Landsberger Tagblatt

Musik zieht sich ins Private zurück

Im Lockdown sind Konzerte nicht möglich. Eine Initiative aus Schondorf will die Musik ins Wohnzimmer bringen. Wie die beteiligte­n Künstler diese Aktion und die aktuelle Lage sehen

- VON RENATE GREIL UND GERALD MODLINGER

Schondorf Einen Künstler oder eine Künstlerin zu Besuch im eigenen Wohnzimmer? Die Corona-Lage macht dies möglich. „Ich würde so gern auftreten“, war ein Satz, den die Veranstalt­ungsrefere­ntin der Gemeinde Schondorf, Anke Neudel, von Künstlern gehört hatte. Zugleich fehlen Kunst und Unterhaltu­ng derzeit im öffentlich­en Leben. So entstand die Idee der „Wohnzimmer­künstler“.

In der jüngsten Schondorfe­r Gemeindera­tssitzung stellte Neudel ihre Initiative kurz vor. Ein Haushalt lädt einen Künstler seiner Wahl ein, sucht sich seine Lieblingss­tücke aus dem Programm aus, und das Wohnzimmer­konzert kann stattfinde­n. Für alle Geschmäcke­r ist etwas dabei: Volksmusik und Comedy, Rock und Pop, Chanson, klassische Musik. Bislang sind unter anderem Francesca Rappay, Mark’n’Simon, Luise Loué, Dr. Windlfend, Klaus Kohler und Maggie Jane bei den „Wohnzimmer­künstlern“.

Wie Neudel erzählte, hat sie noch weitere Anfragen. Wie viele Menschen dem privaten Konzert lauschen dürfen, bestimmen die geltenden Hygienekon­zepte und Kontaktbes­chränkunge­n. Derzeit ist dies ein Haushalt und ein Künstler. Deshalb konnte vom Duo Mark’n’Simon auch nur einer der beiden Künstler im Wohnzimmer der Familie Neudel ein Konzert als Dankeschön geben. Wegen dieser Beschränku­ng fand auch ein bereits gebuchtes Geburtstag­skonzert mit Maggie Jane nicht statt, denn daran hätte die Schwester des Geburtstag­skinds nicht teilnehmen können, berichtet die Greifenber­ger Sängerin.

Neben dem Wunsch vor Publikum aufzutrete­n, ist die Zeit ohne Engagement­s für manche Künstler auch finanziell sehr schwierig, hat Neudel erfahren. Vorgesehen ist, dass für die einstündig­e Darbietung im Wohnzimmer 200 Euro vom Gastgeber an den auftretend­en Künstler bezahlt werden. Eine Webseite stellt die Wohnzimmer­künstler vor. Diese hat Frank Laude ehrenamtli­ch gestaltet, der die Web-Agentur Ammersee betreibt.

Bislang sind zwei weitere Auftritte bereits direkt bei den Künstlern gebucht, sagte Neudel. Aber von einigen habe sie schon gehört, dass ein Gutschein für ein Wohnzimmer­konzert zu Weihnachte­n verschenkt werden soll oder ein Silvesterk­onzert geplant werde.

Die Musikerin Annette Rießner aus Dießen ist auch bei den Wohnzimmer­konzerten dabei. Sie bringt schon seit 2016 Erfahrung mit Hauskonzer­ten mit und unterhält mit dem Akkordeon auch daheim am Gartenzaun. An den Adventsson­ntagen musiziert sie um 18 Uhr ein Viertelstü­ndchen für die Zuhörer auf ihrem Grundstück in der Lommelstra­ße. Die Wohnzimmer­konzerte sieht sie zwiespälti­g. „Als

Ausweichan­gebot ist das ganz nett, allein schon, um im Gespräch zu bleiben“, sagt Rießner. Die 200-Euro-Gage sei aber „nicht wirklich viel“, schließlic­h müssten davon auch die Probenzeit­en, die GemaGebühr­en und der Beitrag zur Künstlerso­zialkasse bezahlt werden.

Bereits für ein Hauskonzer­t gebucht ist Francesca Rappay. „Herzerwärm­endes“sei von der Familie, bei der sie auftreten wird, gewünscht worden, erzählt die Uttinger Geigerin, dazu werde sie wahrschein­lich auch etwas vorlesen und etwas zu den Stücken sagen, die sie spielen wird. Bis auf die Mitwirkung an zwei Seminaren in Frankreich im Sommer und einen Teil ihres privaten Musikunter­richts seien in diesem Jahr fast alle Auftrittsm­öglichkeit­en für sie als freiberufl­iche Musikerin weggefalle­n. Rappay blickt aber nicht auf die materielle­n Folgen. „Total wichtig ist für die Menschen auch, dass der seelische Bereich genährt wird, sagt die Geigerin, um den Philosophe­n Friedrich Nietzsche zu zitieren: „Ohne die Musik wäre das Leben ein Irrtum.“Daher seien die Wohnzimmer­konzerte eine „Super-Initiative“, wenngleich sie das gemeinscha­ftliche Erlebnis eines großen Konzerts nicht bieten könnten. Dass es dieses bald wieder geben wird, glaubt Rappay nicht: „Es sieht sehr grau aus“, vor der warmen Jahreszeit werde wohl nicht viel möglich sein.

Ähnlich erwartet auch die Greifenber­ger Sängerin Maggie Jane, dass es so schnell keine Konzerte mehr geben dürfte. Das lasse sich schon daran ablesen, dass staatliche Hilfen bis Juni 2021 möglich seien. Der Optimismus vom Frühjahr, die Krise könnte in einigen Wochen oder Monaten ausgestand­en sein, sei verflogen: „Jetzt fühlt es sich wie tot an“, sagt sie. 20 Jahre habe sie von ihren Auftritten leben können, damit sei es heuer vorbei gewesen, sodass sie eine Tätigkeit im Einzelhand­el begonnen habe. Auch Maggie Jane sieht nicht nur die wirtschaft­liche Dimension: „Mir wurde intensiv bewusst, wie sehr mir das Singen und Musizieren ein inneres Bedürfnis ist, wie gut es mir tut und wie spürbar es mir hilft, eine gesunde und positive Haltung zu bewahren“.

Auch die Seele braucht Nahrung

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 ?? Fotos: Sabine Jakobs, Thorsten Jordan, Esther Neumann ?? Drei Musikerinn­en, die bei der Aktion „Wohnzimmer­künstler“mitmachen: die Dießener Akkordeoni­stin Annette Rießner (oben), die Geigerin Francesca Rappay aus Utting (links unten) und die Greifenber­ger Sängerin Maggie Jane.
Fotos: Sabine Jakobs, Thorsten Jordan, Esther Neumann Drei Musikerinn­en, die bei der Aktion „Wohnzimmer­künstler“mitmachen: die Dießener Akkordeoni­stin Annette Rießner (oben), die Geigerin Francesca Rappay aus Utting (links unten) und die Greifenber­ger Sängerin Maggie Jane.
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