Der lange Marsch zurück
Nach einem Corona-Jahr mit heftigen Einbrüchen sieht die Industrie wieder Licht am Ende des Tunnels. Aber der zarte Aufschwung steht und fällt mit der Entwicklung in China. In Schwaben dürften dennoch erneut 3000 Stellen in der Metall-und Elektrobranche w
Berlin/Augsburg 2020 war ein verlorenes Jahr für die bayerische Metallund Elektroindustrie und damit für die Leitbranche der Wirtschaft in der Region. Mehr als 5000 Arbeitsplätze in Schwaben sind im vergangenen Corona-Jahr allein in diesem Sektor verloren gegangen. Doch die Krise ist längst nicht vorbei. Für dieses Jahr rechnen die Arbeitgeber mit dem Verlust von weiteren 3000 Arbeitsplätzen in der Branche. So sagte es Hirohito Imakoji, der Vorsitzende der bayme vbm Region Allgäu, am Dienstag bei der Vorstellung einer aktuellen Umfrage der Verbände in der Branche.
Viele Betriebe hatten bereits vor dem historischen Einbruch der Wirtschaft in der Folge der Krise mit einer Rezession zu kämpfen. Die Produktion der Metall- und Elektroindustrie war seit Mitte 2018 rückläufig. Richtig dramatisch wurde es aber erst im zweiten Quartal 2020: minus 15,4 Prozent. Der Anstieg um 7,7 Prozent im dritten Quartal war dann zwar ebenfalls bemerkenswert. Doch von Juli bis Oktober bewegte sich die Produktion mehr oder weniger nur seitwärts. Wie es nun weitergeht, ist offen.
Nach der Umfrage erwarten nur 41,1 Prozent der schwäbischen Unternehmen, Ende 2021 wieder das Vorkrisenniveau erreicht zu haben. Aber: „Die Heterogenität in der Metall- und Elektroindustrie ist größer denn je“, so Imakoji. Besonders gebeutelt sind demnach die Hersteller von Luftfahrzeugen und -teilen. Aber auch die Exporte von Maschinen liegen mit minus 13,3 Prozent noch deutlich unter dem Vorjahr. Überhaupt bleibt der Export, der für die gesamte Branche von überragender Bedeutung ist, das Sorgenkind. Im Oktober lag der Rückgang im Vergleich zum Vorjahr für das Vereinigte Königreich bei minus 10,5 Prozent, für die USA bei minus 3,1 Prozent. Die große Hoffnung für die Branche ist China: Die Exporte dorthin sind bis dahin drei Monate in Folge gewachsen.
Immer wieder China. Die Abhängigkeit von dem Riesenreich wird so für die gesamte deutsche Industrie immer größer. Längst ist der Markt ein Rettungsanker für die Branche – das betont auch der neue BDI-Präsident Siegfried Russwurm beim Jahresausblick seines Verbands am Dienstag ausdrücklich. Die chinesische Wirtschaft wächst stark und das vor dem Jahreswechsel abgeschlossene Investitionsschutzabkommen mit der EU könnte dem Handel zusätzlichen Schub verleihen. In den USA übernimmt zwar mit Joe Biden kein erklärter Freihändler das Präsidentenamt. Aber dass er wie wild die Zollkeule gegen Europa schwingt, wie es Donald Trump tat, steht nicht zu erwarten.
Der BDI rechnet daher für 2021 mit einem Anstieg der Ausfuhren um 6 Prozent, nachdem sie im alten Jahr um 11 Prozent abgerauscht waren. Das deckt sich mit Kernaussagen aus dem aktuellen Ifo-Index. Die Lage wird in den Chefetagen der Unternehmen aktuell so gut bewertet wie seit Anfang 2020 nicht mehr. Die Münchner Ökonomen befragen dafür 9000 Betriebe aus dem verarbeitenden Gewerbe. Ihre Zuversicht hat merklich zugelegt, weil die Firmen viele Neuaufträge an Land ziehen können – vor allem aus Asien, das die Pandemie besser unter Kontrolle hat, und den USA.
Die Aussichten für bessere Geschäfte im neuen Jahr sind also nicht so schlecht. Der Corona-Einbruch dürfte 2022 vollständig überwunden werden – wenn die Vorhersagen zum Erfolg der Impfkampagnen stimmen und das Infektionsgeschehen bald eingedämmt werden kann. Denn nach den Erfahrungen aus dem vergangenen Frühjahr, als die Bänder für mehrere Wochen stillstanden, weil die internationalen Lieferketten gerissen waren, plagt die Industrieunternehmen noch immer eine Horrorvorstellung: Weil Deutschland das Coronavirus trotz harter Einschränkungen nicht zu packen bekommt, werden die Betriebe zeitweise dichtgemacht.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rechnet mit zwei harten Monaten, die die Gesellschaft mindestens noch überstehen muss, und fürchtet viel mehr Infizierte, weil das Virus mutiert ist. Auch wenn die Bundesregierung bislang den Sektor offen halten will: Die Forderungen nach einem kompletten Stillstand des Landes reißen nicht ab. IndustriePräsident Russwurm hat deshalb gleich zu Beginn seiner Amtszeit alle Hände voll zu tun, das Unheil abzuwenden. „Auch 2021 ist die Industrie der Motor, der Wirtschaft und Wohlstand unseres Landes antreibt. Umso wichtiger ist es, die Industrie weiter am Laufen zu halten“, verlangte er. Russwurm forderte von der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Länder mehr Planbarkeit in der Seuchenpolitik und „keine Symbolpolitik mit dem Prinzip Hoffnung“.
Auch die schwäbischen Unternehmen gehen insgesamt von einer Erholung in den kommenden Monaten aus. Verbandsvertreter Imakoji betont aber auch die Unsicherheiten. Das Konsum- und Investitionsverhalten etwa sei immer auch von Psychologie bestimmt, dies habe nicht zuletzt der Umschwung vom relativ sorgenfreien Sommer auf den Herbst und den markanten Anstieg der Infektionszahlen gezeigt. Noch immer gibt es zudem in fast der Hälfte der Betriebe Kurzarbeit. Hochgerechnet auf die gesamte schwäbische Metall- und Elektroindustrie arbeiten 22 Prozent der Beschäftigten derzeit kurz. Für die Arbeitgeber ist die Marschroute in den derzeitigen Tarifverhandlungen daher klar: „Es kann keinen Verteilungsspielraum geben“, so Imakoji.