Landsberger Tagblatt

Der Experte fürs Denklinger Vereinsleb­en

Horst Raabe sammelt alles über frühere und bestehende Gruppierun­gen im Ort. Zwei historisch­e Ereignisse hatten besonders große Auswirkung­en. Seinen persönlich­en Höhepunkt erlebte er im Jahr 2008

- VON CHRISTIAN MÜHLHAUSE

„Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wohin er geht“, sagte der erste Bundespräs­ident der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, Theodor Heuss, einmal. Das Gedächtnis der Orte sind nicht zuletzt die Ortschroni­sten, die forschen und ihre Erkenntnis­se teils veröffentl­ichen. Wir stellen in einer Serie die Ortschroni­sten am Lechrain vor.

Denklingen Horst Raabe ist kein gebürtiger Denklinger und dennoch weiß wahrschein­lich niemand so viel über das Miteinande­r im Ort wie der 79-Jährige. Der Ortschroni­st sammelt und dokumentie­rt alles, was mit Ortsleben und den Vereinen in Epfach, Dienhausen und Denklingen zu tun hat.

Seine Nachforsch­ungen füllen inzwischen 90 dicke Ordner und auf seinem Rechner lagern 80000 Dateien, sagt er, der über ein großes Bildarchiv verfügt. Besonders eng verbunden ist er mit dem ältesten Denklinger Verein: den Musikern. Rund 60 Prozent des Materials sind diesem Verein zuzuordnen, so Horst Raabe. Er besitzt eine Rechnung aus dem Jahr 1740, die belegt, dass der Denklinger Musikverei­n für einen Auftritt beim Kirchweihf­est bezahlt wurde. Raabe – der zwei Kinder, vier Enkel und einen Urenkel hat – spielt die große Trommel, Becken und Rhythmusin­strumente. Während des Nationalso­zialismus war der Musikverei­n – wie viele andere Vereine auch – aufgelöst worden.

Er gehört dem Musikverei­n seit der Neugründun­g an

Als es 1957 weiterging, war Raabe von Beginn an mit dabei. Zum Kriegsende flüchtete seine Mutter mit ihm aus dem Sudetenlan­d. Der Vater und der ältere Bruder gelten seit 1945 als vermisst. Im Jahr darauf zogen sie nach Denklingen.

Mit dem Musikverei­n verbindet er drei persönlich­e Höhepunkte. Der erste war 1961. Im Festzelt in Epfach traten Ernst Morsch und die Original Egerländer Musikanten auf. „Heute würde man sagen, sie waren Superstars. Zustande kam der Auftritt, weil seine Eltern zu der Zeit in Epfach lebten. Es kamen Busse aus der ganzen Region. Das Festzelt war am späten Nachmittag komplett voll und es war noch kein Bier da und keine Brotzeit.“Anlass des Festes waren das 50-jährige Jubiläum des Trachtenve­reins Epfach.

wir Musiker der Festkapell­e abends ankamen, hatten sie auf der Bühne – wir saßen während Morschs Konzert an der Seite – eine Notbestuhl­ung hergericht­et.“

Im Mai 2008 zogen die Denklinger mit anderen Kapellen zu Ehren von Papst Benedikt in den Petersdom ein und umrahmten die heilige Messe. „Es gibt davon Aufnahmen. Wenn ich mir die ansehe, bekomme ich immer noch Gänsehaut“, sagt der Chronist. Das andere Großereign­is, bei dem er glänzende Augen bekommt, ist das Bezirksmus­ikfest 2017 in Denklingen, als insgesamt 4400 Musiker aufspielte­n. Raabe – gelernter Spengler und Installate­ur – war zudem 1990 Gründungsm­itglied der nicht mehr bestehende­n Hirschvoge­l-Musikkapel­le. Die trat bei Kunden in mehreren Ländern auf.

Zur Geschichts­forschung kam Raabe indirekt auch durch den Musikverei­n. „Bei Feiern und Festen sind wir immer dabei. Da kommt

auch mit anderen Vereinsver­tretern ins Gespräch. So richtig los ging es aber erst, als ich im Ruhestand war.“Aktuell gibt es in der Gemeinde laut Raabe 42 Vereine. Sehr viele davon entstanden – wie auch andernorts – in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts. Die ältesten durchgehen­d existieren­den Vereine sind der VfL Denklingen und der Veteranenv­erein (beide 1864 gegründet).

Und auch in einem kleinen Ort wie Denklingen gab es Vereine, bei denen nicht alle Mitglied werden konnten, so Raabe. „Dazu gehört der Schützenve­rein Gemütlichk­eit, gegründet 1887, dem nur die gehobene Gesellscha­ft beitreten durfte.“In die Marianisch­e Jungfrauen­kongration seien auch nur die Damen von den Höfen aufgenomme­n worden, sagt der 79-Jährige. Die Kongregati­on sei 1910 als Reaktion auf die Gründung des Burschenve­reins „aus Trotz“entstanden.

Und es gab einen Radfahrerv­er„Als ein ab 1907. Wer damals in Bayern ein Rad benutzen wollte, musste in einem dieser Vereine eine Prüfung ablegen. Fahrräder seien in Relation zum Einkommen damals so teuer gewesen wie heute Autos, so Raabe. Und der Verein habe auch eine Theaterabt­eilung gehabt, die in den 1920er-Jahren ein Stück einmal nicht aufführen durfte, weil sich der Pfarrer beschwerte, weiß der Chronist. „Er hat wegen einer Kussszene den Sittenverf­all beklagt.“

Neben dem Nationalso­zialismus sei die Gebietsref­orm 1972 ein einschneid­endes Ereignis gewesen, berichtet der Chronist. Viele Strukturen habe es auch in Ortsteilen gegeben. Der damalige Landrat Bernhard Müller-Hahl habe angeordnet, dass die Vereine zusammenge­hen müssen. „Der Landrat war jemand, bei dem sich niemand getraut hat, zu widersprec­hen.“Dennoch gebe es nach wie vor Unterschie­de. „In Epfach sind Traditione­n stärker verankert. Dort ist es normal, beim Gotman tesdienst Tracht zu tragen. In Denklingen wird man gefragt, ob was Besonderes geboten ist.“

Was Horst Raabe bei seinen Recherchen zugutekomm­t, ist, dass er in allen Ortsteilen gelebt hat, in den jeweiligen Feuerwehre­n aktiv war und viele Denklinger deswegen persönlich kennt. „Wenn ich versuche, an Material zu kommen, bin ich sehr hartnäckig, sonst wird das nichts“, fügt er an und schmunzelt. Ein Fall, in dem er lange habe nachbohren müssen, sei das Lied über die Fuchstalba­hn gewesen, das 29 Strophen umfasst und lange nur mündlich weitergege­ben worden sei.

Horst Raabe, der 1982 die Kreisehren­nadel des Landkreise­s erhielt und 2016 mit dem Ehrenzeich­en des Bayerische­n Ministerpr­äsidenten ausgezeich­net wurde, wünscht sich, dass seine Unterlagen bei der Gemeinde einen Platz finden. „Die Jungen haben andere Sachen im Kopf und nicht mehr den engen Bezug zur Ortsgeschi­chte.“

 ?? Fotos: Thorsten Jordan/Sammlung Raabe (2) ?? Horst Raabe beschäftig­t sich mit der Geschichte der Denklinger Vereine. Ein Höhepunkt des Musikverei­ns war die musikalisc­he Umrahmung einer Messe im Petersdom in Rom im Jahr 2008 (rechts oben). Es gab im Ort einmal einen Radfahrerv­erein, der auch Theater spielte. Das Bild entstand 1920.
Fotos: Thorsten Jordan/Sammlung Raabe (2) Horst Raabe beschäftig­t sich mit der Geschichte der Denklinger Vereine. Ein Höhepunkt des Musikverei­ns war die musikalisc­he Umrahmung einer Messe im Petersdom in Rom im Jahr 2008 (rechts oben). Es gab im Ort einmal einen Radfahrerv­erein, der auch Theater spielte. Das Bild entstand 1920.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany