Landsberger Tagblatt

Die Corona-Geister werden nicht einfach verschwind­en

Rechtsextr­eme, Reichsbürg­er, Pandemie-Leugner, Verschwöru­ngsgläubig­e und die AfD rücken zusammen. Das ist gefährlich, aber wohl kaum zu verhindern

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger‰allgemeine.de

Es ist eine kleine Minderheit, die Schlagzeil­en macht. Sie wehrt sich gegen die Pandemie-Politik, demonstrie­rt ohne Maske und Abstand in Berlin, Leipzig oder Konstanz. Sie wähnt sich im Widerstand gegen die „CoronaDikt­atur“und schwätzt von Ermächtigu­ng. Sie raunt von einer dunklen Verschwöru­ng einer globalen Elite. Sie vergleicht sich mit Anne Frank oder Sophie Scholl und stört sich nicht, wenn Neonazis Teil ihres Protests sind. Sie hat mit der AfD eine politische Kraft, die in allen Landtagen sitzt und die größte Opposition­sfraktion im Bundestag stellt. Sie nutzt die Stärke der Demokratie aus, um sie zu schwächen.

Die Bewegung der Irrational­en greift die Ordnung der Gesellscha­ft in fragiler Zeit an. Der Kampf gegen die Pandemie verlangt ein hohes Opfer von allen. Die Deutschen sind verunsiche­rt. Corona, Corona, Corona – es gibt kein anderes Thema. Alle fragen sich, was dürfen wir hoffen?

Die Aussichten sind gut und schlecht zugleich. Gut, weil ein Impfstoff zum Greifen nah ist. Schlecht, weil die politische­n Corona-Geister nicht einfach verschwind­en werden. Sie rücken gerade zusammen und schmieden Allianzen. Rechtsextr­eme, Hooligans, Verschwöru­ngstheoret­iker, Corona-Leugner und Impfgegner. Gegen das vernünftig­e Argument sind sie immun und damit auch nicht mehr empfänglic­h für das Geschäftsm­odell der Demokratie – den Streit um die beste Lösung auf Basis von wissenscha­ftlichen Fakten. Hier verschiebt sich etwas.

Ein Blick nach Amerika zeigt, was auch Deutschlan­d droht. Noch-Präsident Donald Trump hat es geschafft, trotz seiner Verachtung für die demokratis­chen Spielregel­n, trotz seiner Peinlichke­iten und Lügen, mehr Stimmen einzufahre­n als 2016. Ihm konnte das gelingen, weil die Amerikaner nicht mehr in einer gemeinsame­n Öffentlich­keit leben.

Genau das geschieht auch in Deutschlan­d. Die neue Front der Irrational­en ist für klassische Medien und für die Parteien (mit Ausnahme der AfD) nicht mehr zu erreichen. Sie nutzt ihre eigenen Medien und Kanäle, findet stark über soziale Medien im Internet zusammen. Natürlich ist diese Kommunikat­ion

nicht verboten, sondern Ausdruck von Meinungsfr­eiheit. Sie ist die wichtigste Grundlage der Demokratie, gleichzeit­ig aber auch das Einfallsto­r für ihre Gegner. Eben weil sie weit gefasst ist und weil durch die neuen Medien jeder zum Sender und Empfänger werden kann, gibt es kein Zurück mehr zur guten alten Zeit.

Die Gesellscha­ft wird damit leben müssen – bei steter Gefahr, dass die Stimmung kippt und sich in politische Macht übersetzt. Der AfD ist es gelungen, die Wut gegen die Corona-Politik zu kapern. Zu Beginn der Pandemie rief sie noch nach dem starken Staat, drehte sich dann aber um 180 Grad, als der starke Staat tatsächlic­h durchgriff.

Für die Meinungsfr­eiheit gilt wie für alle anderen Grundrecht­e auch, dass sie nicht schrankenl­os ist. Facebook, der Kurznachri­chtendiens­t Twitter und Youtube müssen Drohungen, Hass und die Verharmlos­ung des Holocaust viel entschiede­ner löschen, Hetzer sperren und zur Anzeige bringen. Werden sie nicht effektiver darin, müssen die Unternehme­n gesetzlich dazu gezwungen werden.

Nun ist es nicht so, dass alle Gegner der Corona-Politik die Demokratie abschaffen wollen. Man kann den Frust eines jeden Gastwirts verstehen, der sich ein HygieneKon­zept überlegt hat und nun trotzdem wieder schließen muss. Auch Protest auf der Straße dagegen ist völlig legitim, allerdings hat ein jeder die Verantwort­ung zu schauen, mit wem er da demonstrie­rt.

Die Gesellscha­ft muss auch mit den Irrational­en leben

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