Seit 125 Jahren Strom aus Dießen für Dießen
Im Jahr 1895 begann der junge Müller Georg Gröbl in Dießen damit, aus Wasserkraft Strom zu erzeugen. Das Jubiläum sollte mit einem Tag der offenen Tür begangen werden. Doch der fällt wegen Corona aus
Dießen Dass es in Dießen schon ein paar Jahre früher als in den meisten anderen ländlichen Regionen Strom gab, ist einem innovationsfreudigen Müller zu verdanken: Der Klostermüller Georg Gröbl (1864-1948) – nach ihm ist heute auch eine Straße im Romenthaler Gewerbegebiet benannt – erkannte, dass die Kraft des Mühlbachs nicht nur zum Mahlen, Sägen oder Hämmern verwendet werden kann, sondern auch, um Strom zu erzeugen. 1895 begann er mit der Stromproduktion und sein Unternehmen – das Elektrizitätswerk Dießen – hat bis heute Bestand. Eigentlich hätte das 125-jährige Bestehen mit einem Tag der offenen Tür begangen werden sollen – doch wie so vieles in diesem Jahr war dies aufgrund der Corona-Situation nicht möglich.
Das E-Werk produziert nicht nur Strom, sondern ist auch einer der kleinsten privaten Stromnetzbetreiber in Bayern. Es befindet sich bis heute in Familienbesitz und wird inzwischen von Gröbls Urenkel Georg Stadler geführt.
Inspiriert zu dieser Pionierleistung hatte Georg Gröbl die Beleuchtung eines Hauses der Firma August Neumüller in München, das sich der damals 30-Jährige wie viele andere Interessierte angesehen hatte. Die ersten Stromabnehmer in Dießen waren Gasthäuser und die ortsansässige Buchdruckerei. Doch nicht alle im Ort waren begeistert von der neuen Energiequelle, sodass es Widerstand gegen die Anbringung der für den Aufbau des Stromnetzes benötigten Dachständer gab. Zudem zerbrach schon sechs Wochen nach der Inbetriebnahme das Kammrad des Wasserrades, sodass Georg Gröbl mit dem kleineren Wasserrad des Sägewerks in einen Notbetrieb gehen musste und später für den Reserveantrieb eine Dampflokomobile (Dampfmaschinenanlage) anschaffte. 1898 kam die erste Turbine in der Klostermühle zum Einsatz, wobei das Wasserrad aber erst 1924 ganz ersetzt wurde.
Nach Anfangsschwierigkeiten kam es um die Jahrhundertwende zu einem starken Anstieg des Stromverbrauchs. Das Kraftwerk in der Klostermühle reichte nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken. Daher entstanden neue Kraftwerke: 1902 das Schönherr-Werk in einer ehemaligen Hammerschmiede unterhalb des Klosters, das anfangs mit einem Wasserrad und zwei Gleichstromgeneratoren von je 110 Volt arbeitete, und 1910 das mit einer
betriebene und von der Gemeinde errichtete Marktwerk in der Ortsmitte. Hier ermöglichte ab 1914 eine Akkumulatoren-Batterieanlage erstmals die Speicherung von Strom. Mittlerweile wird beim E-Werk Dießen kein Strom mehr gespeichert, da es keine adäquate Speichermöglichkeit für die Menge des produzierten Stroms gibt.
Da der Stromverbrauch – vor allem gewerblich – weiter anstieg, aber ein Ausbau nicht möglich war, wurde 1937 mit dem Fremdbezug aus dem Isarnetzwerk begonnen. Im
Laufe der Zeit konnte auch durch technische Neuerungen die Eigenleistung mit den bestehenden Kraftwerken weiter gesteigert werden. Ein Meilenstein war 1956 die Verlegung einer 1268 Meter langen Wasser-Druckrohrleitung zwischen Moosanger und der Klostermühle.
So beträgt die Leistung der vier Generatoren und der Notstromversorgung heute unter Optimalbedingungen 290 Kilowatt. Der Strom, der ins Netz des E-Werks eingespeist wird, kommt aktuell zu rund 60 Prozent aus privaten FotovoltaTurbine ikanlagen und zu 40 Prozent aus der überwiegend firmeneigenen Wasserkraft. Die Jahresstromproduktion gibt Prokurist Hans-Peter Wiedemann mit rund 670000 Kilowattstunden an. Die örtliche Stromproduktion decke etwa zehn Prozent des Bedarfs der Dießener Haushalte ab. Dieser Anteil sei seit Jahren in etwa gleich, die Anteile von Wasserkraft und Sonnenstrom haben sich jedoch verschoben. Der Beitrag der Wasserkraft wurde kleiner, seit vor etwa zehn Jahren Wasser für die Raistinger Wasserversorgung abgezweigt wurde. Doch dafür sei durch die Wohnbautätigkeit in Dießen der Anteil des Stroms aus Fotovoltaikanlagen entsprechend gestiegen.
Was zum Dießener E-Werk auch gehört, ist der Netzbetrieb, der jedoch auf Dießen (ohne St. Georgen und die anderen Ortsteile) beschränkt ist. Laut Wiedemann ist das E-Werk damit der kleinste Netzbetreiber im Landkreis. Aufgrund seiner Marktstellung ist das E-Werk auch Grundversorger in Dießen, solange ein Kunde nicht einen anderen Stromversorger wählt. Elf Beschäftigte arbeiten für das Unternehmen, berichtet Wiedemann. „Wir machen alles selber“, sagt der langjährige Prokurist, „vom Hausanschluss bis zur Trafostation, bei uns arbeiten keine Fremdfirmen.“
Wer sich für die Geschichte des E-Werks interessiert, kann die
Schon nach sechs Wochen gab es ein großes Problem
Zum Jubiläum gibt es eine Ladestation für EBikes
Chronik studieren, die zum 125-jährigen Bestehen gedruckt wurde, oder das Mühlen- und Elektrizitätswerkmuseum besuchen. Dieses ist jedoch momentan aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen und auch der geplante Tag der offenen Tür wurde verschoben. Möglich war es jedoch, den Dießenern und den Besuchern der Marktgemeinde eine Ladestation für E-Bikes zu spendieren. Diese findet man seit einigen Wochen an der ehemaligen Klostermühle neben dem Marienmünster. Dort kann man täglich von 9 bis 18 Uhr eine Fahrradbatterie aufladen – und zwar mit Strom aus der Wasserkraft des Mühlbachs.