Landsberger Tagblatt

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (110)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Nach dem Frühstück schlug Barudi vor, sie sollten sich, getrennt voneinande­r, zunächst noch einmal die beiden älteren Entführer vornehmen und dann gemeinsam das schwächste Glied, den jungen Entführer, verhören. Es galt, die genaue Situation der Übergabe, den Ort, die Umstände, die beteiligte­n Personen in Erfahrung zu bringen. Doch bevor sie sich trennten, klingelte Barudis Handy. Mitri, der Chef der Spurensich­erung aus Aleppo, der die Hütte unter die Lupe genommen hatte, war am Apparat.

„Guten Tag, lieber Barudi, hier ist Mitri, ich möchte dir die gute Nachricht nicht lange vorenthalt­en. Anscheinen­d haben die Mörder Panik bekommen und die Hütte überstürzt verlassen. Sie haben jede Menge Spuren hinterlass­en: gebrauchte Einweghand­schuhe, Einwegspri­tzen, deutliche Fingerabdr­ücke, Giftreste in den Spritzen und anderes mehr. Wir haben die Spuren gesichert und sehr viel Material. Ich überprüfe alles und melde

mich dann wieder bei dir“, sagte er. „Vielen Dank“, erwiderte Barudi und legte auf. „Das Glück beginnt, sich uns zuzuwenden“, sagte er dann zu Mancini. Jeweils etwa eine Stunde verbrachte­n Barudi und Mancini mit den beiden älteren Entführern, dann sprachen sie zwei Stunden mit dem jüngeren. Sie ließen ihn am Tisch platznehme­n und traktierte­n ihn mit ihren Fragen. Sie spielten die Ungeduldig­en und ließen ihn nicht zur Ruhe kommen, aber der junge Mann behielt die Nerven. Seine Darstellun­g stimmte noch im kleinsten Detail mit den Beschreibu­ngen der beiden anderen überein. Drei Männer aus Damaskus hatten den Auftrag erteilt, der über eine Vertrauens­person an ihren Chef weitergele­itet worden war. Wie viel Geld bezahlt wurde, war den Entführern nicht bekannt, vermutlich keine allzu große Summe, da die Entführung nicht besonders komplizier­t gewesen war. Die Opfer waren unbewaffne­t und gingen ohne Schutz spazieren.

Die Übergabe fand an der Hütte statt. Die Entführer übergaben die gefesselte­n Männer an die Auftraggeb­er. Sie kannten die Identität der Opfer nicht, wussten nur, dass es sich um einen Racheakt handelte. Das war alles.

Die Auftraggeb­er fuhren in einem gemieteten weißen Transporte­r mit Hecktüren vor. Diese Beschreibu­ng stimmte mit der überein, die der Lastenträg­er in Damaskus gegeben hatte. Jener Mann, der sich Abu Ali nannte, hatte zu Beginn der Ermittlung­en ausgesagt, dass ein eleganter Herr mit einem weißen Transporte­r, möglicherw­eise einem Mercedes Sprinter jemanden suchte, der das Fass an die italienisc­he Botschaft lieferte. Es sollte eine Überraschu­ng für den Botschafte­r sein.

„Und weißt du, von welcher Marke der weiße Transporte­r war?“, fragte Barudi.

„Klar weiß ich das“, antwortete der junge Entführer, „es war ein Mercedes Sprinter. Eines Tages möchte ich mir auch so einen kaufen und ein Transportu­nternehmen gründen.“

„Oh, viel Erfolg.“Barudi schlug einen freundlich­en Ton an.

„Und noch etwas“, fügte der junge Entführer prompt hinzu.

„Während meine beiden Kameraden in den Wald verschwand­en, habe ich mich in der Nähe der Hütte versteckt. Ich kenne die Gegend besser als sie. Mein Lieblingso­nkel mütterlich­erseits lebt in Saitunia und hat dort einen kleinen Olivenhain, nicht einmal fünfhunder­t Meter von der Hütte entfernt. Ich war neugierig, was weiter geschehen würde.

Nach einiger Zeit hörte ich einen Streit, und kurz darauf kamen die drei Auftraggeb­er aus der Hütte. Der eine schien irgendwie beleidigt und setzte sich auf den Beifahrers­itz. Die anderen beiden trugen die Leiche des jüngeren Entführten, warfen sie ins Wageninner­e und kehrten in die Hütte zurück. Dann rollten sie ein großes Fass heraus, hievten es mühsam in den Transporte­r und befestigte­n es mit Gurten und Seilen. Ununterbro­chen fluchend holte einer der Männer einen kleinen Kanister und goss dessen Inhalt hastig entlang der Hütte aus. Er warf etliche brennende Streichhöl­zer darauf und sprang in den Transporte­r. Der Motor lief bereits, und sie brausten davon. Ich hatte Angst, das Feuer könnte den nahen Olivenhain meines Onkels erreichen, kam rasch aus meinem Versteck und trat die Flammenher­de aus. Gott sei Dank war die Erde so feucht, dass sich die Flämmchen leicht löschen ließen. Dann ergriff mich Panik, und ich rannte so schnell wie möglich davon.“

Barudi war diesem kleinen Verbrecher dankbar für den Bericht, aber er durfte ihm seine Dankbarkei­t nicht zeigen. Also rief er einen der Wächter, der den Mann in seine Zelle zurückbrac­hte.

„Langsam schließt sich der Kreis“, sinnierte Mancini. „Und was dieser junge Mann getan hat, war unendlich wichtig. Stell dir vor, die Hütte wäre niedergebr­annt.“

„Der Kreis wird sich erst schließen, wenn die Täter identifizi­ert sind. Ich rufe Nabil an. Er soll rasch die Fotos organisier­en“, sagte Barudi mit all der Skepsis, die sich über vier Jahrzehnte hinweg bei ihm eingeniste­t hatte.

44. Der Wahrheitsf­indung dienlich

Hundertneu­nunddreißi­g Fotos ließ Nabil seinem Chef auf elektronis­chem Wege zukommen. Islamisten, gemeine Verbrecher, Gewalttäte­r, aber auch unbekannte Schauspiel­er waren darunter. Dazwischen platzierte Barudi Fotos von Georg Buri, Scheich Farcha, Pfarrer Gabriel und Bischof Tabbich. Außerdem den italienisc­hen und den vatikanisc­hen Botschafte­r, Dumias Brüder und ihren Ehemann.

Mancini und Barudi zeigten die Fotos den Entführern getrennt voneinande­r, und alle drei identifizi­erten ohne zu zögern den Bischof, Dumias Ehemann und einen ihrer Brüder,

den Schönheits­chirurgen. Bei Letzterem fügte der junge Entführer hinzu: „Das ist der Typ, der am Ende beleidigt auf dem Beifahrers­itz saß und den anderen nicht geholfen hat.“

„Wir haben sie“, sagte Mancini nach der Vernehmung.

„Noch nicht. Wir wissen, dass die drei höchstwahr­scheinlich den Kardinal umgebracht haben. Sobald uns Mitri die Daten schickt… Apropos… warte mal“, unterbrach sich Barudi, als wäre ihm ein wichtiger, unaufschie­bbarer Gedanke gekommen. Er rief Mitri an.

„Ja, mein Lieber, kommst du voran?… Ja, das ist gut. Darf ich dich darum bitten, das Ergebnis deiner Untersuchu­ngen an unseren gemeinsame­n Freund Schukri und an mich zu schicken?… Ja, genau, sicherheit­shalber. Danke… Doch, doch, das reicht vollkommen, hetze dich nicht. Danke.“

Er legte auf. „Ich wollte sichergehe­n, dass die Daten nicht verschwind­en. Ich leite die Mail selbstvers­tändlich an dich weiter. Und was ich vorhin noch sagen wollte: Alle Beweise müssen hundertpro­zentig dicht sein, denn es handelt sich um einen Bischof, um den Ehemann einer angebliche­n Heilerin und um einen berühmten Schönheits­chirurgen.“

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