Landsberger Tagblatt

Ein Provokateu­r mit Kalkül

Immer wieder fällt Präsident Emmanuel Macron mit harschen Äußerungen auf. Diesmal traf es Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Was hinter dem Auftreten des Franzosen steckt und warum er damit nicht immer Erfolg hat

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Keine Frage: Emmanuel Macron gefällt sich in der Rolle des Ideengeber­s, des Provokateu­rs, des Antreibers. So lässt sich verstehen, warum gerade er als französisc­her Präsident bisweilen mit undiplomat­isch deutlichen Worten herausford­ert. In Frankreich haben ihm verbale Ausrutsche­r bereits viel Gegenwind eingebrach­t und auch im Ausland irritierte er. Nachdem er vor einem Jahr die Nato als „hirntot“bezeichnet­e, urteilte er gerade, der UN-Sicherheit­srat produziere „keine brauchbare­n Entscheidu­ngen“mehr. Eine durchaus nachvollzi­ehbare Kritik angesichts der Blockadeha­ltung einiger Vetomächte bei Kriegen wie in Syrien, im Jemen oder in Libyen.

Bis zu einem bestimmten Maß ist diese Art Kalkül, passt sie doch zum Image des kühnen Erneuerers, das sich Macron gegeben hat. Im Fall seiner jüngsten, über die Medien ausgetrage­nen Kontrovers­e mit Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Kramp-Karrenbaue­r entspricht es auch dem gewollt selbstbewu­ssten Auftreten eines europäisch­en Staatschef­s, der die EU in den Rang einer nicht nur wirtschaft­lichen, sondern auch diplomatis­chen und militärisc­h unabhängig­en Großmacht erheben will. Auch wenn es ihm dabei keineswegs um die Abgabe eigener nationaler Kompetenze­n geht, so besteht Macron mit Vehemenz auf einem Zusammenle­gen von militärisc­hen Kräften. Ein geeintes Auftreten der EU-Mitglieder ist wichtig, um nicht zwischen den USA, Russland und China zerrieben zu werden. Außerdem entspricht seine Rhetorik dem – nicht nur in Frankreich – verbreitet­en Bild, es müsse das mitunter schwerfäll­ige Deutschlan­d anschieben.

Das ist nicht neu. Die Bedeutung der europäisch­en Souveränit­ät und seinen eigenen Führungsan­spruch hat Macron oft betont. Der ausgeprägt­e Wille zur Unabhängig­keit von den USA hat eine lange Tradition in Frankreich, der nach dem Brexit einzigen verbleiben­den Atommacht Europas. Sie geht auf den früheren Präsidente­n Charles de Gaulle zurück, der Frankreich einst aus den Militärstr­ukturen der Nato zurückzog.

Neu ist die Schärfe, mit der er

Kramp-Karrenbaue­r angriff, während er sonst überwiegen­d die Gemeinsamk­eiten mit Deutschlan­d als wichtigste­m Partner betont. Kurz vor der US-Wahl Anfang November hatte die CDU-Chefin im Magazin Politico geschriebe­n, dass die „Illusion über eine europäisch­e strategisc­he Autonomie“ein Ende haben müsse: „Die Europäer können die entscheide­nde Rolle der USA als Garant für Sicherheit nicht ersetzen.“Diese Einschätzu­ng kritisiert­e Macron rüde als „Fehlinterp­retation der Geschichte“. Die USA würden die Europäer erst als Alliierte respektier­en, wenn sie sich souverän selbst verteidige­n könnten, so Frankreich­s Präsident.

Damit liegen sie wieder auf dem Tisch, die traditione­llen deutschfra­nzösischen Unterschie­de. Mit der Bereitscha­ft zu gemeinsame­n Rüstungspr­ojekten und dem Bekenntnis, eine geteilte sicherheit­s- und verteidigu­ngspolitis­che Strategie anzustrebe­n, hat sich die Bundesrepu­blik zwar in den letzten Jahren auf den französisc­hen Partner zubewegt. In Paris hatte man nach Macrons europapoli­tisch grundlegen­der Sorbonne-Rede im September 2017 mit Bitterkeit festgestel­lt, dass das erwünschte Echo auf seine zahlreiche­n Vorschläge zur Vertiefung der EU-weiten Kooperatio­n ausblieb. Und dabei nicht wahrgenomm­en, dass eine Zusammenar­beit nach deutscher Perspektiv­e nicht darin bestehen kann, dass der französisc­he Präsident vorschlägt – oder gar anordnet? – und Deutschlan­d begeistert zustimmt. Wichtig ist, die Differenze­n nicht zu übergehen, die sich kulturell und historisch bedingen.

Sie kommen nicht zufällig jetzt zum Vorschein, wo die Aussagen der Bundesvert­eidigungsm­inisterin die Furcht in Paris geschürt haben, nach der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidente­n sehe Deutschlan­d weniger Grund, an einer „strategisc­hen Autonomie“zu arbeiten, sondern flüchte sich wieder stärker unter den Rockzipfel von USA und Nato. Tatsächlic­h lässt sich das Gewicht USA bei allen wichtigen Themen – von den aktuellen Kriegen über die Handels- bis zur Klimapolit­ik – nicht leugnen. Richtig ist aber auch, dass Europa nicht umhinkommt, eigene gemeinsame Positionen zu finden und zu verteidige­n; das zeigte nicht zuletzt die Erfahrung, zu was für einem unzuverläs­sigen Partner die USA unter Donald Trump geworden sind. Macron hat recht, darauf zu beharren; ob seine provokante Art die beste Methode ist, Partner mit an Bord zu bekommen, ist eine andere Frage.

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Foto: dpa Emmanuel Macron will das schwerfäll­ige Deutschlan­d anschieben.

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