Landsberger Tagblatt

So soll die Bundeswehr wieder einsatzfäh­ig werden

Der frühere Wehrbeauft­ragte Bartels hat zusammen mit Ex-General Glatz Vorschläge vorgelegt, wie aus paralysier­ten Streitkräf­ten wieder eine effektive Truppe entstehen soll. Sie erklären, warum mehr Geld nicht ausreichen wird

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Der Begriff „Reform“ist in der Politik traditione­ll positiv besetzt. Im 19. und 20. Jahrhunder­t waren es Reformen, die die Arbeiterkl­asse aus dem Elend und der Unmündigke­it befreiten oder die Rechte der Frauen stärkten. Natürlich gibt es auch Reformen, die nach hinten losgehen. In der Bundeswehr sorgen Ankündigun­gen, dass „alles auf den Prüfstand“gehöre oder die „Strukturen auf den Kopf gestellt werden“müssten, seit der Wende 1990 für düstere Vorahnunge­n. Für die Truppe bedeutete das oft Chaos, Sparzwang, oder Umzug mit der Familie. „Jetzt wird alles nur noch schlimmer“, heißt es oft. Diese Befindlich­keiten kennt der Co-Autor eines Thesenpapi­ers zur Zukunft der Bundeswehr, Hans-Peter Bartels, genau. Dennoch, auch der ehemalige Wehrbeauft­ragte und sein Mitstreite­r, der General a. D. Rainer Glatz, wollen Reformen, und zwar einschneid­ende.

Der Sorge der Soldaten und Soldatinne­n vor radikalen Veränderun­gen versucht das Duo mit dem Leitsatz „So viel Kontinuitä­t wie möglich, so viel Reform wie nötig“die Grundlage zu entziehen. Im Kern fordern die Autoren in ihrem „Denkanstoß“, der von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP) veröffentl­icht wurde, mehr gut ausgerüste­tes Personal für eine hohe Einsatzber­eitschaft der Bundeswehr – weg vom rein betriebswi­rtschaftli­chen Denken, hin zu schlanken und handlungsf­ähigen Verwaltung­sstrukture­n.

Die Situation hat sich in zwei

gedreht. Nach 1990 sollte die Bundeswehr, die mit großen Panzereinh­eiten auf die Verteidigu­ng Deutschlan­ds und der NatoAllian­z gegen einen Angriff aus dem Osten ausgericht­et war, fit gemacht werden für Auslandsei­nsätze zur Krisenbewä­ltigung. Spätestens nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 rückte allerdings auch wieder die Bündnisver­teidigung in den Mittelpunk­t der Politik. Ein Spagat, der bis heute regelmäßig missglückt.

Immerhin fließt seit einigen Jahren deutlich mehr Geld in den Haushalt des Verteidigu­ngsministe­riums. Lag das Budget im Jahr 2014 noch bei knapp 32,5 Milliarden Euro, stehen Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r für das laufende Jahr gut 45,5 Milliarden zur Verfügung.

„Schrumpfen ist gestoppt, das Wachsen hat begonnen“, schreiben Bartels und Glatz. Doch wer mit diesem Satz Aufbruchst­immung in Verbindung bringt, täuscht sich. Denn das Geld trifft auf Strukturen, die nicht geeignet sind, die neuen Mittel effektiv einzusetze­n. Die Folgen sind bekannt: defekte Hubschraub­er und U-Boote, neue Waffensyst­eme, die sich als Rohrkrepie­rer entpuppen. Sogar die Anschaffun­g eines neuen Sturmgeweh­res gerät zur Posse. Beispiele, die von Politik und Medien aufgegriff­en werden und geeignet sind, die Reste des Vertrauens in die Fähigkeite­n des Verteidigu­ngsministe­riums und der Bundeswehr zu zerstören.

Die Autoren sehen die Ursachen für die Dauerkrise in falschen Weichenste­llungen seit 2000. Die Weizsäcker-Kommission unter der Leitung des früheren Bundespräs­identen Richard von Weizsäcker habe, dem damaligen neoliberal­en Zeitgeist folgend, den Einzug betriebswi­rtschaftli­chen Handelns für die Streitkräf­te propagiert. Wo immer möglich, sollten Privatfirm­en staatliche Aufgaben übernehmen. Endziel der Kommission: das „Unternehme­n Bundeswehr“. Zehn Jahre später forderte eine Kommission um den damaligen Chef der Bundesagen­tur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, den Weg der Auslagerun­gen und Privatisie­rungen noch zu gehen.

Einige Elemente der Pläne wurden umgesetzt – andere blieben auf halber Strecke stecken oder verschwand­en in der Schublade. Das Ergebnis ist ernüchtern­d: Bartels spricht von Strukturen, die nicht aneinander angepasst sind. So werde viel Geld verschleud­ert. Der SPDPolitik­er wäre gerne für eine weitere Amtszeit Wehrbeauft­ragter geblieben, er wurde aber von seiner eigenen Partei ausgebrems­t.

In seinen „Denkanstoß“ließ er Erkenntnis­se aus dem letzten Wehrberich­t, den er im Januar 2020 vorstellte, einfließen. Für den Bericht wurden systematis­ch Frauen und Männer der Streitkräf­te nach ProPunkten entschloss­ener blemen in der Bundeswehr gefragt. Ganz oben stand der Wunsch, essenziell­e Aufgaben wie die Beschaffun­g von Material wieder dezentral zu organisier­en, statt zentralist­ischen Mammutbehö­rden zu überlassen.

Ein grundlegen­des Übel sieht ExGeneral Glatz in den berüchtigt­en doppelten Befehlsstr­ukturen und einer aufgebläht­en Bürokratie. „Wir haben die kleinste Bundeswehr aller Zeiten. Aber wir haben die meisten Kommandobe­hörden und Stäbe“, sagte Rainer Glatz der Welt. Um dieses Missverhäl­tnis wieder ins Lot zu bringen, raten die Autoren dazu, die Zerglieder­ung der Bundeswehr­Strukturen zum Teil rückgängig zu machen. So könnten die Streitkräf­tebasis, der Sanitätsdi­enst und der Cyber- und Informatio­nsraum, die als selbststän­dige Bereiche geschaffen wurden, wieder in die klassische­n Teilstreit­kräfte Heer, Luftwaffe und Marine integriert werden.

Als sicher kann gelten, dass Kramp-Karrenbaue­r, aber auch die Verteidigu­ngsexperte­n aller Parteien die „Denkanstöß­e“ganz genau gelesen haben. Genauso sicher sind sich Hans-Peter Bartels und Rainer Glatz jedoch, dass eine Reform in ihrem Sinne vor der Bundestags­wahl im September 2021 nicht realistisc­h ist. Sie setzen auf die Zeit danach. Eine frisch gewählte Regierung könnte, so das Kalkül der Experten, auf Basis ihrer Vorschläge die Einsatzfäh­igkeit der Bundeswehr wieder auf ein akzeptable­s Level heben und gleichzeit­ig den Dienst für die Soldatinne­n und Soldaten attraktive­r und befriedige­nder machen.

 ?? Foto: Maurizio Gambarini, dpa ?? Wartung gehört natürlich dazu. Doch veraltete und technisch anfällige Ausrüstung gefährdet längst die Einsatzfäh­igkeit der Bundeswehr.
Foto: Maurizio Gambarini, dpa Wartung gehört natürlich dazu. Doch veraltete und technisch anfällige Ausrüstung gefährdet längst die Einsatzfäh­igkeit der Bundeswehr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany