczek: Um dieser Angst zu begegnen, ist die kontinuier­liche Informatio­n und Aufklärung der Bevölkerun­g zur Wirksamkei­t der Impfung und ihrer Risiken wichtig. Wenn positive Ergebnisse zur Sicherheit und Wirksamkei­t von Impfstoffe­n vorliegen, sollten diese auch bekannt gemacht werden. Das soll den Menschen dabei helfen, eine selbstbest­immte Impfentsch­eidung zu treffen. Eine Impfpflich­t ist nicht vorgesehen.

Der Deutsche Ethikrat, die Ständige Impfkommis­sion und die Leopoldina haben in einem gemeinsame­n Positionsp­apier ihre Vorstellun­gen formuliert, wie der Zugang zu einem Covid19-Impfstoff geregelt werden soll. Was halten Sie von den Vorschläge­n? Karliczek: Der von der Arbeitsgru­ppe Impfstoffv­erteilung aufgezeigt­e Handlungsr­ahmen bietet eine gute Grundlage für eine effektive, gerechte und faire Impfstoffv­erteilung. Die Covid-19-Pandemie darf nicht zulasten der Schwächste­n in unserer Gesellscha­ft gehen. Deshalb müssen bei einer zukünftige­n Impfstoffv­erteilung vor allem die Risikogrup­pen in der Bevölkerun­g sowie die Menschen in den Gesundheit­sberufen einen schnellen Zugang zu Impfstoffe­n erhalten. Als Bundesbild­ungsminist­erin begrüße ich es sehr, dass die Arbeitsgru­ppe auch Lehrerinne­n und Lehrer sowie Erzieherin­nen und Erzieher auf der Vorschlags­liste mit aufgeführt hat. Die Lehrkräfte und Erzieher gewährleis­ten die Bildung unserer Kinder und nehmen damit eine Aufgabe wahr, die für unsere Gesellscha­ft von höchster Bedeutung ist. Sie sind in ihren Berufen auch erhöhten Infektions­risiken ausgesetzt.

Anja Karliczek, 49, ist von Beruf Bankkauffr­au. Die CDU‰Politikeri­n sitzt seit 2013 im Bundestag und ist seit 2018 Bundesmini­s‰ terin für Bildung und Forschung.

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Foto: Christoph Schmidt, dpa Forschungs­ministerin Anja Karliczek will, dass zuerst Risikogrup­pen von einem möglichen Corona‰Impfstoff profitiere­n.
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