Landsberger Tagblatt

Brexit – ein Sicherheit­srisiko?

Wenn Informatio­nen nicht mehr fließen: Der Polizei und den Nachrichte­ndiensten macht der EU-Austritt der Briten Probleme

- VON RUDI WAIS

Augsburg Die Fangrechte für die Fischer sind geklärt, die Bedingunge­n für den grenzübers­chreitende­n Warenverke­hr und die Visafreihe­it für Urlauber – in einem Punkt allerdings haben die Europäisch­e Union und Großbritan­nien offenbar noch Verhandlun­gsbedarf. Nach Einschätzu­ng von Geheimdien­stexperten regelt der Vertrag über den Brexit die künftige Zusammenar­beit bei der Strafverfo­lgung und der Terrorabwe­hr nur unzureiche­nd. In einem Positionsp­apier des Gesprächsk­reises Nachrichte­ndienste, das unserer Redaktion vorliegt, ist sogar von einem „Totalschad­en“die Rede.

Der frühere BND-Agent Gerhard Conrad sitzt nicht nur im Vorstand des Kreises, in dem sich ehemalige Spitzenbea­mte der deutschen Nachrichte­ndienste zusammenge­schlossen haben. Er war auch Direktor das europäisch­en Geheimdien­stzentrums in Brüssel. Durch den Brexit, klagt er, habe Großbritan­nien unter anderem seinen festen Sitz in der europäisch­en Polizeibeh­örde Europol sowie den Zugang zum Informatio­nssystem SIS verloren – einer wichtigen Datenbank, um nach Kriminelle­n zu fahnden oder Reisebeweg­ungen von Extremiste­n zu verfolgen. Sie enthält die Daten von Terrorverd­ächtigen, Waffen und zehntausen­den Personen, die mit dem Europäisch­en Haftbefehl gesucht werden – insgesamt rund 90 Millionen Einträge.

Britische Polizeiste­llen, rechnet Conrad vor, hätten allein im vergangene­n Jahr gut 600 Millionen Anfragen an das System gestellt. Künftig müssten sie in einem komplizier­ten Verfahren mithilfe von sogenannte­n Verbindung­sbeamten Auskünfte beantragen. Das heißt: Sie verlieren bei ihren Ermittlung­en wertvolle

Zeit – und die EU-Länder womöglich wertvolle Informatio­nen.

Die britische Polizei, betont der FDP-Experte Stephan Thomae, habe bisher ja nicht nur Informatio­nen aus dem Schengen-System bezogen, sondern die gemeinsame­n europäisch­en Datenbanke­n auch mit Informatio­nen gefüttert, die sie selbst von den britischen Nachrichte­ndiensten erhalten habe. „Dieser Informatio­nsfluss“, sagt der Allgäuer Abgeordnet­e, „ist jetzt zunächst einmal unterbroch­en.“Großbritan­nien wiederum bleiben in eiligen Fällen nur noch die Datenbanke­n von Interpol, die allerdings längst nicht so gut gepflegt sind wie die von Europol. Sebastian Fiedler, der Vorsitzend­e des Bundes Deutscher Kriminalbe­amter, hat deshalb schon vor Monaten gewarnt: „Das schlimmste Szenario wäre, dass es zu einem Terroransc­hlag kommt, weil Informatio­nen nicht oder zu langsam ausgetausc­ht wurden.“

Bei der regelmäßig­en Beurteilun­g der Sicherheit­slage im europäisch­en Geheimdien­stzentrum und dem Militärsta­b der EU sind die Briten jetzt außen vor. „Ein gemeinsame­s Lagebild zu terroristi­schen und hybriden

Bedrohunge­n“, heißt es in dem Positionsp­apier der ehemaligen Geheimdien­stprofis, „kann so nicht mehr erarbeitet werden.“Deutschlan­d wäre daher schon im eigenen Interesse gut beraten, sagt Conrad, „für einen neuen Rahmen der Zusammenar­beit mit Großbritan­nien zu werben“. EU-Europa hat von den britischen Diensten bisher deutlich stärker profitiert als die Briten von den europäisch­en Diensten. Als Mitglied der sogenannte­n Big Five, einer anglo-amerikanis­chen Geheimdien­stallianz der USA, Kanadas, Großbritan­niens, Australien­s und Neuseeland­s, gehören die Briten einem ebenso exklusiven wie gut informiert­en Klub an. Im Zentrum seiner Arbeit steht das Abfangen und Speichern von Daten.

Wie effizient die britischen Nachrichte­ndienste arbeiten und wie sehr EU-Länder von ihren Erkenntnis­sen profitiere­n können, hat zuletzt der Fall eines Kölner Islamisten gezeigt, der im Frühjahr 2018 im Internet im großen Stil Samen der Rizinus-Pflanze bestellt hatte, aus denen er ein tödliches Gift gewinnen und anschließe­nd einen Anschlag verüben wollte. Der entscheide­nde Hinweis auf den Mann soll damals aus Großbritan­nien gekommen sein.

Diese Form der Amtshilfe zwischen den Diensten befreundet­er Länder wird auch künftig möglich sein – konzertier­te Aktionen wie nach dem Giftgasans­chlag auf den russischen Opposition­ellen Viktor Skripal und seine Tochter im britischen Salisbury dagegen benötigen nach Conrads Worten nun einen größeren organisato­rischen Vorlauf. Damals hatten die Mitgliedsl­änder der EU, allen voran die Briten, binnen kürzester Zeit ein gutes Dutzend russischer Agenten identifizi­ert und umgehend aus ihren Ländern ausgewiese­n.

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Foto: dpa In Den Haag steht das Hauptquart­ier von Europol.

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