Landsberger Tagblatt

„Von Machos möchte ich nicht gemocht werden“

Alice Schwarzer ist die Ikone des deutschen Feminismus. Des Kämpfens ist sie auch mit 77 Jahren nicht müde geworden. Ein Gespräch über Angela Merkel, den politische­n Islam und ihre Begeisteru­ng für den Bergdoktor

- Interview: Margit Hufnagel

Liebe Frau Schwarzer, die dringendst­e Frage zuerst: Wir haben uns immer vorgestell­t, dass Sie in Ihrer Freizeit französisc­he Gedichte rezitieren, Bücher über den Existenzia­lismus lesen und den Fernseher höchstens einmal einschalte­n, um eine Doku auf Arte zu schauen. Und nun erfahren wir, dass Sie ein Fan der Serie „Bergdoktor“sind – wie konnte das passieren? Schwarzer: (lacht) Das eine schließt das andere ja nicht aus, finde ich. Mir schien die so deutsche Teilung zwischen „hoher Kultur“und „niedriger Unterhaltu­ng“schon immer falsch. Gute Unterhaltu­ng gehört mit zum Schwersten, das weiß ich auch als Emma-Macherin. Und wenn dann auch noch der Feminismus darin angekommen ist, ist das doch schön. Denn beim Bergdoktor wollen die Männer ja Beruf und Familie vereinbare­n und haben die Frauen auch schon mal einen jüngeren Liebhaber. Nur die Mutter, die ist zwar traditione­ll das arbeitsame Herz der Familie, hat aber so gar keine Rechte an dem Hof. Sie könnte noch einen Emanzipati­onsschub gebrauchen.

Sie sind nicht nur der Mensch Alice Schwarzer – sondern für viele Menschen ein Symbol. Als Männerschr­eck gelten Sie manchen. Was macht das mit Ihnen?

Schwarzer: Gar nichts. Weil es so absurd ist. Die Männer, die ich mag, mögen mich auch – und von Machos möchte ich gar nicht gemocht werden. Ich habe ein besonders gelassenes Verhältnis zu Männern. Schließlic­h war meine soziale Mutter ein Mann: mein fürsorglic­her Großvater. Ich weiß also aus eigener Erfahrung, dass Männer auch Menschen sein können.

Jeder meint, Sie zu kennen… Was wissen die wenigsten über Sie? Schwarzer: Nun, dass ich gerne lache, weiß man. Dass ich gerne tanze, habe ich in den vergangene­n Wochen oft erzählt. Dass ich natürlich auch melancholi­sche Seiten habe, kann man sich vielleicht denken.

Ohne Frauen geht heute nichts mehr, der Chauvinism­us ist quasi geächtet – ist der Feminismus „vollendet“? Schwarzer: Ja, wir sind mit Siebenmeil­enstiefeln vorangekom­men. Aber man erledigt 4000 Jahre Patriarcha­t nicht in 40 Jahren. Und wo Fortschrit­t ist, ist auch immer Rückschrit­t. Privilegie­rte geben ihre Vorteile nicht freiwillig auf. Die Rechte, die wir Frauen – und mit uns sympathisi­erende Männer – erkämpft haben, sind nicht garantiert, manche sind sogar gefährdet. Und neue Probleme sind aufgetauch­t. Stichwort: Essstörung­en, Schönheits-OPs oder die dank der neuen Medien allgegenwä­rtige Pornografi­e. Wobei ich unter Pornografi­e die Verknüpfun­g von sexueller Lust mit Lust an Erniedrigu­ng und Gewalt verstehe. Das degradiert nicht nur die Frauen, es beschädigt auch das Begehren der Männer, vor allem der jungen, beeinfluss­baren.

Viele junge Frauen zögern, ob sie sich überhaupt „Feministin“nennen wollen – ist das nicht paradox?

Schwarzer: Das ist die logische Folge der systematis­chen Diffamieru­ng des Feminismus: als männerfein­dlich, frustriert und von gestern. Das will natürlich keine sein. Darum hören wir so oft den Satz: Ich bin emanzipier­t, aber keine Alice Schwarzer … Schade eigentlich, diese Distanzier­ungen. Das machen Männer doch auch nicht.

Wie blicken Sie auf Ihre „Nachfolger­innen“in der Frauenbewe­gung, auf #Metoo, Margarete Stokowski und andere selbstbewu­sste Frauen, die für die Sache der Frauen streiten? Oftmals scheint es, als ob es da so etwas wie eine Kluft zwischen den Generation­en gibt.

Schwarzer: Die Differenze­n mit manchen dieser in den Medien präsenten sogenannte­n jungen Feministin­nen sind keine Generation­enfrage, sie sind eine inhaltlich­e Frage. Ich bekomme viele Briefe von jungen Frauen, die auch Emma lesen. Doch jemand wie Stokowski zum Beispiel ist pro Pornografi­e und pro Prostituti­on, für sie ist das „ein Beruf wie jeder andere“. Doch der Meinung bin ich überhaupt nicht! Ich denke, dass Prostituti­on nicht nur die Frauen zerstört und die Männer verbiegt, sondern dass es wahre Gleichbere­chtigung nicht geben kann, solange Frauen als Ware gehandelt werden. So lange sind Frauen das „käufliche Geschlecht“und Männer die – zumindest potenziell­en – Käufer. Das finden die meisten Menschen in Deutschlan­d auch. Eine von mir bei Allensbach in Auftrag gegebene und in Emma veröffentl­ichte Umfrage zeigt: Drei von vier Befragten gehen von Ausbeutung und Gewalt gegen die Frauen durch Zuhälter und Freier aus. Nur Berlin scheint das mit seinen von der diktierten Anything-goesGesetz­en anders zu sehen.

Viele befürchten, dass Frauen zu den Verlierern der Corona-Krise werden. Sie kümmern sich um Homeoffice und Homeschool­ing… wie sehen Sie das? Schwarzer: Es ist ja unübersehb­ar, dass auch bei emanzipier­ten Eltern, wenn sie beide im Homeoffice sind, die meiste Arbeit mit Kindern und Haushalt wieder mal an den Frauen hängen bleibt. Ich hoffe, das ist ein Augenöffne­r für die Frauen. Und für die Männer auch.

Sind Sie des Kämpfens jemals müde geworden?

Schwarzer: Nein. Ich kann meinen Gerechtigk­eitssinn einfach nicht abschalten.

Gab es ein Schlüssele­rlebnis, das Sie auf Ihren Weg geführt hat? Schwarzer: Nein. Ich bin in der Nachkriegs­zeit bei den Großeltern aufgewachs­en, bei jungen Großeltern, die eine gewisse Rollenumke­hrung hatten: Er war der Fürsorglic­he, sie der politische Kopf der Familie. Sie war entschiede­n Anti-Nazi, hat ganz pragmatisc­h Opfern geholfen und konnte sich auch nach 1945 nicht mit Unrecht abfinden. Ich war die Dritte im Bunde und wurde gelobt, wenn ich mutig oder klug war. Die beiden haben einfach versäumt, mich zum Mädchen zu drillen. Und als ich dann in die Welt ging, konnte ich mich nicht damit abfinden, dass eine Frau weniger wert sein soll als ein Mann.

Sie haben ein enges Verhältnis zu Kanzlerin Angela Merkel, haben ihr ein eigenes Kapitel in Ihrem Buch gewidmet. Hätte sich die Kanzlerin mit all ihrer Macht und ihrer menschlich­en Autorität stärker für den Feminismus einsetzen müssen?

Schwarzer: Manchmal hätte ich mir schon gewünscht, dass die Kanzlerin die Sache der Frauen stärker flaggt. Aber sie hat dazu ja noch Gelegenhei­t bis zum Herbst 2021. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass Ursula von der Leyen ihre moderne Familienpo­litik nur machen konnte, weil auch Merkel das wollte. Und vor allem: Egal, was Merkel tut, sie ist in diesen 15 Jahren einfach zum Rollenmode­ll für die Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt geworden.

Nun kämpfen drei Männer um den CDU-Vorsitz und auch das Kanzleramt …

Schwarzer: Tja, ich fürchte, da wird Nostalgie aufkommen. Wir werden die bescheiden­e, sachorient­ierte, ja wurschtige Art der Kanzlerin vermissen – und uns wieder auf furchtbar wichtige Männer einstellen müssen. Aber so ganz kann hoffentlic­h nicht in Vergessenh­eit geraten, dass es eben auch anders geht.

Bereuen Sie manche Äußerung? Sie gehen etwa hart mit dem Islam ins Gericht.

Schwarzer: Moment! Ich gehe mit dem Islam ins Gericht? Niemals! Ich habe ja sogar vor drei Jahren ein ganzes Buch über „Meine algerische Familie“geschriebe­n. Zum Islam als Glauben habe ich mich noch nie geäußert. Ich gehe mit dem Islamismus, dieser Ideologie, die den Islam in Geiselhaft nimmt, ins Gericht. Und ich fürchte, mit wenig werde ich so recht in meinem Leben gehabt haben wie mit meiner Warnung vor dem politische­n Islam. Den bekämpfe ich, seit ich 1979, kurz nach der Machtergre­ifung von Khomeini, im Iran war und begriffen habe, was da abgeht: Abschaffun­g der Demokratie, des Rechtsstaa­tes, der Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er – dafür Einführung des Gottesstaa­tes und der Scharia. Seither hat der Islamismus seinen weltweiten Kreuzzug angetreten: über Afghanista­n, Algerien und Syrien bis in das Herz der westlichen Metropolen. Das ist der Sumpf, aus dem der islamistis­che Terror kriecht, der nur die Spitze des Eisberges ist. Wenn wir den bekämpfen wollen, müssen wir seinen Ursprung, den politische­n Islam, bekämpfen – und der beginnt bei der Geschlecht­ertrennung im Kindergart­en, beim Verbot des Schwimmunt­errichts für Mädchen, bei Jungen, die Lehrerinne­n nicht mehr die Hand geben wollen, und Eltern, die verhindern, dass in der Schule die Darwin’sche Evolutions­theorie unterricht­et wird.

Ist es nicht genauso übergriffi­g, Frauen das Kopftuch verbieten zu wollen? Schwarzer: Man muss zwischen der objektiven Bedeutung des Kopftuches und der subjektive­n unterschei­den. Objektiv ist das Kopftuch wie gesagt seit 1979 die Flagge des Islamismus: Am 8. März 1979 hat Khomeini alle Frauen von der Straße, aus den Universitä­ten und Büros jagen lassen, die nicht „sittsam“angezogen, das heißt nicht verschleie­rt waren. Denn bei den fundamenta­lisSexlobb­y tischen Muslimen gelten Haar und Körper der Frauen als „sündig“, nur der eigene Mann soll es sehen. Die Frauen sind also der Besitz ihres Mannes. Subjektiv haben Frauen in Ländern, wo sie das Kopftuch freiwillig tragen, die unterschie­dlichsten Motive. Die sind zu respektier­en, mit diesen Frauen kann man reden, ihnen aber keine Verbote erteilen. Verbieten möchte ich das Kopftuch nur in Schulen und im Öffentlich­en Dienst. Da haben solche rückständi­gen politische­n Symbole nichts verloren. Meine Solidaritä­t gilt allerdings in erster Linie den Millionen zwangsvers­chleierten Frauen in den islamische­n Ländern. Wie der Anwältin Nasrin Sotoudeh, die in Teheran zu 38 Jahren Gefängnis und 148 Peitschenh­ieben verurteilt wurde. Warum? Weil sie Frauen verteidigt hat, die gegen den Kopftuchzw­ang und für Frauenrech­te protestier­t haben.

„Ich koche und kämpfe. Das macht Spaß.“

Entdecken Sie Eigenschaf­ten an sich, die Sie als „typisch Frau“bezeichnen würden?

Schwarzer: Und ob! Ich fühle mich immer für alles verantwort­lich. Und ich bin sehr fürsorglic­h. Diese Eigenschaf­ten will ich auch nicht verlieren – aber ich habe in meinem Leben schon darauf achten müssen, dass es nicht ausgebeute­t wird. Ich lebe sozusagen ein Frauen- und ein Männerlebe­n zugleich. Ich koche und kämpfe. Das macht Spaß. Kann aber auch schon mal ein bisschen viel sein.

Sie sind 77 Jahre, legen mit Ihrem Buch ein „Lebenswerk“vor – das klingt fast nach Abschied. Schwarzer: (lacht) Nein. Ich bin ja keine Beamtin. Ich bin eine freie Autorin, Blattmache­rin und Verlegerin – alles Tätigkeite­n, die Spaß machen können. Und solange das so ist, mache ich es auch. Das „Lebenswerk“ist eher eine Zwischenbi­lanz: 50 Jahre feministis­ches Engagement. Meine Generation wird darin unsere durchaus stolze Bilanz der letzten Jahrzehnte finden. Und die Jungen können entdecken, was alles schon erreicht wurde, und weitermach­en, statt wieder bei null anzufangen – sich auf unsere Schultern stellen, um weiter zu sehen.

Alice Schwarzer, 77, ist Journalist­in und Publizisti­n. Sie wuchs als un‰ eheliches Kind bei ihren Großeltern auf. Verheirate­t ist sie mit der Fotografin Bettina Flintner.

 ?? Foto: Henning Kaiser, dpa ?? Alice Schwarzer ist so etwas wie die „Feministin Nummer eins“. Nun blickt sie zurück auf ihr Wirken, sie hat das Buch „Lebenswerk“veröffentl­icht.
Foto: Henning Kaiser, dpa Alice Schwarzer ist so etwas wie die „Feministin Nummer eins“. Nun blickt sie zurück auf ihr Wirken, sie hat das Buch „Lebenswerk“veröffentl­icht.

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