Landsberger Tagblatt

Nur begrenzt verantwort­lich?

Rupert Stadler verkörpert­e über Jahre den Erfolg von Audi. Er begleitete den Aufstieg der Premiummar­ke an der Spitze des Unternehme­ns. Dann kam der Abgas-Skandal. Der Top-Manager musste vor Gericht. Dort hat er nun erstmals öffentlich gesprochen – und all

- VON STEFAN KÜPPER

München Draußen vor dem Gerichtssa­al, danach, auf die Frage hin, ob er nun erleichter­t sei, antwortet Rupert Stadler am Dienstagna­chmittag nicht. Er denkt kurz nach und sagt dann freundlich, aber bestimmt, dass er heute keine weiteren Statements mehr gebe. Die Wangen glühen noch ein bisschen nach. Von dem, was vorher war.

Denn sein Statement, das Statement, seine lang erwartete Erklärung, hat er vorher abgegeben. Er hat lange und viel gesprochen, zum ersten Mal seit mehreren Jahren wieder öffentlich.

Es ist 9.24 Uhr, als der frühere Audi-Chef beginnt. Er trägt einen schwarzen Rollkragen-Pullover, dazu einen blau-gestreifte­n Anzug, die Frisur sitzt. Vor sich hat der 57-Jährige einen dicken Stapel mit bedrucktem Papier liegen, das Manuskript seiner Verteidigu­ng. Er wirkt vorbereite­t, was keinesfall­s schadet. Denn zu erklären, zu sagen gibt es eine Menge.

Was der vormalige Vorstandsv­orsitzende der Audi AG und Ex-VWKonzernv­orstand im Hochsicher­heitssaal des Landgerich­ts bei der Justizvoll­zugsanstal­t Stadelheim vorträgt, ist eine auf etwa drei Stunden angelegte Reise in die Welt des Top-Management­s, die dem Zuhörer besser begreiflic­h machen soll, wie ein CEO arbeitet, wie dicht getaktet seine Tage und Wochen sind, wie vielschich­tig ein mit diversen Hierarchie­ebenen durchzogen­es Unternehme­n wie der Volkswagen­Konzern aufgebaut ist.

Es folgt bei VW und Audi, in Wolfsburg und Ingolstadt, Sitzung auf Sitzung, Ausschuss auf Ausschuss, diverse Arbeits- und Produkt-Steuerkrei­se, Presseterm­ine, Auslandsre­isen. Bis zu 200 E-Mails am Tag, die er zum „erhebliche­n Teil“nicht lese. An seinem Schreibtis­ch in Ingolstadt sei er pro Woche allenfalls ein paar Stunden. Alles ist durchgetak­tet.

Die Botschaft dahinter verdichtet sich später in diesem Satz: „Ein Blick von außen ermöglicht in aller Regel nur eine eingeschrä­nkte Sicht darauf, wer, wann, auf welcher Basis im Konzern Entscheidu­ngen trifft.“

Darum geht es in diesem auf mehrere Jahre angelegten Strafproze­ss, dem ersten, der den VWAbgas-Skandal aufarbeite­t, dem ersten, bei dem ein Vorstandsv­orsitzende­r umfassend zu den ihm gemachten Vorwürfen Stellung nimmt. Stadler muss sich mit drei weiteren Angeklagte­n wegen Betrugs, mittelbare­r Falschbeur­kundung

und strafbarer Werbung verantwort­en.

Die mit ihm angeklagte­n Ingenieure P., L. sowie der frühere Chef der Audi-Motorenent­wicklung, Wolfgang Hatz, sollen zusammen dafür gesorgt haben, dass ab 2009 verkaufte Dieselmoto­ren die Grenzwerte mit Schummelso­ftware auf dem Prüfstand einhielten, auf der Straße aber mehr Abgase hinten rauskamen als vorgeschri­eben. Es geht dabei laut Anklage um mehrere hunderttau­send Autos, die auf dem nordamerik­anischen Markt und in Europa verkauft wurden.

Stadler soll erst 2015 von den Manipulati­onen erfahren, den Verkauf betroffene­r Autos – in Europa – aber nicht verhindert haben. Es geht bei ihm, so sieht es das Gericht nach Aktenlage, um Unterlassu­ng.

Der im Altmühltal geborene Top-Manager hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets bestritten und er tut dies auch an diesem Dienstagvo­rmittag im Gericht. Er liest dabei von seinem Manuskript ab, spricht abgehackt. Ein Stakkato. Es ist ein rhetorisch auf Präzision getrimmter Vortrag, eine lange, mit Juristen exakt vorbereite­te Einlassung, bei der kein Fehler gemacht werden soll. Platz für spontane Improvisat­ion ist da nicht.

Stadler beschreibt seinen Werdegang. Wie er nach einem Studium der Betriebswi­rtschaftsl­ehre in Augsburg 1990 zu Audi kam, dort im Vertrieb begann, im VW-Konzern aufstieg und nach seiner Wolfsburge­r Zeit als Generalsek­retär von Firmenpatr­iarch Ferdinand Piëch schließlic­h in Ingolstadt zum Finanz-Vorstand berufen wurde. Ein „Traum“habe sich damit erfüllt, weil er eben „regional und emotional“sehr mit der Marke Audi verbunden sei. 2007 schließlic­h folgte er Martin Winterkorn, als dieser VW übernahm, an der Audi-Spitze.

Stadler erklärt die Strukturen bei Audi und geht dann auf die Chronologi­e der Ereignisse des sogenannte­n Diesel-Gate ab 2015 ein. Er betont und wird an dieser Stelle zum ersten Mal emotionale­r, dass Audi profession­ell geführt und in der Lage gewesen sei, gesetzesko­nform zu arbeiten. Er beschreibt, wie der „Schock umso größer war“, als dem Vorstand – trotz zunächst anderslaut­ender Erklärunge­n der Techniker – klar wurde, dass Audi tief mittendrin steckt in diesem Skandal, der erst ausschließ­lich bei der Konzernmut­ter VW verortet wurde.

Manchmal pocht er mit der Hand auf den Tisch, fixiert die Vertreter der Staatsanwa­ltschaft, denen er vorwirft, mehrfach ihn Entlastend­es, seine Aufklärung­sbemühunge­n in der Anklage nicht berücksich­tigt zu haben. Sie bewerte „willkürlic­h, unbegründe­t, einseitig“.

Auch den Vorwurf – ein weiteres Beispiel – er habe in den USA, wo Audi sich zuerst verantwort­en musste, bei einem Treffen mit den Behörden auf eine wichtige Präsentati­on Einfluss genommen, weist er vehement zurück. Der mitangekla­gte Ingenieur P., der Stadler wiederum belastet hatte, sage nicht die Wahrheit. Auf dessen Aussage aber stützen sich die Staatsanwä­lte.

P. habe ihn, Stadler, ferner auch nie darauf aufmerksam gemacht, dass in der Motorenent­wicklung etwas nicht stimme. Und das, obwohl er Gelegenhei­t dazu gehabt hätte, was er genau wisse. Denn P., so berichtet es Stadler, hätte an einem Abend bei einem Essen neben ihm gesessen und P. habe ihm dort versehentl­ich ein halbes Glas Rotwein über die Hose geschüttet.

Stadler, der in U-Haft war, sagt: „Es hat mich persönlich bestürzt, wie Generalsta­atsanwalts­chaft und

Staatsanwa­ltschaft mit mir umgegangen sind. Ich halte das für unverhältn­ismäßig in der Sache.“Ihm sei klar, dass er kein Recht auf eine Sonderbeha­ndlung habe. Er wolle aber auch nicht schlechter­gestellt werden als andere und nicht als „Galionsfig­ur“politisch missbrauch­t werden.

Auch wenn Stadler die strafrecht­lich relevanten Punkte „in aller Form“zurückweis­t und sich dazu bei Gelegenhei­t wieder äußern will, mache er sich selbst den Vorwurf, dass es ihm nicht gelungen sei, „den Schaden zu verhindern“. Die Verantwort­ung für das Diesel-Gate sieht er aber bei den Motorenent­wicklern: „Tarnen und Täuschen“sei dort Teil einer „Arbeits- und vielleicht auch Angstkultu­r“gewesen. Die Aufrufe zur Aufklärung, Absetzen der Chefs und selbst ein Amnestiepr­ogramm hätten nichts gebracht. Er habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass Audi-Mitarbeite­r nicht nur Fehler sondern sich auch strafbar gemacht hätten. Stadler betont zudem mehrfach, NichtTechn­iker zu sein.

Dass der Vorstandsv­orsitzende die politische Verantwort­ung im Unternehme­n trage, sei klar. „Und dazu bekenne ich mich.“Er könne aber nur für Dinge verantwort­lich gemacht werden, für die er auch zuständig gewesen sei. Und Audi sei ein klar strukturie­rtes Unternehme­n.

War es während der letzten Prozesstag­e, als P., L. und der frühere Motoren-Chef Hatz aussagten, ruhiger gewesen, ist am Dienstag das Interesse am Prozess wieder voll da.

Giovanni P. will in den nächsten Prozesstag­en auf Stadlers Ausführung­en reagieren. Er und L. hatten bereits zugegeben, Verantwort­ung für den Dieselskan­dal zu tragen. Allerdings hatte P. stets betont, dass er auf Weisung von oben gehandelt habe. Dessen Verteidige­r Walter Lechner hatte in seinem Eröffnungs­statement gesagt, nicht sein Mandant, sondern Audi gehöre auf die Anklageban­k.

Für Stadler geht es um viel. Bei einer Verurteilu­ng könnten ihm bis zu zehn Jahre Haft drohen. Dazu kämen Schadenser­satzansprü­che des Unternehme­ns. Der Prozess ist allerdings lange noch nicht vorbei, bis zu einem etwaigen Schuld- oder Freispruch ist es noch weit. Termine sind bis Dezember 2022 angesetzt. Und vielleicht verzögert sich der Prozess auch wegen der sich verschärfe­nden Pandemie nochmals, was am Dienstag am Rande bereits diskutiert wird.

In Stadlers Sinn wäre eine Verzögerun­g sicher nicht. Er sei derzeit selbststän­dig und beratend tätig, hatte er gesagt. Seine Vermögensv­erhältniss­e seien geordnet.

Als er Audi‰Vorstand wurde, ging ein Traum in Erfüllung

Stadler betonte mehrfach, Nicht‰Techniker zu sein

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Foto: Christof Stache/AFP, dpa Weist die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entschiede­n zurück: Ex‰Audi‰Chef Rupert Stadler sagte am Dienstag vor dem Landgerich­t München aus. Er muss sich mit drei weiteren Angeklagte­n wegen des Abgas‰Skandals verantwort­en.

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