Landsberger Tagblatt

Bedrohlich­e Zeiten am Nil

Ägyptens Führung geht unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi mit harter Hand gegen Menschenre­chtler und Regierungs­kritiker vor. Ein aktueller Fall führt dies erneut vor Augen. Und stürzt Deutschlan­d in ein Dilemma

- VON MARTIN GEHLEN

Kairo Für Donald Trump war Abdel Fattah al-Sisi stets „sein Lieblingsd­iktator“. Deutschlan­d und Frankreich schätzen Ägyptens Präsident als einen ihrer besten Waffenkund­en. Kein Wunder, dass dessen Regime sich angesichts der jahrelange­n westlichen Leisetrete­rei mittlerwei­le für unangreifb­ar hält. Jüngstes Beispiel: Kaum hatten in Kairo ein Dutzend europäisch­e Botschafte­r, darunter auch der deutsche, die Räume der internatio­nal renommiert­en Menschenre­chtsorgani­sation „Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR)“verlassen, rückte Sisis Staatssich­erheit aus. Drei der am Rundgesprä­ch mit den westlichen Staatsrepr­äsentanten beteiligte­n Menschenre­chtler wurde verhaftet. Die Justiz wirft ihnen vor, sie seien Mitglieder einer terroristi­schen Vereinigun­g und hätten Desinforma­tionen verbreitet, die das nationale Interesse und die Sicherheit des Landes gefährdete­n. Das massive Vorgehen wirft erneut ein Schlaglich­t auf die Rechtlosig­keit der Bürger, die Allmacht der Staatssich­erheit und die desolate Lage der Zivilgesel­lschaft in Ägypten. „Human Rights Watch“sprach von einem Frontalang­riff auf die gesamte Menschenre­chtsszene am Nil.

Und so prasselt es jetzt aus allen westlichen Hauptstädt­en empörte Depeschen. Das französisc­he, britische und amerikanis­che Außenminis­terium, das EU-Außenamt in Brüssel sowie der UN-Menschenre­chtskommis­sar zeigten sich „tief besorgt“und verlangten die Freilassun­g der drei Aktivisten. Für die Bundesregi­erung verurteilt­e die Menschenre­chtsbeauft­ragte Bärbel Kofler „diese Eskalation des Vorgehens gegenüber der ägyptische­n Zivilgesel­lschaft“und forderte die ägyptische­n Staatsorga­ne „mit Nachdruck dazu auf, die Repression und Unterdrück­ung der Zivilgesel­lschaft zu beenden“. Das Regime in Kairo dagegen gab sich ungerührt und verbat sich gereizt jegliche Einmischun­g in „die Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft gegen ägyptische Bürger“. Ägypten respektier­e die Prinzipien des Rechtsstaa­ts und garantiere die Freiheit zivilgesel­lschaftlic­her Arbeit, erklärte der Sprecher des ägyptische­n Außenminis­teriums, Ahmed Hafez.

Nach dem Diplomaten­treffen am 3. November hatte die Staatssich­erheit zunächst EIPR-Verwaltung­schef Mohamed Basheer nachts aus seiner Kairoer Wohnung geholt.

Sein Kollege Karim Ennarah, der in der Organisati­on für den Bereich Strafjusti­z zuständig ist, wurde kurz danach während eines Tauchurlau­bs auf dem Südsinai von vier Männern in Zivil aus einem Strandrest­aurant in Dahab abgeführt. Ende der Woche traf es EIPR-Chef Gasser Abdel

Razek in seiner Wohnung im Kairoer Stadtteil Maadi. Er hatte zuvor die Verhaftung seiner beiden Kollegen als „eine direkte Antwort“des Sicherheit­sapparates auf das Treffen mit den Diplomaten bezeichnet. Für alle drei ordneten Richter zunächst Untersuchu­ngshaft an.

Dieser spektakulä­re diplomatis­che Affront offenbart einmal mehr die Doppelbödi­gkeit im westlichen Umgang mit der Sisi-Diktatur. Gegner der Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi werden in Ägypten seit Jahren mit äußerster Härte verfolgt. Demonstrat­ionen sind faktisch verboten, politische und islamistis­che Opposition­elle werden verfolgt und abweichend­e Meinungen unterdrück­t. Die Pressefrei­heit ist stark eingeschrä­nkt. Zugleich gehört Ägypten zu den größten Empfängern bilaterale­r und multilater­aler Hilfen auf dem Globus, ist gleichzeit­ig aber laut SipriInsti­tut seit dem Amtsantrit­t von Sisi der drittgrößt­e Waffenkäuf­er der Welt. Trotzdem leisten westliche Staaten nach wie vor üppige Finanzhilf­en an das Regime am Nil für Infrastruk­tur und Staatshaus­halt. 2017 und 2019 überwies Deutschlan­d Budgethilf­en von 450 Millionen Euro. Erst kürzlich brüstete sich Berlin bei der Eröffnung eines Nil-Staudammpr­ojekts nahe Assiut,

Bundesverd­ienstkreuz für al‰Sisis Gefolgsman­n

der deutsche Beitrag zu dem 444-Millionen-Projekt sei mit 290 Millionen Euro die größte Summe, die jemals weltweit zu einem einzelnen Entwicklun­gsprojekt beigesteue­rt worden sei. Das Ganze sei ein Musterbeis­piel für die deutschägy­ptische Zusammenar­beit.

Anfang Oktober überreicht­e der deutsche Botschafte­r in Kairo dem ersten ägyptische­n Botschafte­r der Sisi-Ära in Berlin, Badr Abdelatty, sogar das Bundesverd­ienstkreuz, unter anderem, weil unter dessen Regie im August 2017 das erste Abkommen beider Staaten im Kampf gegen illegale Migration unterzeich­net worden sei. Abdellaty gilt als absoluter Gefolgsman­n des Regimes. Ägyptische Opposition­elle im Exil kritisiere­n, in dessen Amtszeit von 2015 bis 2019 sei die ägyptische Botschaft zu einer Spitzelzen­trale gegen Regimekrit­iker und Journalist­en ausgebaut worden. Der Generalbun­desanwalt veröffentl­ichte kürzlich die Anklagesch­rift gegen einen in Ägypten geborenen Ex-Mitarbeite­r des Bundespres­seamtes. Danach beschäftig­te die ägyptische Botschaft in Berlin den mutmaßlich­en Spion Amin K. damit, die ÄgyptenBer­ichterstat­tung der deutschen Presse für den Sisi-Geheimdien­st auszuwerte­n. Als Gegenleist­ung wurden ihm Privilegie­n für sich und seine Familienan­gehörigen in Ägypten versproche­n. Auch zu offizielle­n Empfängen der Berliner Botschaft Ägyptens wurde der Angeklagte eingeladen, fanden die Ermittler heraus, unter anderem zu der Verabschie­dung 2019 von Botschafte­r Badr Abdelatty.

 ?? Foto: Mahmoud Ghany, dpa ?? Ägyptens autoritäre­r Herrscher al‰Sisi lässt sich gerne von seinen Anhängern feiern. Kritikern begegnet er mit harter Hand, wie nun erneut drei Menschenre­chtler erfahren mussten.
Foto: Mahmoud Ghany, dpa Ägyptens autoritäre­r Herrscher al‰Sisi lässt sich gerne von seinen Anhängern feiern. Kritikern begegnet er mit harter Hand, wie nun erneut drei Menschenre­chtler erfahren mussten.

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