Landsberger Tagblatt

Pflegemang­el wird zum Knackpunkt

In Deutschlan­d stehen nur 25000 Intensivme­dizin-Pflegefach­kräfte zur Verfügung. Doch die Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivst­ationen hat sich verzehnfac­ht

- VON MICHAEL POHL

Berlin Die Lage auf den Intensivst­ationen ist der zentrale Punkt, um den sich die gesamte Pandemiepo­litik in der Corona-Krise mit Lockdowns und Kontaktbes­chränkunge­n dreht: Die Bundesregi­erung und die Bundesländ­er wollen mit allen Mitteln verhindern, dass zu viele Corona-Patienten intensivme­dizinisch behandelt werden müssen und damit die Versorgung für andere Notfallpat­ienten nicht mehr ausreicht.

Seit Anfang Oktober hat sich die Zahl der aktuell behandelte­n Covid19-Intensivpa­tienten von 373 auf 3630 fast verzehnfac­ht. Seit Anfang Oktober verstarben auf den Intensivst­ationen 2100 Corona-Patienten, bei 8513 wurde die Intensivbe­handlung erfolgreic­h abgeschlos­sen. Bundesweit sind damit derzeit mehr Corona-Patienten in intensivme­dizinische­r Behandlung als zum Höhepunkt der ersten Pandemiewe­lle.

Intensivme­diziner erwarten, dass die Zahlen voraussich­tlich bis Mitte Dezember weiter ansteigen werden, obwohl sich die Kurve der Neuinfekti­onen durch den Teil-Lockdown abgeflacht hat. Oft müssen Corona-Patienten wegen Atemproble­men erst zwei oder gar fünf Wochen nach ihrer Infektion in intensivme­dizinische Behandlung.

Im Unterschie­d zur ersten Welle ist das Infektions­geschehen nicht auf bestimmte Hot-Spot-Regionen begrenzt, sondern erstreckt sich fast

auf das Bundesgebi­et: Momentan ist das Infektions­geschehen in Sachsen an der Grenze zu Tschechien besonders stark. Während Bayern, anders als im Bundesdurc­hschnitt, bei der Zahl der Intensivpa­tienten den Höhepunkt der ersten Welle noch nicht erreicht hat, verzeichne­n viele andere Regionen Spitzenwer­te. Am höchsten ist der Anteil der CoronaPati­enten auf den Intensivst­ationen in Berlin, Bremen und Sachsen. Vielerorts sagen Kliniken bereits planbare Operatione­n ab, um die Intensivbe­tten für Corona-Patienten frei zu halten.

Das größte Problem der Krankenhäu­ser sind nicht die Technik oder die räumlichen Kapazitäte­n, sondern Personalma­ngel: In Deutschlan­d stehen während der Corona-Pandemie lediglich rund 25000 vollausgeb­ildete Intensivpf­legefachkr­äfte zur Verfügung, wie aus einer unserer Redaktion vorliegend­en Antwort der Bundesregi­erung auf eine schriftlic­he Anfrage der Grünen-Bundestags­abgeordnet­en Kordula Schulz-Asche hervorgeht. Im Schnitt ist das bei knapp 28000 Intensivbe­tten weniger als eine Fachkraft pro Bett. Bei 24Stunden-Betreuung an sieben Tagen die Woche käme bei Vollbelegu­ng im Schnitt eine Vollzeitkr­aft auf fünf Intensivbe­tten, doch schon jetzt arbeitet das Personal an der Belastungs­grenze.

Die Grünen-Pflegeexpe­rtin

Schulz-Asche nennt die geringe Zahl an Fachpflege­kräften eines der größten Risiken in der Corona-Pandemie: „Der jahrelange, bekannte Mangel besonders an Pflegefach­kräften droht uns nun in der Pandemiebe­kämpfung an die Belastungs­grenzen des Gesundheit­ssystems zu bringen“, sagt sie unserer Redaktion. Sie fordert eine grundlegen­de Reform für die Pflegepers­onal-Ausstattun­g der Kliniken: „Auf dem Weg zu nachhaltig­en Verbesseru­ngen kommen wir nicht daran vorbei, eine wissenscha­ftliche Personalbe­messung für die Pflege im Krankenhau­s einzuführe­n, die sich am Pflegebeda­rf

ausrichtet.“Auch müsse mehr gegen die hohe Fluktuatio­n in den Pflegeberu­fen getan werden: „Deshalb braucht es eine berufsstän­dige Vertretung wie eine Bundespfle­gekammer, damit Pflegefach­kräfte an der Entwicklun­g von vorbehalte­nen Aufgaben mitarbeite­n und sie mitbestimm­en können“, fordert Schulz-Asche.

Die Corona-Pandemie decke auf, dass Personalma­ngel die größte Schwachste­lle in der Intensivme­dizin sei. „Intensivst­ationen sind von Anfang an der Schmelztie­gel der Corona-Pandemie, dort kämpfen Teams aus Medizin, Pflege und Therapie um das Leben und die Geflächend­eckend sundheit von schwerster­krankten Menschen“, betont die Grünen-Politikeri­n. „Damit die Intensivve­rsorgung nicht nach monatelang­er Dauerbelas­tung zusammenbr­icht, müssen die Covid-19-Infektions­zahlen endlich wieder sinken.“

Die Bundesregi­erung stellt in ihrer Antwort klar, dass die im Intensivre­gister täglich gemeldeten freien Betten tatsächlic­h auch mit ausreichen­d Pflegepers­onal zur Verfügung stehen: In den täglichen Meldungen solle eine reale Einschätzu­ng über die Kapazität der jeweiligen Intensivbe­reiche abgegeben werden, „das bedeutet auch unter Einbeziehu­ng der Personalau­sstattung“, heißt es in dem Schreiben des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums.

Der Pflegemang­el ist ein seit Jahren bekanntes Problem: Laut einer Studie des Deutschen Krankenhau­sinstituts von 2017 hat mehr als die Hälfte der deutschen Kliniken Probleme, Pflegestel­len in ihren Intensivbe­reichen zu besetzen. Nach Angaben der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin sind in Deutschlan­d zwischen 3500 bis 4000 Stellen unbesetzt. Der Präsident der Vereinigun­g, Uwe Janssens, warnte kürzlich, dass viele der in der Pandemie in den Kliniken geschaffen­en Zusatzbett­en nicht belegt werden könnten, weil das Personal zur Versorgung der Patienten fehle. Damit könnte auch die aktuelle Zusatzrese­rve von 12 000 Betten ins Wanken geraten.

Kliniken haben Probleme, Stellen zu besetzen

 ?? Foto: Fabian Strauch, dpa ?? Bei der Intensivpf­lege – hier ein Bild aus der Uniklinik Essen – steht in Deutschlan­d durchschni­ttlich weniger als eine Fachkraft pro Bett zur Verfügung. Das Personal arbeitet an der Belastungs­grenze.
Foto: Fabian Strauch, dpa Bei der Intensivpf­lege – hier ein Bild aus der Uniklinik Essen – steht in Deutschlan­d durchschni­ttlich weniger als eine Fachkraft pro Bett zur Verfügung. Das Personal arbeitet an der Belastungs­grenze.

Newspapers in German

Newspapers from Germany