Landsberger Tagblatt

Die Impf-Pioniere retten die Hoffnung und die Politik

Die langsam anlaufende­n Massenimpf­ungen bereiten nicht nur den Rückweg zur Normalität. Sie ersparen Bund- und Länderregi­erungen auch eine Debatte über Fehler

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger‰allgemeine.de

Es geht zäh voran, so scheint es. Beim Impfen, bei der Impfmittel-Produktion, beim Lockdown, beim digitalen Schulunter­richt, bei den versproche­nen Corona-Hilfen, beim Warten auf einen Lichtblick der überforder­ten Intensivst­ationen, beim Zerren am Geduldsfad­en der Bürger angesichts ständig verschärft­er Kontaktbes­chränkunge­n und Pandemie-Maßnahmen. Zur unangenehm­en Gewissheit, dass angesichts der sonst üblichen Grippesais­on die drei härtesten Monate der Pandemie begonnen haben, gesellt sich auch noch ein klassisch kaltes Winterwett­er, das die Menschen noch anfälliger für Viren macht.

So wird das Impfen erst recht zur Hoffnung, dass ab Sommer statt der unsägliche­n Beschönigu­ngsfloskel einer „neuen Normalität“tatsächlic­h wieder das Leben in normale Bahnen einbiegt. Dass es so kommen wird, ist das Verdienst von Wissenscha­fts-Pionieren. Allen voran Curevac-Gründer Ingmar Hoerr, der eher zufällig als Doktorand die Möglichkei­t einer neuen Generation programmie­rbarer mRNA-Impfstoffe entdeckt hat.

Ebenso die Gründer des Mainzer Hochtechno­logie-Unternehme­ns Biontech: Ugur Sahin und Özlem Türeci machten Hoerrs Entdeckung nicht nur schneller marktreif als Curevac in Tübingen. Das Ehepaar ging auch voll ins unternehme­rische Risiko. Sie setzten alles auf das keineswegs von vornherein Erfolg verspreche­nde Projekt und begannen lange vor der offizielle­n Zulassung die Produktion von zig Millionen Dosen. Und auch der Wirkstoff von AstraZenec­a basiert auf langer weitsichti­ger Forschung der Universitä­t Oxford über Coronavire­n-Impfung, bevor der heutige Typ überhaupt bekannt war.

Doch Ruhm und Anerkennun­g dieser Leistung verflogen fast so schnell, wie die ersten Spritzen aufgezogen waren. Seitdem klagen Opposition­spolitiker und Medien über Impfchaos, Fiasko und langsames Vorgehen. Der von der Bundesregi­erung übernommen­e Plan, zuerst die Pflegeheim­bewohner und Menschen über achtzig zu impfen, bleibt jedoch sinnvoll und logisch.

Aber geht die Strategie auch schnell genug auf? Die bald erwartete Zulassung des einfacher produzierb­aren Impfstoffs von AstraZenec­a könnte die Massenimpf­ungen beschleuni­gen. Bislang ist geplant, 55 Prozent der Bundesbürg­er – jene im Alter unter sechzig, die keiner Risikogrup­pe angehören – erst ab Sommer zu impfen.

Bis dahin sollte die Politik zum einen so viel Aufklärung wie möglich betreiben, anstatt wie Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder über Impfpflich­t zu schwadroni­eren und ausgerechn­et das unter der Pandemie leidende Pflegepers­onal in ein schiefes Licht zu rücken.

Viel wichtiger ist es aber, jede Chance zur Beschleuni­gung der Massenimpf­ung wahrzunehm­en. Denn möglicherw­eise ist es nur eine Frage der Zeit, bis die hoch ansteckend­e Coronaviru­s-Variante B117 den Weg von Großbritan­nien nach Deutschlan­d findet. In England und Irland lässt die Mutation die Neuinfekti­onen derzeit wie eine Rakete nach oben schießen, Kliniken stehen vor dem Kollaps.

Die Impf-Pioniere retten nicht nur die Hoffnung auf ein Ende des Corona-Albtraums, sondern nicht zuletzt die Politik vor unangenehm­en Diskussion­en. In der CoronaPoli­tik werden immer mehr Fehlentsch­eidungen und falsche Versprechu­ngen offenbar. Dank der Impfungen können Verantwort­liche dies damit abtun, der Blick zurück bringe nichts. Diese Art Schlussstr­ich-Mentalität hat sich allerdings schon immer als falsch erwiesen: Die Corona-Pandemie hat inklusive der zaghaften ImpfstoffB­estellung der EU dermaßen viele grundsätzl­iche Schwachste­llen schonungsl­os offengeleg­t, dass eine Aufarbeitu­ng notwendig ist.

Jede Chance auf schnellere­s Impfen müssen wir nutzen

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