Nur begrenzt verantwortlich?
Rupert Stadler verkörperte über Jahre den Erfolg von Audi. Er begleitete den Aufstieg der Premiummarke an der Spitze des Unternehmens. Dann kam der Abgas-Skandal. Der Top-Manager musste vor Gericht. Dort hat er nun erstmals öffentlich gesprochen – und all
München Draußen vor dem Gerichtssaal, danach, auf die Frage hin, ob er nun erleichtert sei, antwortet Rupert Stadler am Dienstagnachmittag nicht. Er denkt kurz nach und sagt dann freundlich, aber bestimmt, dass er heute keine weiteren Statements mehr gebe. Die Wangen glühen noch ein bisschen nach. Von dem, was vorher war.
Denn sein Statement, das Statement, seine lang erwartete Erklärung, hat er vorher abgegeben. Er hat lange und viel gesprochen, zum ersten Mal seit mehreren Jahren wieder öffentlich.
Es ist 9.24 Uhr, als der frühere Audi-Chef beginnt. Er trägt einen schwarzen Rollkragen-Pullover, dazu einen blau-gestreiften Anzug, die Frisur sitzt. Vor sich hat der 57-Jährige einen dicken Stapel mit bedrucktem Papier liegen, das Manuskript seiner Verteidigung. Er wirkt vorbereitet, was keinesfalls schadet. Denn zu erklären, zu sagen gibt es eine Menge.
Was der vormalige Vorstandsvorsitzende der Audi AG und Ex-VWKonzernvorstand im Hochsicherheitssaal des Landgerichts bei der Justizvollzugsanstalt Stadelheim vorträgt, ist eine auf etwa drei Stunden angelegte Reise in die Welt des Top-Managements, die dem Zuhörer besser begreiflich machen soll, wie ein CEO arbeitet, wie dicht getaktet seine Tage und Wochen sind, wie vielschichtig ein mit diversen Hierarchieebenen durchzogenes Unternehmen wie der VolkswagenKonzern aufgebaut ist.
Es folgt bei VW und Audi, in Wolfsburg und Ingolstadt, Sitzung auf Sitzung, Ausschuss auf Ausschuss, diverse Arbeits- und Produkt-Steuerkreise, Pressetermine, Auslandsreisen. Bis zu 200 E-Mails am Tag, die er zum „erheblichen Teil“nicht lese. An seinem Schreibtisch in Ingolstadt sei er pro Woche allenfalls ein paar Stunden. Alles ist durchgetaktet.
Die Botschaft dahinter verdichtet sich später in diesem Satz: „Ein Blick von außen ermöglicht in aller Regel nur eine eingeschränkte Sicht darauf, wer, wann, auf welcher Basis im Konzern Entscheidungen trifft.“
Darum geht es in diesem auf mehrere Jahre angelegten Strafprozess, dem ersten, der den VWAbgas-Skandal aufarbeitet, dem ersten, bei dem ein Vorstandsvorsitzender umfassend zu den ihm gemachten Vorwürfen Stellung nimmt. Stadler muss sich mit drei weiteren Angeklagten wegen Betrugs, mittelbarer Falschbeurkundung
und strafbarer Werbung verantworten.
Die mit ihm angeklagten Ingenieure P., L. sowie der frühere Chef der Audi-Motorenentwicklung, Wolfgang Hatz, sollen zusammen dafür gesorgt haben, dass ab 2009 verkaufte Dieselmotoren die Grenzwerte mit Schummelsoftware auf dem Prüfstand einhielten, auf der Straße aber mehr Abgase hinten rauskamen als vorgeschrieben. Es geht dabei laut Anklage um mehrere hunderttausend Autos, die auf dem nordamerikanischen Markt und in Europa verkauft wurden.
Stadler soll erst 2015 von den Manipulationen erfahren, den Verkauf betroffener Autos – in Europa – aber nicht verhindert haben. Es geht bei ihm, so sieht es das Gericht nach Aktenlage, um Unterlassung.
Der im Altmühltal geborene Top-Manager hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets bestritten und er tut dies auch an diesem Dienstagvormittag im Gericht. Er liest dabei von seinem Manuskript ab, spricht abgehackt. Ein Stakkato. Es ist ein rhetorisch auf Präzision getrimmter Vortrag, eine lange, mit Juristen exakt vorbereitete Einlassung, bei der kein Fehler gemacht werden soll. Platz für spontane Improvisation ist da nicht.
Stadler beschreibt seinen Werdegang. Wie er nach einem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Augsburg 1990 zu Audi kam, dort im Vertrieb begann, im VW-Konzern aufstieg und nach seiner Wolfsburger Zeit als Generalsekretär von Firmenpatriarch Ferdinand Piëch schließlich in Ingolstadt zum Finanz-Vorstand berufen wurde. Ein „Traum“habe sich damit erfüllt, weil er eben „regional und emotional“sehr mit der Marke Audi verbunden sei. 2007 schließlich folgte er Martin Winterkorn, als dieser VW übernahm, an der Audi-Spitze.
Stadler erklärt die Strukturen bei Audi und geht dann auf die Chronologie der Ereignisse des sogenannten Diesel-Gate ab 2015 ein. Er betont und wird an dieser Stelle zum ersten Mal emotionaler, dass Audi professionell geführt und in der Lage gewesen sei, gesetzeskonform zu arbeiten. Er beschreibt, wie der „Schock umso größer war“, als dem Vorstand – trotz zunächst anderslautender Erklärungen der Techniker – klar wurde, dass Audi tief mittendrin steckt in diesem Skandal, der erst ausschließlich bei der Konzernmutter VW verortet wurde.
Manchmal pocht er mit der Hand auf den Tisch, fixiert die Vertreter der Staatsanwaltschaft, denen er vorwirft, mehrfach ihn Entlastendes, seine Aufklärungsbemühungen in der Anklage nicht berücksichtigt zu haben. Sie bewerte „willkürlich, unbegründet, einseitig“.
Auch den Vorwurf – ein weiteres Beispiel – er habe in den USA, wo Audi sich zuerst verantworten musste, bei einem Treffen mit den Behörden auf eine wichtige Präsentation Einfluss genommen, weist er vehement zurück. Der mitangeklagte Ingenieur P., der Stadler wiederum belastet hatte, sage nicht die Wahrheit. Auf dessen Aussage aber stützen sich die Staatsanwälte.
P. habe ihn, Stadler, ferner auch nie darauf aufmerksam gemacht, dass in der Motorenentwicklung etwas nicht stimme. Und das, obwohl er Gelegenheit dazu gehabt hätte, was er genau wisse. Denn P., so berichtet es Stadler, hätte an einem Abend bei einem Essen neben ihm gesessen und P. habe ihm dort versehentlich ein halbes Glas Rotwein über die Hose geschüttet.
Stadler, der in U-Haft war, sagt: „Es hat mich persönlich bestürzt, wie Generalstaatsanwaltschaft und
Staatsanwaltschaft mit mir umgegangen sind. Ich halte das für unverhältnismäßig in der Sache.“Ihm sei klar, dass er kein Recht auf eine Sonderbehandlung habe. Er wolle aber auch nicht schlechtergestellt werden als andere und nicht als „Galionsfigur“politisch missbraucht werden.
Auch wenn Stadler die strafrechtlich relevanten Punkte „in aller Form“zurückweist und sich dazu bei Gelegenheit wieder äußern will, mache er sich selbst den Vorwurf, dass es ihm nicht gelungen sei, „den Schaden zu verhindern“. Die Verantwortung für das Diesel-Gate sieht er aber bei den Motorenentwicklern: „Tarnen und Täuschen“sei dort Teil einer „Arbeits- und vielleicht auch Angstkultur“gewesen. Die Aufrufe zur Aufklärung, Absetzen der Chefs und selbst ein Amnestieprogramm hätten nichts gebracht. Er habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass Audi-Mitarbeiter nicht nur Fehler sondern sich auch strafbar gemacht hätten. Stadler betont zudem mehrfach, NichtTechniker zu sein.
Dass der Vorstandsvorsitzende die politische Verantwortung im Unternehmen trage, sei klar. „Und dazu bekenne ich mich.“Er könne aber nur für Dinge verantwortlich gemacht werden, für die er auch zuständig gewesen sei. Und Audi sei ein klar strukturiertes Unternehmen.
War es während der letzten Prozesstage, als P., L. und der frühere Motoren-Chef Hatz aussagten, ruhiger gewesen, ist am Dienstag das Interesse am Prozess wieder voll da.
Giovanni P. will in den nächsten Prozesstagen auf Stadlers Ausführungen reagieren. Er und L. hatten bereits zugegeben, Verantwortung für den Dieselskandal zu tragen. Allerdings hatte P. stets betont, dass er auf Weisung von oben gehandelt habe. Dessen Verteidiger Walter Lechner hatte in seinem Eröffnungsstatement gesagt, nicht sein Mandant, sondern Audi gehöre auf die Anklagebank.
Für Stadler geht es um viel. Bei einer Verurteilung könnten ihm bis zu zehn Jahre Haft drohen. Dazu kämen Schadensersatzansprüche des Unternehmens. Der Prozess ist allerdings lange noch nicht vorbei, bis zu einem etwaigen Schuld- oder Freispruch ist es noch weit. Termine sind bis Dezember 2022 angesetzt. Und vielleicht verzögert sich der Prozess auch wegen der sich verschärfenden Pandemie nochmals, was am Dienstag am Rande bereits diskutiert wird.
In Stadlers Sinn wäre eine Verzögerung sicher nicht. Er sei derzeit selbstständig und beratend tätig, hatte er gesagt. Seine Vermögensverhältnisse seien geordnet.
Als er AudiVorstand wurde, ging ein Traum in Erfüllung
Stadler betonte mehrfach, NichtTechniker zu sein