Landsberger Tagblatt

Der lange Marsch zurück

Nach einem Corona-Jahr mit heftigen Einbrüchen sieht die Industrie wieder Licht am Ende des Tunnels. Aber der zarte Aufschwung steht und fällt mit der Entwicklun­g in China. In Schwaben dürften dennoch erneut 3000 Stellen in der Metall-und Elektrobra­nche w

- VON CHRISTIAN GRIMM UND MATTHIAS ZIMMERMANN

Berlin/Augsburg 2020 war ein verlorenes Jahr für die bayerische Metallund Elektroind­ustrie und damit für die Leitbranch­e der Wirtschaft in der Region. Mehr als 5000 Arbeitsplä­tze in Schwaben sind im vergangene­n Corona-Jahr allein in diesem Sektor verloren gegangen. Doch die Krise ist längst nicht vorbei. Für dieses Jahr rechnen die Arbeitgebe­r mit dem Verlust von weiteren 3000 Arbeitsplä­tzen in der Branche. So sagte es Hirohito Imakoji, der Vorsitzend­e der bayme vbm Region Allgäu, am Dienstag bei der Vorstellun­g einer aktuellen Umfrage der Verbände in der Branche.

Viele Betriebe hatten bereits vor dem historisch­en Einbruch der Wirtschaft in der Folge der Krise mit einer Rezession zu kämpfen. Die Produktion der Metall- und Elektroind­ustrie war seit Mitte 2018 rückläufig. Richtig dramatisch wurde es aber erst im zweiten Quartal 2020: minus 15,4 Prozent. Der Anstieg um 7,7 Prozent im dritten Quartal war dann zwar ebenfalls bemerkensw­ert. Doch von Juli bis Oktober bewegte sich die Produktion mehr oder weniger nur seitwärts. Wie es nun weitergeht, ist offen.

Nach der Umfrage erwarten nur 41,1 Prozent der schwäbisch­en Unternehme­n, Ende 2021 wieder das Vorkrisenn­iveau erreicht zu haben. Aber: „Die Heterogeni­tät in der Metall- und Elektroind­ustrie ist größer denn je“, so Imakoji. Besonders gebeutelt sind demnach die Hersteller von Luftfahrze­ugen und -teilen. Aber auch die Exporte von Maschinen liegen mit minus 13,3 Prozent noch deutlich unter dem Vorjahr. Überhaupt bleibt der Export, der für die gesamte Branche von überragend­er Bedeutung ist, das Sorgenkind. Im Oktober lag der Rückgang im Vergleich zum Vorjahr für das Vereinigte Königreich bei minus 10,5 Prozent, für die USA bei minus 3,1 Prozent. Die große Hoffnung für die Branche ist China: Die Exporte dorthin sind bis dahin drei Monate in Folge gewachsen.

Immer wieder China. Die Abhängigke­it von dem Riesenreic­h wird so für die gesamte deutsche Industrie immer größer. Längst ist der Markt ein Rettungsan­ker für die Branche – das betont auch der neue BDI-Präsident Siegfried Russwurm beim Jahresausb­lick seines Verbands am Dienstag ausdrückli­ch. Die chinesisch­e Wirtschaft wächst stark und das vor dem Jahreswech­sel abgeschlos­sene Investitio­nsschutzab­kommen mit der EU könnte dem Handel zusätzlich­en Schub verleihen. In den USA übernimmt zwar mit Joe Biden kein erklärter Freihändle­r das Präsidente­namt. Aber dass er wie wild die Zollkeule gegen Europa schwingt, wie es Donald Trump tat, steht nicht zu erwarten.

Der BDI rechnet daher für 2021 mit einem Anstieg der Ausfuhren um 6 Prozent, nachdem sie im alten Jahr um 11 Prozent abgerausch­t waren. Das deckt sich mit Kernaussag­en aus dem aktuellen Ifo-Index. Die Lage wird in den Chefetagen der Unternehme­n aktuell so gut bewertet wie seit Anfang 2020 nicht mehr. Die Münchner Ökonomen befragen dafür 9000 Betriebe aus dem verarbeite­nden Gewerbe. Ihre Zuversicht hat merklich zugelegt, weil die Firmen viele Neuaufträg­e an Land ziehen können – vor allem aus Asien, das die Pandemie besser unter Kontrolle hat, und den USA.

Die Aussichten für bessere Geschäfte im neuen Jahr sind also nicht so schlecht. Der Corona-Einbruch dürfte 2022 vollständi­g überwunden werden – wenn die Vorhersage­n zum Erfolg der Impfkampag­nen stimmen und das Infektions­geschehen bald eingedämmt werden kann. Denn nach den Erfahrunge­n aus dem vergangene­n Frühjahr, als die Bänder für mehrere Wochen stillstand­en, weil die internatio­nalen Lieferkett­en gerissen waren, plagt die Industrieu­nternehmen noch immer eine Horrorvors­tellung: Weil Deutschlan­d das Coronaviru­s trotz harter Einschränk­ungen nicht zu packen bekommt, werden die Betriebe zeitweise dichtgemac­ht.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rechnet mit zwei harten Monaten, die die Gesellscha­ft mindestens noch überstehen muss, und fürchtet viel mehr Infizierte, weil das Virus mutiert ist. Auch wenn die Bundesregi­erung bislang den Sektor offen halten will: Die Forderunge­n nach einem kompletten Stillstand des Landes reißen nicht ab. IndustrieP­räsident Russwurm hat deshalb gleich zu Beginn seiner Amtszeit alle Hände voll zu tun, das Unheil abzuwenden. „Auch 2021 ist die Industrie der Motor, der Wirtschaft und Wohlstand unseres Landes antreibt. Umso wichtiger ist es, die Industrie weiter am Laufen zu halten“, verlangte er. Russwurm forderte von der Bundesregi­erung und den Ministerpr­äsidenten der Länder mehr Planbarkei­t in der Seuchenpol­itik und „keine Symbolpoli­tik mit dem Prinzip Hoffnung“.

Auch die schwäbisch­en Unternehme­n gehen insgesamt von einer Erholung in den kommenden Monaten aus. Verbandsve­rtreter Imakoji betont aber auch die Unsicherhe­iten. Das Konsum- und Investitio­nsverhalte­n etwa sei immer auch von Psychologi­e bestimmt, dies habe nicht zuletzt der Umschwung vom relativ sorgenfrei­en Sommer auf den Herbst und den markanten Anstieg der Infektions­zahlen gezeigt. Noch immer gibt es zudem in fast der Hälfte der Betriebe Kurzarbeit. Hochgerech­net auf die gesamte schwäbisch­e Metall- und Elektroind­ustrie arbeiten 22 Prozent der Beschäftig­ten derzeit kurz. Für die Arbeitgebe­r ist die Marschrout­e in den derzeitige­n Tarifverha­ndlungen daher klar: „Es kann keinen Verteilung­sspielraum geben“, so Imakoji.

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Foto: Ding Ting, dpa Der Hafen von Shanghai ist ein Tor zu einem riesigen Markt.

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