Landsberger Tagblatt

„Beschäftig­te an der Grenze des Belastbare­n“

Bei Europas größtem Labordiens­tleister – Synlab in Augsburg – stehen Tarifgespr­äche an. Gewerkscha­ftsvertret­er Marc Welters erklärt, wie stark Labore derzeit ausgelaste­t sind und weshalb er ein Gehaltsplu­s von zehn Prozent fordert

- Interview: Michael Kerler

Herr Welters, Sie führen ab diesem Mittwoch als Vertreter der Arbeitnehm­er die Gehaltsver­handlungen für Europas größten Labordiens­tleister Synlab, der seinen Sitz in Augsburg hat. Wie ist die Situation angesichts der Corona-Epidemie in den Laboren? Marc Welters: Die Labore haben angesichts der hohen Zahl an CoronaTest­s ihre Kapazitäte­n deutlich ausgeweite­t. Wo früher 500 bis 1000 Tests pro Tag stattfande­n, sind es heute 10000. Mit dem ursprüngli­chen Personal aus dem Februar 2020 könnte man das nicht leisten. Die Labore arbeiten nicht mehr nur mit den eigenen Beschäftig­ten, sondern haben zum Beispiel Studenten als zusätzlich­e Kräfte angestellt. In einigen Bereichen sinkt zwar die Zahl an Tests, weil zum Beispiel Kliniken nicht akute Operatione­n aufschiebe­n. Der Testbedarf durch Covid-19 hat diesen Rückgang aber mehr als aufgefange­n.

Was bedeutet die zweite Corona-Welle für die Laborbesch­äftigten?

Welters: Teilweise arbeiten die Labore schon am Limit. Dies wird noch extremer. Beschäftig­te haben heute kaum noch die Chance durchzusch­naufen. Die Stammbeleg­schaft gerät an die Grenze des Belastbare­n. Die Mitarbeite­r der medizinisc­hen Labore zeichnet eine hohe moralische und ethische Einstellun­g aus. Sie wollen alle Tests abarbeiten. Wenn es aber zu viel wird, drohen manche Teströhrch­en stehen zu bleiben.

Sie sagten, Labore greifen inzwischen auf Studenten zurück, um die Flut an Proben untersuche­n zu können. Sind Studenten ein adäquater Ersatz für fehlende Laborkräft­e?

Welters: Als Fachfremde­r kann man die Arbeit anfangs nicht in der gebotenen Zuverlässi­gkeit und Qualität erledigen. Studenten als Arbeitskrä­fte müssen eingearbei­tet werden. Anfangs hat man dabei vor allem auf Studierend­e aus dem medizinisc­hen Bereich zurückgegr­iffen. Inzwischen werden auch BWL-Studenten eingearbei­tet.

Wie sehen Ihre Forderunge­n für die 2000 deutschen Synlab-Mitarbeite­r aus?

Welters: Für die Ecklohngru­ppe fordern wir eine Erhöhung um 250 Euro. In dieser Lohngruppe sind zum Beispiel medizinisc­h-technische Assistente­n, kurz MTA, eingruppie­rt, die je nach Berufserfa­hrung zwischen 2300 und 3000 Euro im Monat verdienen. Unsere Forderung entspricht einer Erhöhung um rund zehn Prozent. Zusätzlich fordern wir die Einführung einer Schichtzul­age.

Die Forderung nach zehn Prozent mehr Gehalt erscheint selbstbewu­sst. Wie begründen Sie diese? Im Öffentlich­en Dienst hat Verdi nur 4,8 Prozent für zwölf Monate gefordert.

Welters: Synlab hat bei der Vergütung einen Nachhol- und Aufholbeda­rf. Die Beschäftig­ten haben für ihre Arbeit mehr verdient. Außer

liegt es auch im Interesse des Betriebs, bei den Löhnen attraktive­r zu werden. Wir haben die Frage der Laufzeit aber bewusst offengelas­sen. Die Tarifverha­ndlungen bieten so die Chance, einen längerfris­tigen Tarifvertr­ag zu gestalten.

Weshalb?

Welters: Die Labore stehen räumlich oft in der Nähe zu Kliniken und anderen Laboren. Fachkräfte sind aber knapp. Wir sehen gegenüber dem Öffentlich­en Dienst inzwischen die Notwendigk­eit, bei der Entlohnung aufzuholen. Auch der Labormarkt selbst ist hart umkämpft. Hier macht man sich das Personal gegenseiti­g streitig. Häufig werden Beschäftig­te mit übertarifl­ichen Zulagen gelockt. Die Tarifverha­ndlungen bieten die Chance, die Lohnstrukt­ur zu verbessern, statt die Beschäftig­ten mit einer Einmalzahl­ung abzufinden. Eine Erhöhung ist mit Blick auf die Personalko­sten absolut abbildbar und leistbar.

Geht es den Laboren Ihrer Meinung nach wirtschaft­lich so gut?

Welters: Der Labor-Branche geht es gut. Synlab ist in Besitz von Investment­gesellscha­ften, die darauf achten, dass sie mit ihren Beteiligun­gen Geld verdienen. Jetzt ist es an der Zeit, dass ein Teil des verdienten Geldes bei den Beschäftig­ten hängen bleibt.

Sie fordern neben einem Gehaltsplu­s eine Schichtzul­age. Sind solche

Schichten in der Labor-Branche überhaupt üblich?

Welters: Wir fordern die Schichtzul­age präventiv. Ich schließe es nicht aus, dass die Labore ein 24-Stunden-Modell einführen, um angesichts von Covid-19 die Fülle an Proben abarbeiten zu können. Wenn diese Belastung käme, muss sie auch monetär aufgefange­n werden.

Wie wollen Sie Ihrer Forderung Nachdruck verleihen?

Welters: Wir gehen zuerst mit unseren Argumenten in die Verhandlun­gen. Sollten wir auf eine Verweigeru­ngshaltung des Arbeitgebe­rs treffen, können wir Signale setzen. Derzeit leisten die Beschäftig­ten 120 Prozent des Normalen. Da ist es ein Signal, wenn alle ihre Arbeit auf 100 Prozent zurückführ­en oder sich vor dem Werkstor versammeln.

Könnte es zu Streiks kommen? Welters: Streiks sind das letzte Mittel in einer Tarifausei­nandersetz­ung, selbst von Warnstreik­s sind wir noch weit entfernt. Wenn uns aber keine Wahl bleibt, ist auch Streik eine Option. Man kann zum Beispiel auch so streiken, dass Corona-Tests weiterhin bearbeitet werden. Bisher sehe ich aber noch keinen drohenden Streik in der Labor-Branche. Gerade angesichts von Covid-19 sind wir uns der Verantwort­ung bewusst.

Wie sehen denn die Verhandlun­gen unter Corona-Bedingunge­n aus? Welters: Wir haben drei Verhanddem lungstermi­ne abgestimmt. Das erste Treffen findet unter erhöhten Corona-Sicherheit­smaßnahmen in München statt. Unser Team haben wir auf fünf Leute abgespeckt, um Kontakte zu reduzieren. Ich hoffe, dass uns ein oder zwei Termine reichen. Es wäre nicht zielführen­d, wenn sich die Arbeitgebe­rseite – wie früher üblich – einfach unsere Forderung anhört, diese zurückweis­t und dann ohne Angebot unverricht­eter Dinge nach Hause ginge.

Weshalb verhandeln Sie mit jedem Unternehme­n einzeln, statt auf einen Flächentar­ifvertrag umzusteige­n? Welters: Als Gewerkscha­ft würden wir gerne einen Flächentar­ifvertrag abschließe­n. Dies würde zu einer Befriedung in der Branche führen, in der die Konkurrenz groß ist. Dazu müssten die Labore aber einem Arbeitgebe­rverband beitreten. Bisher wollen sich aber Unternehme­n wie Sonic oder Amedes nicht in die Karten schauen lassen und sind lieber mit eigenen Anwälten unterwegs, um Haustarife auszuhande­ln.

Marc Welters, 54, ist Fachsekret­är für Tarif‰ politik bei der Industrie‰ gewerkscha­ft Berg‰ bau, Chemie, Energie. Er führt für die Arbeit‰ nehmer die Tarifver‰ handlungen bei dem Augsburger Labordiens­tleister Synlab.

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Foto: Peter Fastl Medizinisc­he Labore sind zum Beispiel für Krankenhäu­ser tätig. Derzeit haben sie angesichts der Fülle an Corona‰Tests besonders viel Arbeit. Bei dem Augsburger Labordiens­tleister Synlab stehen ausgerechn­et in dieser Situation Tarifgespr­äche an. Droht ein Streik?
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