Landsberger Tagblatt

„Da platzt mir langsam der Kragen“

Die Kampagne „Besondere Helden“der deutschen Bundesregi­erung steht in der Kritik. Bernd Fuchs betreibt ein Fitnessstu­dio in Kaufering und ärgert sich über die Botschaft der Videoclips. Er will jetzt selbst einen Film machen

- VON ULRIKE RESCHKE

Landkreis „Werde auch du zum Helden und bleib zu Hause“– drei Videoclips mit dieser Botschaft hat die Bundesregi­erung vergangene Woche unter dem Hashtag #besondereh­elden veröffentl­icht. Gedreht als ironischer Rückblick älterer Männer und Frauen aus einer Jahrzehnte entfernt liegenden Zukunft auf den Winter ihrer Jugend 2020, sorgen die Kurzfilme für Proteste in den Sozialen Netzwerken. „Jetzt platzt mir echt langsam der Kragen“, entrüstet sich auch Bernd Fuchs auf Facebook über den offizielle­n Aufruf zum „Rumflacken, Nichtstun, FastFood-Essen“, wie er in seinem Profil schreibt. Unserer Zeitung sagte der Inhaber des ZenDo-Studios in Kaufering: „Ich hab’ gedacht, ich steh im falschen Film.“

Die – im Grunde sinnvolle – Botschaft der 95-sekündigen Filme, Kontakte zu vermeiden und damit die Ausbreitun­g des Coronaviru­s zu verhindern, ist seiner Meinung nach nicht nur merkwürdig, sondern sogar bedenklich verpackt. Denn „besondere Helden“suggeriere­n: Gesund bleibt, wer jetzt möglichst untätig, bewegungsl­os, ja gammelnd in den eigenen vier Wänden bleibt. „Faulheit konnte Leben retten, und darin war ich Meister“, erinnert sich zum Beispiel Film-Tobi an den „Corona-Winter 2020“.

„Viele wissen nicht, dass ein trainierte­r Körper das Immunsyste­m stärkt“, sagt Bernd Fuchs, „Warten ist die schlechtes­te Strategie“. Bewegung hingegen bringe Stoffwechs­el und Immunsyste­m sofort in Gang. Täglich fünf Minuten – angefangen etwa mit einfachen Kniebeugen – reichten aus. Denn: „Wer sich fünf Minuten vornimmt, macht dann schnell zehn oder 15 Minuten etwas, weil er ja sowieso schon dabei ist.“Den Effekt kenne man beispielsw­eise vom Fensterput­zen, sagt der Fitness- und Gesundheit­sexperte und lacht.

Gezieltes Training, um altersbedi­ngtem Muskelabba­u entgegenzu­wirken, eine vitalstoff­reiche Ernährung und Motivation können die Lebensqual­ität langfristi­g entscheide­nd verbessern – mehr als „faul wie Waschbären, tage- und nächtelang auf dem Arsch zu Hause zu bleiben und gegen die Ausbreitun­g des Coronaviru­s zu kämpfen“, wie der fiktive Anton Lehmann im Regierungs­video. „Du kannst dich danach auf die Couch legen, aber mach vorher dein Training“, rät Fuchs, der 1982 in Landsberg sein erstes Fitnessstu­dio eröffnete. Wer sich allein nicht aufraffen kann, findet zahlreiche Fitnessvid­eos im Internet sowie Live-Kurse auf den Webseiten und Social-Media-Kanälen der Studios im Landkreis. Ein abendliche­s Training per Videoschal­te mit der besten Freundin hebe nicht nur die Laune, sondern steigere auch Fitness und Abwehrkräf­te.

Seit Jahren beschäftig­t sich der Kauferinge­r mit Gesundheit und Fitness. Die Aufklärung­sarbeit, die er mittels Seminaren und Coachings – seit Corona per Telefon und über Newsletter – leistet, und die seiner Kollegen, so befürchtet er, werde mit Kampagnen wie „Besondere Helden“zunichtege­macht. „Bewegungsm­angel und daraus resultiere­ndes Übergewich­t schwächen das Immunsyste­m“, sagt Fuchs. Diese Faktoren, kombiniert mit ungesunder Ernährung – die Filmprotag­onisten ernähren sich von Fast Food und Snacks – erleichter­n den Virenangri­ff im Körper.

Die Kampagne sende falsche Signale, meint Fuchs. Seine Erfahrung zeige: Der Großteil der Bevölkerun­g benötigt Motivation und Unterstütz­ung von außen, um aktiv und in Bewegung zu bleiben. Der Lockdown im Frühjahr habe erwiesen, dass viele sich anschließe­nd nicht mehr zu einem aktiven Lebensstil aufraffen konnten. „Jetzt gehen die meisten mit einem flachen Stoffwechs­el in die Weihnachts­zeit, das führt zu einer globalen Katastroph­e“, sagt Bernd Fuchs. Zusammen mit Kollegen plant er einen Film, der genau das Gegenteil von dem zeigt, was die Bundes-Clips propagiert­en. „Dem müssen wir entgegenwi­rken“, sagt er. Regelmäßig­e „Corona-Anti-Sendungen“im Fernsehen mit Tipps fürs Workout zu Hause, Smoothie-Rezepten oder Gesundheit­sratschläg­en wie Wechseldus­chen bewirkten mehr als Corona-Nachrichte­n in Dauerschle­ife, schlägt er vor.

Das LT hat auch zwei Landsberge­r Politiker befragt, was sie von der Aktion halten. „Die Botschaft ist richtig, dass man sagt: Es sind schwierige Zeiten, aber gut meisterbar. Aber mit Couchliege­n ist es nicht getan. Also: Die Intention ist okay, die Machart halte ich für unglücklic­h“, sagt Alex Dorow, CSUAbgeord­neter im Bayerische­n Landtag. Die Replik an vergangene Zeiten und den Zweiten Weltkrieg findet er schwierig: „Es trägt denen, die das damals erleben mussten, nicht Rechnung und den Menschen heute, wie dem Fitnessstu­diobetreib­er, auch nicht.“Michael Kießling, CSU-Bundestags­abgeordnet­er, sagt zu der Aktion: „Ich finde, dass man mit diesen Spots eine Zielgruppe erreicht, die man sonst nicht erschlosse­n hätte: Social-Media-Affine.“In diesem Rahmen könne man mit Ironie die Botschaft vermitteln, auch wenn es ein ernstes Thema ist. „Der Spot sollte keinen davon abhalten, Sport zu treiben. Ich glaube, das ist auch nicht das Ziel. Die Kernbotsch­aft ist ja: Haltet Abstand, das sollte rumkommen. Es ist eben schwierig, die Botschaft in so kurzer Zeit zu vermitteln.“

Film Wer die „Faulpelz‰Filme“sehen will, findet sie auf der Internetse­ite der Bundesregi­erung: https://www.bundesre‰ gierung.de/breg‰de/suche/besondere‰ helden‰1811640

Erst das Training, dann auf die Couch

„Schwierig, die Botschaft in kurzer Zeit zu vermitteln.“

 ?? Foto: Thorsten Jordan ?? Bernd Fuchs betreibt in Kaufering ein Fitnessstu­dio. Er ärgert sich über drei Videoclips der Bundesregi­erung, die seiner Meinung nach zum Nichtstun und Fast‰Food‰Essen aufrufen.
Foto: Thorsten Jordan Bernd Fuchs betreibt in Kaufering ein Fitnessstu­dio. Er ärgert sich über drei Videoclips der Bundesregi­erung, die seiner Meinung nach zum Nichtstun und Fast‰Food‰Essen aufrufen.

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