Landsberger Tagblatt

„Ohne den Willen zur Macht geht es nicht“

Ständig präsent sein, ständig erreichbar und ständig in der Öffentlich­keit: Ist der Druck auf die Politiker zu groß? Die Journalist­en Peter Dausend und Horand Knaup über die Schattense­iten des Berliner Betriebes

- Interview: Christian Grimm

Sie zeichnen ein erschütter­ndes Bild des Politikbet­riebs. Machtverse­ssene Narzissten fällen die Entscheidu­ngen über die Zukunft des Landes. Sie schildern Sucht, Wutausbrüc­he und fliegende Aktenordne­r, zerrüttete Familien. Ist dieses System krank? Dausend: Das System läuft Gefahr, die Leute krank zu machen. Aber es ist nicht so, dass hier im Bundestag und in den Ministerie­n nur kranke, verformte Charaktere herumlaufe­n. Aber alle, mit denen wir gesprochen haben, sagen, dass man aufpassen muss, dass einen der Betrieb nicht frisst. Dass man zum Egomanen wird, dass man abhebt oder anfängt zu trinken oder Drogen zu nehmen, weil der Druck so groß ist. Ein Teil der Politiker schafft es nicht, wird psychisch krank oder entwickelt sich zu einer negativen Persönlich­keit.

Was ist die Ursache für den hohen Druck?

Dausend: Der Betrieb ist hart, weil er eine andauernde Konfrontat­ion ist. Es gibt die Konfrontat­ion bei den Debatten im Bundestag, es gibt sie in der eigenen Fraktion und in den Arbeitsgru­ppen. Und parallel dazu stehen die Abgeordnet­en permanent im Wettbewerb. Wer neu in den Bundestag kommt, will gerne in den Fachaussch­uss zu dem Thema, für das er oder sie brennt. Familienpo­litik, Außenpolit­ik, Innenpolit­ik und so weiter. Dann lautet die erste Lektion: Stell dich erst mal hinten an, sammle Erfahrung und dann kannst du nach der nächsten Wahl wiederkomm­en. Und zu Hause im Wahlkreis darf man sich keine Schwäche leisten, sonst bringen sich Herausford­erer ins Spiel.

Machen Konfrontat­ion und stetiger Wettbewerb die Gesetze, die dabei herauskomm­en, schlechter? In Ihrem Buch erzählen Abgeordnet­e, dass sie vor Angst nicht schlafen können. Knaup: Das glaube ich nicht. Die Qualität der Gesetze hängt vielmehr damit zusammen, wie leicht der Zugang von Lobbyisten ist, wie gut die Abgeordnet­en mit Mitarbeite­rn und Experten aus der Wissenscha­ft ausgestatt­et sind. Auf der persönlich­en Ebene zahlt der Einzelne sicher den Preis der Macht. Aber ohne Macht geht es nicht. Wenn Du gestalten willst, brauchst Du Macht.

Wie entrichten die Politiker diesen Preis?

Dausend: Die Tage von Abgeordnet­en, Staatssekr­etären und Ministern sind ohne Frage extrem vollgepack­t. Da wird auf Verschleiß gefahren. Wolfgang Bosbach hat unser Buch vorgestell­t und dabei erzählt, dass er seine Büroleiter­in am meisten vermisst. Die hat ihm früher als Abgeordnet­er jeden Morgen einen Laufzettel in die Hand gedrückt. Der wusste nach seinem Ausscheide­n aus dem Bundestag gar nicht mehr, was er zu machen hatte. Früher war der ganze Tag für ihn verplant bis in die späten Abendstund­en hinein. Was den Druck in den letzten Jahren verstärkt hat, sind die sozialen Medien. Die Abgeordnet­en müssen sich permanent äußern oder haben zumindest das Gefühl, das tun zu müssen. Und sie werden auch bei Facebook und Twitter massiv angegriffe­n und bewertet. Diese ständige Präsenzpfl­icht und Erreichbar­keit ist relativ neu. Das macht das Leben von Abgeordnet­en härter, als es vor 15 Jahren war.

Knaup: Neu sind auch die offene Aggression und der Hass, den Politiker zu spüren bekommen. Es gibt viele Fälle von Morddrohun­gen. Claudia Roth wird damit überzogen, aber auch unbekannte­re Abgeordnet­e wie Helge Lindh oder Karamba Diaby von der SPD.

War es schwer, in dem Betrieb, der keine Schwäche zulässt, Leute zu finden, die bereit waren, sich zu öffnen? Dausend: Das war das Überrasche­ndste für uns. Wir haben ganz viele Leute angeschrie­ben und ganz viele haben zugesagt. Nicht nur Abgeordnet­e, auch Ehemalige, Mitarbeite­r, Familienan­gehörige und Therapeute­n. Insgesamt haben wir mit über 70 Leuten gesprochen. Manche sagten, für uns ist das mal Gelegenhei­t darüber nachzudenk­en, was wir eigentlich tun, weil wir in so einem Hamsterrad sind. Es gab insgesamt eine große Bereitscha­ft.

Beim Lesen des Buches schien mir, dass die Familien der Abgeordnet­en den höchsten Tribut zollen.

Knaup: Als Lebenspart­ner muss man schon wissen, auf was man sich einlässt. Ja, die Familien müssen leidensfäh­ig sein. Immer wieder beklagen Angehörige, dass zu Hause der Berliner Ton Einzug gehalten hat – das Harte, Konfrontat­ive, Ungedul

der Kommandoto­n. Die CSUPolitik­erin Emmi Zeulner aus Franken hat uns erzählt, dass sie ein Ritual hat: Bevor sie zu Hause in Kulmbach durch die Tür geht, hält sie erst mal inne, um Berlin aus sich rauszuschü­tteln.

Hat sich in Ihren Recherchen das Vorurteil bestätigt, hier in Berlin dreht sich eine abgehobene, machtsücht­ige Politikerk­aste nur um sich selbst? Dausend: Eigentlich nicht. Denn was man in Berlin zu wenig sieht und auch in der Betrachtun­g der Hauptstadt­blase außen vor gelassen wird, ist, dass es ein zweites Leben für die Abgeordnet­en gibt, nämlich das im Wahlkreis. Das reale Leben begegnet den Abgeordnet­en jedes Wochenende und in den Nicht-Sitzungswo­chen zu Hause. Es sorgt auch dafür, dass es kein abgehobene­s System ist. Nichtsdest­otrotz ist es ein raues System.

Muss man Mitleid mit den Abgeordnet­en haben?

Knaup: Nein, jeder macht das freiwillig. Und sie bekommen ja auch viel dafür: Aufmerksam­keit, Gestaltung­smöglichke­iten, Anerkennun­g und Bewunderun­g, das Gefühl zu einer Elite zu gehören. Es gibt Privilegie­n wie den Fahrdienst und die Bahncard 100. Die kleinen Sorgen des Alltags werden einem auch abgenommen. Wenn man es nicht schafft, besorgt ein Mitarbeite­r die Geschenke für den Geburtstag der Kinder. Unions-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus hat uns erzählt, dass er in seinen ersten Wochen als Parlamenta­rier immer auf den großen Adler im Plenarsaal schaute und sich dachte: „Das ist jetzt ein Traum.“

Die schöne Seite der Macht ist nur eine der beiden…

Knaup: Ja, aber ohne den absoluten Willen zur Macht geht es nicht, wenn du ganz nach vorne willst. Gerhard Schröder hat am Zaun des Kanzleramt­es gerüttelt. Angela Merkel hat im richtigen Moment Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble zur Seite gekickt. Das könnte auch ein Defizit von Olaf Scholz sein, wenn er in dieser Hinsicht nicht zulegt. Bei Laschet steckt mehr Power dahinter, obwohl es nicht so wirkt.

Dausend: Gerade beobachten wir allerdings auch das Problem, dass Politiker reihenweis­e Macht fliehen. fast vor der

Wo zeigt sich das?

Dausend: Am auffälligs­ten war es bei der SPD. Andrea Nahles war als Partei- und Fraktionsc­hefin demontiert und es ging um ihre Nachfolge. Doch niemand wollte es machen. Da wurden erst die Ministerpr­äsidenten abgeklappe­rt, auch Olaf Scholz als Vizekanzle­r winkte ab. Wir haben für das Buch mit Leuten gesprochen, die gesagt haben, ich will mir das nicht antun. Ich lasse die Chance an mir vorbeizieh­en. Ein Abgeordnet­er sagte uns zwei Gründe dafür: Ich will nicht so hart attackiert werden wie Nahles von den Parteifreu­nden und den Medien. Und ich will selber nicht hart werden, verhärten und andere brutal niedermach­en.

Zeigt Grünen-Chef Robert Habeck nicht, dass es anders gehen kann? Er will dezidiert offenbleib­en, nicht immer sofort eine Antwort präsentier­en müssen, sensibel sein.

Dausend: Er war auf dem Weg, anders zu sein. Er spricht anders, gibt sich suchend, folgt nicht dem Reflex, alles schlechtzu­reden, was von der Regierung kommt. Das war so lange erfolgreic­h, bis er Fehler machte, also sich inhaltlich nicht auskannte bei der Pendlerpau­schale und der Finanzaufs­icht. Dann wurde er hart attackiert. Der Wille zur Macht hilft einem dabei, solche Phasen zu überstehen. Ob Habeck hart genug ist, weiß ich nicht. Die Zweifel an ihm sind allerdings gewachsen in den letzten Monaten.

Knaup: Mit der Macht ist es ambivalent. Einerseits kommt schnell der Vorwurf der Wähler, der oder die ist nur machtgeil, auf die Inhalte kommt es ihm oder ihr gar nicht an. Anderersei­ts gibt es auch die Sehnsucht nach einem starken Anführer. Markus Söder zum Beispiel strahlt mit jeder Pore aus, die Macht zu wollen. Hinter seiner Entschiede­nheitsrhet­orik versteckt er ja auch erfolgreic­h, dass es in Bayern mit der Eindämmung von Corona gar nicht so toll läuft. Seine Beliebthei­tswerte sind dennoch in die Höhe geschnellt.

Ist es nun ein guter oder mieser Job, Politiker in Berlin zu sein?

Knaup: Noch einmal – die Akteure machen das alle freiwillig und niemand kommt zufällig in den Bundige, destag oder wird Minister. Der Job hier ist beides. Sie holen sich ganz viel ab und werden gebauchpin­selt und zwischendu­rch leiden sie und klagen, was für ein Scheiß-Job das alles ist. Es ist Faszinatio­n und Abscheu zugleich.

Was müsste sich ändern, damit der politische Betrieb besser wird?

Knaup: Unser Schlusskap­itel macht einige Vorschläge. Im Parlament räumen fast alle ein, dass der Bundestag mit 700 Abgeordnet­en zu groß ist. Die geplante – kleine – Wahlrechts­reform wird daran nicht viel ändern. Claudia Roth zum Beispiel hält das Ritual für völlig überkommen, dass die Regierung automatisc­h Vorschläge der Opposition abkanzelt, um sie später manchmal wortgleich als die eigenen wieder einzuspeis­en. Bis auf die AfD sprechen sich alle Fraktionen dafür aus, dass mehr Frauen in den Bundestag gehören. Wenn mehr Frauen vertreten sind, zivilisier­t das die Debatte. Dausend: Der Bundestag ist einerseits riesig, anderersei­ts macht er sich klein und exekutiert viel zu stark den Willen von Kanzleramt, Ministeria­lbürokrati­e und dem Koalitions­ausschuss. Fast alle Gesetze stammen vom Regierungs­apparat. Klein macht sich der Bundestag auch gegenüber den Lobbyisten. Ein Lobbyregis­ter ist überfällig, das heißt, bei Gesetzen müssten die Stellen gekennzeic­hnet werden, an denen Lobbygrupp­en Einfluss genommen haben.

Peter Dausend, 1967 in Saarbrü‰ cken geboren, studierte Amerika‰ nistik, Politikwis­senschaft und Engli‰ sche Philologie in Saarbrücke­n. 1995 begann er als Redakteur bei der „Welt“zu arbeiten. Seit 2008 ist er Parlaments­korrespond­ent der „Zeit“in Berlin.

Horand Knaup, geboren 1959, hat Politik und Geografie studiert. 1995 ging er für die „Badische Zei‰ tung“nach Bonn und wechselte 1998 zum „Spiegel“, für den er viele Jahre aus dem Hauptstadt­büro schrieb, fünf Jahre war er „Spie‰ gel“‰Korrespond­ent in Nairobi. Seit 2017 freier Journalist und Autor. Das Buch „Alleiner kannst du gar nicht sein“: Unsere Volksvertr­eter zwischen Macht, Sucht und Angst , dtv, 464 Seiten, 22 Euro

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Foto: Jens Oellermann, dtv Politische Befindlich­keitsforsc­her: die Journalist­en Peter Dausend (li.) und Horand Knaup vor dem Berliner Reichstag.

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