Seit Kindesbeinen in der Kunstwelt zu Hause
Der Galerist Michael Gausling wollte eigentlich im November eine Ausstellung mit rund 45 Papierarbeiten seines Großonkels Fritz Winter eröffnen. Doch die Pandemie macht dem lange geplanten Vorhaben einen Strich durch die Rechnung
Dießen Aufgewachsen in Fritz Winters Wohnhaus als dessen Großneffe war Michael Gausling schon von Kindesbeinen an tief verbunden mit der Kunst. Heute ist er Galerist und betreibt seit nunmehr 28 Jahren die Galerie im Fritz-Winter-Atelier, einen Steinwurf vom ehemaligen Wohnhaus des 1976 verstorbenen Künstlers entfernt, am Forstanger in Dießen. „Die Bilder meines Großonkels hingen überall an den Wänden und waren der Hintergrund meiner Kindheit“, erzählt er.
Der Weg in die Kunst scheint für Michael Gausling vorgezeichnet, doch es dauert viele Jahre, bis der heutige Galerist sich ernsthaft mit einer Karriere im Kunstgeschäft auseinandersetzt.
1975 übernimmt seine Mutter Helga Gausling die Leitung des im Vorlauf mit einigem Aufwand zum Museum umgebauten Elternhauses von Fritz Winter im westfälischen Ahlen. Damals gerade 13-jährig war für Michael Gausling „die Eröffnung, die meine Mutter und Fritz Winter noch gemeinsam unternommen haben, ein unglaubliches Event, ganz großes Kino.“Erfolge stellen sich ein, und 1991 lässt sich eine Fortführung des Gedankens, Fritz Winters Werk an den Orten seines Schaffens zu bewahren, entwickeln: Fritz Winters Atelierhaus in Dießen soll als Galerie und Dependance zum Museum in Ahlen gegründet werden. Nach einer grundlegenden Sanierung des 1958 vom Architekten Gustav Hassenpflug im Stile des Bauhauses entworfenen und 1961 erbauten Ateliers, lädt Michael Gausling 1992 als selbstständiger Galerist zu seiner ersten Vernissage.
Selbstverständlich war die erste Ausstellung Fritz Winter gewidmet und seither spielt dessen Werk eine wichtige Rolle im Konzept der Galerie. „Kurz vor seinem Tod hat Fritz Winter eine Stiftung mit Sitz in München gegründet, um sein Werk in der Öffentlichkeit zu erhalten. Etwa zeitgleich übergab er außerdem ein Konvolut an Arbeiten meiner Mutter Helga, als Grundstock für das noch gemeinsam eröffnete Fritz-Winter-Haus in Ahlen. Daraus und aus der Tatsache, dass ich im Atelierhaus von Fritz Winter tätig bin, ergab sich letztlich auch eine moralische Obligation rund ein Drittel meines Galeriegeschäfts mit dem Werk von Fritz Winter zu füllen.“
Dass Michael Gausling als Galerist nicht im künstlerischen Dunstkreis der Bauhausnachfolger oder der von Fritz Winter mitbegründeten Künstlergruppe Zen49 bleibt, ist für ihn eine natürliche Entscheidung, denn als „Programmgalerist“sieht er sich nicht. „Man hat als Galerist auch die Aufgabe zu schauen, was kommt nach? Wer sind die Künstler, deren Arbeiten in der Zukunft von Wichtigkeit sein werden?“
Entsprechend sind die übrigen zwei Drittel seines Galerieportfolios eine moderne Mischung an unterschiedlichsten Positionen, die in Sachen Malerei gegenständliche, naive, konkrete sowie abstrakte Kunst und auch Op Art einschließt, außerdem Holzbildhauerei, Metallplastiken und Werke in verschiedenen Drucktechniken.
„Ich muss etwas sehen und Begeisterung spüren, und dabei ist es mir egal, ob der Künstler arriviert ist oder nicht. Es ist ein Bauchgefühl, und das muss stimmen“, beschreibt er sein Vorgehen.
Auf viele Künstler seiner Vertretung wurde er bei den Kunstmessen in Frankfurt, Köln, Karlsruhe, München und Dornbirn aufmerksam und als „Netzwerker aus Überzeugung“übernimmt er auch Empfehlungen von Kollegen, respektive vermittelt eigene Entdeckungen an diese weiter.
Die derzeitige Verschiebung der Kunstszene ins Virtuelle sieht Michael Gausling nicht als der Weisheit letzten Schluss, denn „da fehlt die Haptik des Ganzen, keine Reproduktion ersetzt verlustlos das Original.“Er selbst sei „in der Präsenz der Kunst sozialisiert“, genieße außerdem „den Publikumsverkehr und die Gespräche face to face“, und spricht von sich als „der Typ mit Hammer, Nagel und Wasserwaage“. „Natürlich“, fügt er hinzu, „bin ich offen für die Neuen Medien, wir müssen uns ja dieser Mittel auch bedienen. Doch auf Instagram und Facebook findet man mich nicht.“So bleibt auch die aktuelle Ausstellung im Fritz-Winter-Atelier für den Moment unsichtbar und in der Warteschleife.
„Eigentlich hätte ich schon Mitte November eine Ausstellung mit rund 45 Papierarbeiten von Fritz Winter in der Galerie eröffnen wollen. Doch mit den Einschränkungen des Kunst- und Kulturbetriebs habe ich mich dagegen entschieden. Ich könnte zwar eröffnen, aber ich spüre, dass die Leute den Kopf voll haben und gar keine Muße hätten, sich in dieser Situation und noch vor Weihnachten auf Kunst einzulassen.“
Seinen Entschluss hat Michael Gausling nicht leicht gefällt, denn die besagte Werkschau war gleichzeitig mit zwei großen Ausstellungen zu Fritz Winter, zum einen im „Emil Schuhmacher Museum“in Hagen, zum anderen in der „Neuen Galerie Kassel“, geplant gewesen.
Beide Retrospektiven bieten jeweils mehr als 100 Arbeiten des Künstlers, zwei aussagekräftige Kataloge wurden dazu publiziert, doch die Ausstellungen sind verwaist, die Häuser geschlossen. „Nach Kassel ging aus unserem Bestand sogar das Documenta-Bild, das Fritz Winter zur Documenta I gemalt hatte und
Ein modern gemischtes Galerieportfolio
Die Pandemie erschüttert die Kunstszene schwer
das immerhin vier mal sechs Meter misst. Schon rein logistisch war das eine echte Herausforderung. Man muss sich das mal vorstellen, allein zur Montage des Bildes in Kassel waren rund 80 Arbeitsstunden nötig.“„Rund zwei Jahre Vorbereitungszeit hat jede dieser Ausstellungen gefordert“, berichtet Michael Gausling und bedauert, dass „sie nun womöglich kein Mensch zu Gesicht bekommen wird.“
Zweifel an der Notwendigkeit dieser Maßnahmen hat Michael Gausling dennoch nicht, nur beklagt er, dass man „in Häusern wie diesen nichts verschieben kann“, denn „die nächsten Ausstellungen sind ebenfalls mit riesigem Vorlauf geplant und zeitlich strikt terminiert, andernfalls könnte man keine Leihgaben erhalten.“Er selbst habe da einen entscheidenden Vorteil und könne seine aktuelle Fritz-WinterAusstellung ohne Schwierigkeiten ins neue Jahr verlegen, „denn die Werke kommen aus dem eigenen Bestand.“
Dass die Pandemie-Situation grundsätzliche Auswirkungen auch auf den Kunstmarkt und das Galeriegeschäft haben wird, davon ist Michael Gausling überzeugt. „Die Kunst- und Kulturbranche ist massiv geschädigt.
Die finanziellen Hilfen sind bis heute bei sehr vielen, mir gut bekannten Künstlern und Kollegen nicht angekommen. Viele stehen vor dem Nichts.“Zwar glaubt der erfahrene Galerist an einen „Kunstund Kulturhunger“der Menschen, denn, so seine Überzeugung, „wir sind soziale Wesen, und da ist Theater, Bildende Kunst, Musik und so weiter so wichtig wie die Luft zum Atmen“, aber „die Notwendigkeit, nach den Einschränkungen durch den Lockdown nennenswerte Umsätze zu erzielen wird bei den Galerien deutlich höher sein. Das kann es jungen und wenig bekannten Künstlern ungemein erschweren und letztlich die Branche um Jahre zurückwerfen/erschüttern.“