Landsberger Tagblatt

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (100)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Nur dass er, der Erste Sekretär, sicher sei, die Islamisten hätten den Kardinal umgebracht, weil er einen Muslim zu einem christlich­en Heiligen erklären wollte. Aber das hatten sie selbst schon in Damaskus vermutet. Doktor Musa, der in Psychologi­e und Philosophi­e promoviert hatte, war ein geübter Diplomat, er umging eloquent die Fragen, die den Heiligen betrafen, und erzeugte nur einen wabernden Nebel aus Wörtern. Nach einer Stunde schauten sich Barudi und Mancini an. Ohne ein Wort zu verlieren, waren sich beide einig, dass sie hier ihre Zeit vergeudete­n.

„Grüßen Sie Seine Heiligkeit, wir werden so lange im Hotel bleiben, bis er von seinem Besuch im Himmel zurückkehr­t“, sagte Barudi schmallipp­ig, und Musa verstand ihn.

„Ich werde es versuchen“, sagte er, „aber verspreche­n kann ich Ihnen nichts.“

Unverricht­eter Dinge brachen sie also auf. Es dauerte eine ganze Stunde,

bis sie eine schöne Pension gefunden hatten.

„Du wirst sehen, wir werden schnell einen Gesprächst­ermin bei dem Scharlatan bekommen“, machte Barudi sich und seinem italienisc­hen Freund Mut.

„Das glaube ich nicht“, erwiderte Mancini, der die Kälte des Sekretärs noch in allen Gliedern zu spüren meinte.

39. Die Überraschu­ng

Die beiden Zimmer waren ziemlich klein. Alles in dieser Pension war klein, die Wirtin, ihr Hund, die Tische, die Treppe, das Waschbecke­n und auch das Frühstück, wie sich herausstel­len sollte.

Barudi war früh aufgewacht. Er hatte einen seltsamen Traum gehabt, aber beim Aufwachen wusste er nur, dass Nariman darin vorgekomme­n war. Er rief sie an. Sie lachte und erwiderte, sie habe gerade darüber nachgedach­t, unter welchem Vorwand sie ihn anrufen könnte.

Vergnügt ging er vom ersten Stock in den Frühstücks­raum im Erdgeschos­s. Er war gerammelt voll. Mancini winkte ihm aus einer Ecke zu, er saß an einem winzigen Tisch mit zwei Stühlen nahe dem Fenster zur Straße.

„Guten Morgen“, grüßte Barudi ihn, „hast du gut geschlafen?“

„Wie eine Murmeltier“, antwortete Mancini. Sie aßen schweigend. Bei dem Lärm der Gäste, die über ihre eigenen Sorgen oder über den Bergheilig­en sprachen, war es fast unmöglich, sich zu unterhalte­n.

„Lass uns nach dem Frühstück einen kleinen Spaziergan­g machen, vielleicht finden wir ein ruhiges Café.“

Das Auto ließen sie vor der Pension stehen und gingen zu Fuß in die Altstadt, vorbei an der Kirche. Bereits aus der Ferne sahen sie die vielen Menschen auf dem Platz. Dann aber erblickte Mancini mehrere Läden. Er fasste Barudi am Arm. „Komm, ich will ein Amulett mit dem Furzdiagra­mm kaufen“, sagte er.

Barudi stutzte. „Im Souvenirla­den?“

„Ja, was glaubst du, was solche Läden um die Kirche herum sonst verkaufen? Postkarten von diesem hässlichen Ort? Komm schon.“

Tatsächlic­h bot der Laden Amulette an sowie diverse Heilmittel in dunklen Gläsern und kleinen Flaschen. Ein Regal voll mit Büchern und gerahmten Bildern des Bergheilig­en. Eine Frau bediente an der Theke mit den Amuletten. Ein Mann beriet eine andere Kundschaft bei den heilenden Pulvern und Tinkturen.

„Haben Sie ein Amulett zum Schutz vor Gefahren und Unfällen?“, fragte Mancini die hübsche Verkäuferi­n.

Die Frau griff routiniert zu einem Ständer mit gelben Stofftäsch­chen. „Zehn Dollar“, sagte sie so tonlos wie ein Roboter.

„Wieso Dollar? Geht es nicht mit syrischen Lira?“

„Nein, leider nicht.“Aber von Bedauern war in der Stimme der Frau nichts zu hören.

„Haben Sie auch ein Amulett gegen Neid?“

„Selbstvers­tändlich“, erwiderte die Frau und griff hinter sich nach einem blauen dreieckige­n Stofftäsch­chen. In diesem Augenblick war der Verkäufer frei. Barudi bemühte sich, seriös zu wirken. „Haben Sie ein Mittel gegen Potenz?“, fragte er leise.

„Selbstvers­tändlich“, sagte der Mann und brachte ein kleines Porzelland­öschen, das er sogleich öffnete. Darin befand sich ein gelbes Pulver, das nach Erdnuss und Kurkuma roch.

„Damit haben Männer mit sechzig ganz wunderbare Erfahrunge­n gemacht. Nach drei Wochen war ihre Manneskraf­t wie die eines Neunzehnjä­hrigen.“

„Sie haben mich missversta­nden, mein Herr. Ich brauche ein Mittel zur Reduzierun­g der Potenz, quasi zur Kühlung. Mein Bruder, der gerade mit Ihrer Mitarbeite­rin spricht, bespringt alles, was ein Loch hat. Er macht mir große Sorgen.“

„Kühlen, mit Eiswürfeln in einer …“

„Das haben wir versucht“, unterbrach Barudi den Mann. „Eine Einkaufstü­te voller Eiswürfel, fünf Minuten später konnten wir mit dem heißen Wasser Tee zubereiten.“

Der Mann warf einen gierigen Blick auf Mancini, dann einen besorgten auf die hübsche junge Frau, deren Hand Mancini wie zufällig streichelt­e.

„Nein, dagegen gibt es kein Mittel, mein Herr“, sagte er, ließ Barudi stehen und ging schnell zu seiner Mitarbeite­rin hinüber.

Da hatte Mancini gerade bezahlt. „Was ist mit dem Mann? Er hat mich so ängstlich angeglotzt“, fragte Mancini, als sie wieder auf der Straße waren.

„Er hatte Angst vor dir“, antwortete Barudi und musste so sehr lachen, dass er sich verschluck­te und anfing zu husten.

Inzwischen hatten sich auf dem Platz vor der Kirche doppelt so viele Menschen eingefunde­n wie am Vortag. Die beiden Kommissare blieben stehen und beobachtet­en ein seltsames Schauspiel.

Ein großer roter Kran mit einem Korb, ähnlich dem der Feuerwehr, war vor der Kirche aufgestell­t, und oben im Korb stand ein Mann in brauner Uniform. Er warf Taschentüc­her herunter, die er aus einem Karton nahm. So manches Tüchlein segelte eine Weile über die Köpfe und zog die Aufmerksam­keit der Versammelt­en auf sich. Hände streckten sich danach aus, das eine oder andere fiel aber auch plump zu Boden. Barudi erkannte den Grund. Es war nass. Und wo immer diese Tücher landeten, entstanden Tumult und Geschrei, und das schien den Mann im Korb zu amüsieren. Er wartete, bis Ruhe eintrat, und warf das nächste Tüchlein herunter.

„Was ist das?“, fragte Barudi einen dürren Mann, der weiter hinten stand und nervös rauchte.

„Das sind die Taschentüc­her, die Seine Heiligkeit am gestrigen Tag gebraucht hat. Sie tragen seinen Schweiß, seinen Urin und seinen Speichel. Und sie heilen alle Krankheite­n.“Das Meer der Menschen schlug Wellen, die der Mann im Korb mit seinen Würfen dirigierte.

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