Landsberger Tagblatt

Vom Homeoffice zum digitalen Nomaden?

Viele arbeiten wieder von zu Hause aus, Reisen zu Urlaubszie­len wie die Kanaren oder Madeira sind möglich. Wer nun mit dem Laptop im Gepäck im warmen Süden überwinter­n will, muss allerdings einiges beachten

- VON RENÉ BUCHKA

Augsburg Reif bedeckt die Dächer vorm heimischen Fenster, wenn der Blick morgens vom Laptop nach draußen schweift. Mit dem Lockdown arbeiten viele wieder von zu Hause aus. Doch wie wäre es, wenn der Blick aus dem Fenster weißen Sand statt weiße Dächer zeigt? Warum sich nicht an digitalen Nomaden ein Beispiel nehmen? Diese Frauen und Männer reisen um die Welt und arbeiten von unterwegs. Sie programmie­ren, bieten Assistenzd­ienste an oder verdienen ihr Geld, indem sie als Reiseblogg­er von ihren Erfahrunge­n berichten. Also mit dem Laptop im Gepäck aus dem kalten Homeoffice in den warmen Süden fliehen? Ist doch egal, von wo aus man arbeitet – oder?

Nicht ganz. Denn zunächst einmal brauchen Angestellt­e eine spezielle schriftlic­he Vereinbaru­ng mit ihrem Arbeitgebe­r, wenn sie woanders als von zu Hause aus arbeiten wollen, sagt Miruna Xenocrat von der Arbeitnehm­erhilfe Berlin. Sie ist Rechtsanwä­ltin unter anderem mit dem Schwerpunk­t auf Arbeitsrec­ht. Außerdem besteht laut Xenocrat die Gefahr, dass der Aufenthalt im Ausland durch einen Lockdown oder Ein- und Ausreiseve­rbote länger als vereinbart ausfällt. „Dann hat man keinen Anspruch auf Gehalt.“

Auch schwierig: Wer zahlt im Falle eines Unfalls? „Das ist im Homeoffice genauso“, sagt Xenocrat. Wenn man daheim auf dem Weg zum Kaffeemach­en hinfällt und sich etwas bricht, kommt zwar nicht die Unfallvers­icherung des Arbeitgebe­rs, aber auf jeden Fall die gesetzlich­e Unfallvers­icherung auf. Passiert das am ausländisc­hen Strand, hängt man versicheru­ngstechnis­ch in der Luft. Deshalb rät Xenocrat in diesem Bereich selbst die Vorsorge aufzustock­en.

Apropos Versicheru­ngen: Wer länger im Ausland arbeiten will, sollte auch an seine Sozialvers­icherung denken. Denn wenn jemand mehr als 25 Prozent eines Jahres seiner Arbeit in einem anderen EULand verrichtet, wird er dort beitragspf­lichtig. Dann müsste man auch mit dem Arbeitgebe­r klären, wer die Beiträge abführt. Das trifft natürlich nicht auf digitale Nomaden zu, die ständig reisen. Ihnen empfiehlt Xenocrat deshalb, mit ihren Trägern zu sprechen.

Momentan ist es mit dem Reisen aber sowieso nicht allzu weit her, meint Carolin Müller. Sie bietet psychologi­sche Beratungen an, die sie per Videochat mit ihren Kunden führt. Normalerwe­ise ist sie dabei auf der ganzen Welt unterwegs. Aktuell ist sie aber in Deutschlan­d und wird dort auch vorerst bleiben. „Meine Bekannten reisen langsamer und bleiben länger an einem Ort.“

Damit meint sie andere digitale Nomaden, die sie im Laufe der Jahre kennengele­rnt hat.

Sie bekomme außerdem mit, dass derzeit viele im Süden Europas unterkomme­n. „Weil hier das Gesundheit­ssystem besser ist – für den Fall der Fälle“, sagt Müller. Sie gibt zu bedenken, dass der Lockdown in anderen Ländern stärker ausfiel als hier. In Frankreich etwa durften sich die Menschen nicht mehr als einen Kilometer von ihrem Zuhause entfernen. Außerdem müssen Reisende aktuell oft negative CoronaTest­s vorweisen, wodurch Müller zufolge zusätzlich­e Kosten entstehen können.

Momentan ist nach Müllers Einschätzu­ng dennoch ein guter Zeitpunkt, um das Arbeiten vom Ausland aus zu probieren. Die CoronaKris­e habe zum Umdenken bewegt, viele seien der Digitalisi­erung gegenüber offener. Beispielsw­eise könnte man versuchswe­ise für drei Monate im Süden überwinter­n. Aber: Auch digitale Nomaden arbeiten ohne Ende, sagt Müller. Wer sich davon nicht entmutigen lässt und sich sogar selbststän­dig machen will, solle überlegen, wie er seine Fähigkeite­n digital umsetzen kann. Müller rät zudem, Rücklagen zu bilden – nicht jeder, der schnell ins kalte Wasser springt, könne sich auch schnell über Wasser halten.

Für die meisten deutschen Angestellt­en bleibt indes das digitale Nomadentum ein Traum. Bislang können nur wenige komplett ortsunabhä­ngig arbeiten, sagt Romana Dreyer. Dazu zählen überwiegen­d Bürotätigk­eiten. Dreyer ist wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin der Universitä­t Hamburg und forscht als Arbeitsund Organisati­onspsychol­ogin zum Thema entgrenzte Arbeit sowie psychische Gesundheit. Sie schätzt, dass Unternehme­n ihre Strukturen dafür nur ein wenig überarbeit­en müssten. „Was sich aber in vielen Firmen verändern müsste, wäre die Aufgabenge­staltung, denn diese müsste den Arbeitnehm­ern größere Autonomie und Flexibilit­ät zugestehen.“Und der technologi­sche Aufwand wäre natürlich größer.

 ?? Symbolbild: dpa ?? Mit dem Laptop am Strand statt daheim auf dem Sofa – für die meisten deutschen Angestellt­en wird das wohl vorerst ein Traum bleiben.
Symbolbild: dpa Mit dem Laptop am Strand statt daheim auf dem Sofa – für die meisten deutschen Angestellt­en wird das wohl vorerst ein Traum bleiben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany