Proteste nach Tod eines Schwarzen
Sicherheitsleute prügeln Afrobrasilianer zu Tode
Rio de Janeiro Die Sekunden auf der Überwachungskamera sind nur schwer zu ertragen: Zwei weiße Sicherheitskräfte schlagen im Kaufhaus Carrefour in Porto Alegre auf den am Boden liegenden Afrobrasilianer João Alberto Silveira Freitas, 40, ein. Seine Schreie sind deutlich zu hören. Um ihn herum dutzende Passanten, die die Szene filmen, während João Alberto schwer verletzt um Luft und sein Leben ringt. Die vielen Blutspritzer auf dem Boden zeugen von dem Faustkampf. Der vierfache Vater, der im Dezember erneut heiraten wollte, überlebt diesen tödlichen Kampf nicht. Seine Lebensgefährtin bekommt von dem Drama nichts mit, weil sie an der Kasse die Einkäufe bezahlt.
Freunde des Opfers forderten laut der Zeitung O Globo Ermittlungen gegen den Supermarkt. Es sei nicht der erste rassistisch motivierte Vorfall gewesen. Die Supermarktkette wiederum präsentierte am Wochenende ein Video, das ihre Mitarbeiter entlasten soll. Es zeigt, wie João Alberto unbewaffnet und eigentlich auch völlig unbeteiligt auf seine Frau wartend im Ausgangsbereich des Supermarktes steht. Dann kommt eine weiße Mitarbeiterin des Supermarktes und weist das Sicherheitspersonal an, João Alberto nach draußen zu begleiten. Er folgt der Aufforderung widerstandslos. Unmittelbar vor Verlassen des Supermarktes schlägt er unvermittelt einen der Sicherheitskräfte. Daraus entwickelt sich der tödliche Kampf, der nun ganz Brasilien aufwühlt.
Nun geht eine Wutwelle durch das Land, die an die „Black Lives Matter“-Bewegung in den USA erinnert. Auf der Avenida Paulista in São Paulo malten Aktivisten den Schriftzug „Vidas Pretas Importam“(Schwarze Leben zählen) auf den Asphalt. Einige Kaufhäuser der Supermarktkette wurden von wütenden Demonstranten verwüstet, in anderen zeigen vor allem Afrobrasilianer auf Plakaten friedlich ihr Entsetzen über den Umgang des Sicherheitspersonals mit dem Opfer. Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton zeigte sich bestürzt über den Vorfall in Porto Alegre.
Vizepräsident Hamilton Mourao, ein ehemaliger General, bedauerte den Tod des Mannes, schloss aber die Existenz von strukturellem Rassismus in Brasilien aus: „Das ist eine Sache, die sie importieren wollen, das gibt es hier nicht. Ich sage Ihnen in aller Ruhe, es gibt keinen Rassismus.“Der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro erklärte, es gebe Kräfte, die die Diversität des brasilianischen Volkes zerstören und an seine Stelle den Konflikt, den Hass und die Spaltung der Rassen setzen wollten. Immer stets auf der Suche nach der Macht. Aber die Freiheit des brasilianischen Volkes sei nicht verhandelbar. Menschenrechtsorganisationen und das UNBüro in Brasilien sehen das anders.
Der Fall emotionalisiert die Brasilianer gleich auf mehrfacher Ebene: Da ist der französische Konzern Carrefour, der stellvertretend für die mächtigen kolonialen Strukturen steht, die das Land immer noch dominieren. Da ist die afrobrasilianische Bevölkerung, die täglich am eigenen Leib die strukturelle Benachteiligung erlebt, sei es bei der Bewerbung um den Arbeitsplatz, in schlechteren Schulen oder eben als potenziell Verdächtige für Polizei oder private Sicherheitsdienste.
Die Menschenrechtsorganisation Educafro fordert als Reaktion auf den Vorfall die Umsetzung eines Zehn-Punkte-Plans, darin enthalten eine zwingende Anti-RassismusSchulung für Sicherheitspersonal in Kaufhäusern und ein Ultimatum an Carrefour. Das Unternehmen soll bis Ende März nächsten Jahres 30 Prozent aller Posten auf der mittleren und höheren Führungsebene mit afrobrasilianischen Mitarbeitern besetzen und zehn Prozent des Jahresgewinns in den antirassistischen Kampf investieren. Der Konzern reagierte darauf bisher nicht.