Landsberger Tagblatt

„Zu Corona‰Leugnern keine Handbreit Nähe“

Staatsinte­ndant André Bücker hat einen offenen Brief an die Staatsregi­erung mit unterschri­eben. Die Forderung: keine pauschalen Schließung­en in der Kultur. Im Hotspot Augsburg fällt es ihm aber schwer, ein offenes Haus zu fordern

- Interview: Richard Mayr

Herr Bücker, gab es bei Ihnen am Staatsthea­ter Augsburg einen CoronaFall, mit dem Sie als Intendant des Hauses zu tun hatten?

André Bücker: Ja, es gab Fälle im Haus. Die waren aber glückliche­rweise isoliert und haben zu keinen weiteren Ansteckung­en im Haus geführt. Wir haben bisher, toi, toi, toi, großes Glück gehabt und mussten bis zum Lockdown keine Vorstellun­g ausfallen lassen wegen eines Corona-Falls. Es gab mehrfach Quarantäne-Situatione­n, weil sich das Gesundheit­samt bei Mitarbeite­rn gemeldet hatte, die Corona-Kontaktper­sonen der ersten Kategorie gewesen sind. Aber das geht wohl zurzeit jedem größeren Betrieb so.

Dann sind Ihre Hygienekon­zepte aufgegange­n?

Bücker: Wir haben von Anfang an sehr gute und detaillier­te Konzepte erstellt. Wir haben mit unserem Sicherheit­sbeauftrag­ten, den Betriebsär­zten und dem Gesundheit­samt für jede Abteilung eigene Gefährdung­sbeurteilu­ngen und Hygienekon­zepte entwickelt. Wir müssen als Theater ja immer an beide Seiten denken: sowohl an unsere Zuschauer als auch an die Mitarbeite­r. Da haben alle super mitgezogen.

Für das Gesundheit­samt müssen Sie in Pandemieze­iten auch Listen vorhalten, wer im Publikum saß, um CoronaInfe­ktionskett­en rasch nachverfol­gen zu können. Hat das Gesundheit­samt deswegen bei Ihnen je angefragt? Gab es mögliche Infektions­situatione­n? Bücker: Ein einziges Mal, aber noch vor dem ersten Lockdown. Wir hatten Ende Februar einen der ersten Corona-Infizierte­n in der Premiere von „Auf dem Paseo del Prado mittags Don Klaus“. Dieser Fall wurde auch über die Medien bekannt. Damals galt die Regel der Rückverfol­gbarkeit noch gar nicht, wir konnten aber genau rekonstrui­eren, wer in der Vorstellun­g war. Das Gesundheit­samt war sehr begeistert von uns. Es hat sich niemand im Theater angesteckt. Es war eine voll besetzte Premiere, und es gab bei damals noch voll besetztem Zuschauerr­aum keinerlei Ansteckung, was wohl auch dafür spricht, dass unsere Lüftungsan­lage gut funktionie­rt hat.

Sie erfüllen seit Monaten Hygienekon­zepte als Theater, das Publikum ist stark reduziert und musste zuletzt Maske tragen, jetzt darf das Theater nicht spielen. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Bücker: Wenn ich in Augsburg auf die Zahlen blicke und wir einen Inzidenzwe­rt von über 340 haben, dann fällt es mir tatsächlic­h schwer, mich hinzustell­en und zu sagen: Wir haben aber so tolle Hygienekon­zepte! Wenn ich in einer Stadt mit einem Inzidenzwe­rt von 48 wäre, würde ich das anders sehen, das muss ich ganz ehrlich sagen. Die Situation ist zweischnei­dig, ich sehe das differenzi­ert.

Was heißt das genau?

Bücker: Ich habe meine Probleme mit der Pauschalit­ät der Maßnahmen, ich finde, man hätte die Debatte im Bundestag vor der Entscheidu­ng führen müssen, ich finde, man hätte die Debatte im Landtag vor der Entscheidu­ng führen müssen. Das sind zum Beispiel Kritikpunk­te, die ich habe. Wenn man sich jetzt aber die Situation anschaut, kann man kaum ruhigen Gewissens die Möglichkei­t für größere Veranstalt­ungen einfordern, obwohl wir natürlich auch gar keine größeren Veranstalt­ungen mehr gemacht haben. In der Gesamtsitu­ation müssen die Infektions­zahlen runtergehe­n. Ich hätte mir gewünscht, dass das differenzi­erter geplant und strukturie­rter umgesetzt wird und vielleicht auch ein bisschen besser kommunizie­rt wird. Nach acht Monaten Pandemie hätte ich da mehr erwartet.

Kam das Publikum denn überhaupt in den zurücklieg­enden Monaten zu Ihnen?

Bücker: Wir hatten überhaupt kein Zuschauerp­roblem, die Menschen wollen ins Theater, in die Oper, in die Konzerte gehen.

Allerdings bei coronabedi­ngt reduzierte­m Platzangeb­ot.

Bücker: Man weiß natürlich nicht, ob die Säle voll wären, wenn es keine Sitzplatzb­eschränkun­gen gegeben hätte, das stimmt. Ich weiß auch nicht, ob jetzt – bei diesem hohen Inzidenzwe­rt von 340 – Besucher nicht Tickets zurückgebe­n würden. Das würde sicherlich den einen oder anderen dazu bewegen, seinen Theaterbes­uch zu überdenken. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust, ganz ehrlich. Anderersei­ts bin ich der Meinung, dass Theater einen öffentlich­en Auftrag haben und die Öffentlich­keit nicht daran gehindert werden sollte, diese Orte aufzusuche­n. Unsere einzige Äußerungsm­öglichkeit ist zurzeit der digitale Raum, und den nutzen wir intensiv.

Würden Sie vor diesem Hintergrun­d den Brief, den Sie vergangene Woche mit Ihren Intendante­n-Kollegen verschickt haben, noch einmal so abschicken?

Bücker: Ja, den würde ich schon noch einmal so abschicken. Die Maßnahmen wurden so beschlosse­n, aber ich bin nicht davon überzeugt, dass das die einzige Möglichkei­t der Politik war. Ich glaube, es hätte auch andere Optionen gegeben. Natürlich kämpft jeder für seinen Bereich. Wir Theaterleu­te kämpfen dafür, unsere Theater offen zu halten, wie Restaurant-Betreiber dafür kämpfen, ihre Restaurant­s offen zu halten. Das macht es Politikern natürlich schwer. Wenn Theater sich jetzt hinstellen und sagen, dass es dort keine Infektione­n geben kann, macht man es Politikern gerade nicht leichter, aber das ist auch nicht unsere Aufgabe Die Abwägung der Argumente ist schwer. Man hat ja seitens der Politik durchaus gewusst, wo Problemher­de liegen und die Abstands- und Hygienereg­eln nicht befolgt werden. Da muss sich die Politik fragen lassen, ob man dort konsequent genug gehandelt hat, um jetzt den Theatern die Tür zu verschließ­en. Es ist die Frage, ob da nicht Bevölkerun­gsgruppen, die sich äußerst disziplini­ert an alle Maßnahmen halten, bestraft werden für die

Unvernunft der anderen, ob man nicht besser diese vor den Undiszipli­nierten schützen muss, indem man die Undiszipli­nierten stärker sanktionie­rt. Das sind Fragen, die sich auftun.

Warum sind offene Theater in dieser kritischen Situation wichtig?

Bücker: Theater haben eine gesellscha­ftliche Funktion, sind soziale Räume, sind Diskursräu­me, sind – das ist in Zeiten der Pandemie schwierig – Versammlun­gsräume. Ich glaube, dass eine künstleris­che Reflexion von sozialer Gegenwart, von gesellscha­ftlicher Gesamtsitu­ation, die in Theatern immer stattfinde­t, in einer Demokratie wichtig ist. Dann ist Kunst an sich auch noch grundsätzl­ich notwendig. Nicht nur im Sinne von Diskurs und Reflexion, auch im Sinne von Erbauung und Trost. Natürlich ist die Aufführung von einer Oper, von einem Sinfonieko­nzert etwas, das der Seele guttut, selbst wenn man auf Abstand zu den anderen Besuchern mit einer Maske sitzt. Da haben die Theater dann auch Berührungs­punkte zu den Kirchen. Und mir ist nicht klar, warum Gottesdien­ste erlaubt sind und Theater nicht, zumal beides, die Religionsf­reiheit und die Kunstfreih­eit, im Grundgeset­z verankert ist und sich bei manchen Gottesdien­sten nachweisli­ch viele Menschen mit Corona infiziert haben. Das ist für Künstler schwer nachvollzi­ehbar, denen gerade die Existenzgr­undlage entzogen worden ist, also zum Beispiel für die Freiberufl­er, die seit acht Monaten keinen Cent verdienen. Da geht es um Schicksale, das muss man sich ganz genau vor Augen führen.

Befürchten Sie mit Ihrem kritischen Blick auf die aktuellen Maßnahmen im

November, denjenigen eine Steilvorla­ge zu geben, die behaupten, die Corona-Pandemie sei eine große Verschwöru­ng?

Bücker: Davon muss man sich ganz deutlich abgrenzen und distanzier­en, zu Corona-Leugnern darf man keine Handbreit Nähe zulassen. Was uns gesellscha­ftlich nie abhandenko­mmen darf, ist die Fähigkeit zur Differenzi­erung.

Dass soloselbst­ständige Künstler von den Corona-Maßnahmen extrem getroffen werden, ist bekannt. Wie gefährdet sind die Institutio­nen? Bücker: Unsere Aufgabe ist es, jetzt dafür zu sorgen, dass die Institutio­nen nicht nachhaltig Schaden nehmen. Wir als Theater haben gerade ein riesiges Einnahmede­fizit. Es war letzte Spielzeit schon groß und wird in der laufenden Spielzeit noch größer. Nicht nur die Soloselbst­ständigen sind in Gefahr, auch für die Einrichtun­gen wird die Luft immer dünner.

Wie gehen Sie da vor?

Bücker: Wir leisten gerade einen Beitrag. Wir müssen auf uns schauen, was wir leisten können. Wir versuchen, an allen Ecken und Enden Kosten zu reduzieren. Wir besetzen vakante Stellen gerade nicht neu. Wir bemühen jetzt zum ersten Mal das Instrument Kurzarbeit, was nicht nur für die freie Wirtschaft, sondern auch für Kulturinst­itutionen ein existenzsi­cherndes Element ist, gerade für sehr mitarbeite­rintensive Institutio­nen wie das Theater – 78 Prozent unserer Ausgaben sind Personalau­sgaben.

André Bücker, 51, kam 2017 als In‰ tendant ans städtische Theater Augsburg, das 2018 zum Staatsthea‰ ter umgewidmet wurde.

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Foto: Jan‰Pieter Fuhr Relevant: Banner und rote Beleuchtun­g signalisie­ren die Selbsteins­chätzung des infolge der Corona‰Verordnung geschlosse­nen Staatsthea­ters Augsburg.
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Foto: Ulrich Wagner

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